Donnerstag, 11. Januar 2018

Nebelwanderer

Wie ich mit Umweg um Museumsinsel und Humboldthain einmal im Nebel um den Helmholtzplatz lief

Die Wanderung begann mit einem Schock. Dass es diesig war, hatte ich auch im Hof schon geahnt, zumindest nicht sternenklar wie noch die Nacht zuvor - aber so eine Suppe hatte ich nicht erwartet, wie sie mir vom Platz entgegen schlug, als ich die Haustür öffnete. Die Suppe legte sich auf alles, es war stehend feucht, wenn auch nicht so kalt wie die letzten Tage - was an Frost fehlte, ersetzte die  kriechende Feuchtigkeit.

Noch unentschlossen, was ich in diesem Nebel wollte, begann ich den Weg mit einem sehr erfreulichen Telefonat mit meinem Vater, der eben aus dem Krankenhaus zurückgekehrt war und dessen Herz spürbar in alter Frische schlug in der voll guter Laune schon wieder große Pläne schmiedete. Freudig nahm ich seinen verbesserten Zustand zur Kenntnis, er stieg sogar schon wieder ohne zu schnaufen Treppen und fühlte sich wie neu geboren. Schön, so etwas zu erleben, wenn du nach dem letzten Besuch schon dachtest, es könnte auch jederzeit zu Ende gehen, seine blauen Lippen gar nicht gut aussahen. Zwar war sich meine Liebste sicher, dass er noch viele Jahre hat, unseren Kindern noch ein guter Großvater sein wird, aber wie weit diese Meinung von Sachverstand oder mehr von schnöder Hoffnung getragen war, wusste ich auch nicht.

Jedenfalls begann der Spaziergang bis zum Göhrener Ei so mit einem emotional sehr erfreulichen Telefonat und so rief ich gleich danach beschwingt die Liebste in Dublin an und marschierte beflügelt vom guten Zustand des Herrn Papa der Suppe zum Trotz gen Mitte. Durch den Kollwitzkiez, die Schönhauser Allee hinunter, über die Torstraße und weiter die Alte Schönhauser entlang - zugegeben sehr einfallsreich ist diese Namensgebung nicht aber zumindest historisch wertvoller als die Frankfurter Allee nach Karl Marx zu nennen, bis zum Hackeschen Markt, den überquerend und die S-Bahn unterlaufend kam ich am DGB-Haus und, was mir wesentlich wichtiger ist, dem schönen Buchladen vorbei zur Museumsinsel.

Und welch Glück und Gnade gewährte mir die hiesige Suppe dort, der gruselige Berliner Dom, dieses Sinnbild des deplatzierten und protzigen Wilhelminismus, dessen endlich Sprengung wirklich ein ästhetischer Verdienst wäre, den sich die Regierung Ulbricht ans Rever hätte heften können und dann hätte ich großer Schlossbefürworter mich sogar für den Erhalt des rotfaschistischen Palastes der Republik ausgesprochen, stünde er anstatt dieses furchtbaren Doms, dessen einziger Verdienst zu sein scheint, das seine Kuppel größer ist, als die des Petersdoms, warum es alle Berliner immer gern betonen, dieses Machwerk das Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, heute unser Weltkulturerbe Museumsinsel verschandelt, verschwand weitgehend bis auf zart nur kaum sichtbare Umrisse im Nebel. Wie schön und wunderbar wirkte da der Gang über die Brücke mit dem weniger verschleierten Blick auf Alte Nationalgalerie, das benachbarte Neue Museum und das diesem gegenüberliegende Alte Museum. Es war wie verzaubert.

Auch die Pergamonbaustelle gegenüber dem Privatdomizil der wacker mit den unsteten Genossen verhandelnden Kanzlerin verschwand zwischen den die Flügel umwallenden Planen am Gerüst im dichten Nebel. Bis vorne zur Spitze der Insel lichtete es sich wieder ein wenig, auch wenn die Suppe relativ beständig blieb und das Atmen schwer machte. Dies sind immer die Tage, an denen du dir sicher bist, Morgen unbedingt mit dem Rauchen aufhören zu wollen, weil du ja so schon bei dem Wetter schlecht Luft bekommst und die Feuchtigkeit gemischt mit dem Dreck der Schornsteine schwer auf den belasteten Bläschen klebt.

Die Märchenhütte leuchtete nur in Konturen sichtbar aus der Suppe und der weitere Weg durch Mitte erinnerte immer wieder an den berühmten Film M eine Stadt sucht einen Mörder von Fritz Lang mit Peter Lorre in der Rolle des Kindermörders. Am Friedhof kurz vor der früher Mauer wurde es nochmal dank der dort Freiflächen ein wenig dichter in der Suppe und das Gruselfilmgefühl stieg wieder auf.

Fragte mich, wie es wohl nun würde durch Gesundbrunnen am Humboldthain entlang zu gehen und kann nachdem ich es erlebte sagen, es erinnerte an die Tatorts aus den frühen 70ern, die meine Mutter sah und bei denen ich manchmal heimlich spähte, wenn keiner was merkte. Eine Alle am Wald, den der Humboldthain dort birgt, auf der anderen Seite teilweise beleuchtete Industriebauten. Hässlich und zweckbestimmt, dazwischen einzelne Klinkerhäuser als Überbleibsel der Vorkriegsarchitektur, als hier noch AEG und Siemens Eisenbahnen und mehr bauten.

Ein gruseliger Weg und der Blick über die S-Bahn-Gleise am Ende entschädigte für das mulmige Gefühl nur wenig. Zum Glück hatte ich die Liebste im Ohr und konnte so die ganze Zeit auch vor mir selbst den Helden spielen, den das bisschen Wetter doch nicht tangierte. Dabei hatte ich die dickste Suppe noch vor mir.

Wie erwartet, war die Freifläche der Gleise hinter dem Bahnhof Gesundbrunnen, zwischen Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen am tiefsten im Nebel verschwunden. Genoss es, wenn auch stark schnaufend, lief die sonst schon vom Center aus gut sichtbare Brücke hinauf, deren Lichter ich erst sah, als es schon zu ihr die Straße entlang bergauf ging. Es war ein wenig seltsam. Der Blick aus dem Westen in die Zone, über die Mauer hinweg, die einst dort stand - und alles im Osten verschwand im Nebel und was sichtbar in der Suppe blieb grau, wie es einst in Zeiten der DDR tatsächlich alles war, bevor die Diktatur des Pastell den Berg mit ihrer Sucht nach Harmonie überschwemmte.

Nun, ich fand nach Hause zum Platz, den ich von der Pappelallee kommend noch einmal fast umkreiste, aber ich konnte immer noch nicht von einem Ende zum anderen sehen und mich einfach für einige Stündchen verirrt haben. Lustig hörte sich das Pingpong der immer nächtlichen Spieler im Nebel auf dem Platz beim Vorübergehen an - es war ja nichts zu sehen und so kam das stete Plop aus dem irgendwo grau. Die Haare feucht wie den Bart kehrte ich schließlich heim und konnte nicht wirklich überzeugt von der guten Berliner Luft singen.

jens tuengerthal 11.1.2018

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