Freitag, 10. November 2017

Stralauer

Bei diesigem Novemberwetter ging es mit dem letzten Licht des Tages los in Richtung der Halbinsel Stralau, die mir schon oft als Ort der Ruhe mitten im unruhigen Berlin gepriesen wurde.

Vom Helmholtzplatz, wie immer, lief ich über den Kollwitzkiez zur Schönhauser Allee, der ich bis zu ihrem Ende folge, dem ehemals Schönhauser Tor, von dem nur eine ausnehmend hässliche, nach ihm benannte Einkaufspassage blieb, die heute das Tor zum schönen Prenzlauer Berg bildet - einer der vielen nichtssagenden Neubauten, an dem ich die Torstraße überquerte, in der nur die Straßenbahnschienen inmitten an die früher hier Mauer als Erhöhung noch erinnern.

Vorbei an der Volksbühne, die direkt am heute Rosa Luxemburg Platz liegt, hier wird der Name zum Programm, an der nichts mehr vom Streik gegen den bösen Kapitalismus und den ungeliebten Intendanten zu sehen war, dem kleinen Aufstand, den das Linke nahe Umfeld dieses Theaters dort gerade noch inszenierte, bis der lange sehr geduldige Intendant dann doch räumen ließ, um wieder Theater zu spielen. Doch die nach Rosa Luxemburg benannte Straße hat mit dem Babylon noch einen Hort altlinker Ideologie - warb doch das Babylon Kino mit einem großen Plakat für die Filmreihe zum hundertjährigen Jubiläum der Oktoberrevolution, die selbst in Moskau nur wenige Ewiggestrige noch feierten.

Frage mich manchmal, wann die Ideologen der untergegangenen DDR den verbrecherischen Sozialismus und die mörderische Revolution endlich begraben, statt dieses große Verbrechen der Menschheit mit seinen Millionen Opfern noch weiter zu bejubeln, als hätte es irgendwas Gutes gebracht und sei nicht seine Überwindung der einzige Grund zu feiern. Darüber dachte ich auch nach, als ich das Plakat über dem Babylon sah und ging kopfschüttelnd weiter, der Sozialismus scheint in manchen Köpfen noch immer nicht tot zu sein, nur seine Millionen Opfer leben nicht mehr und werden durch solchen Kult der unverarbeiteten eigenen Geschichte weiter verhöhnt.

Die DDR war ein Satellit der UDSSR, ein Unrechtsstaat und so gut sich manche dennoch in ihr eingerichtet haben, so wenig die persönliche Biografie infrage gestellt werden soll, so klar muss der Staat von Mauer und Stasi als solcher verurteilt werden, weil er verbrecherisch war und seinen Bürgern grundlegende Freiheiten raubte, eine religiös anmutende Ideologie totalitär verbreitete. Dieser spießige angebliche Arbeiter und Bauern Staat, der real einer der Funktionäre und ihrer Günstlinge nur war ist 1989 untergegangen und seine Regierung von den Menschen auf der Straße gestürzt worden, zur großen Freude aller Deutschen, außer den Funktionären der DDR und ihren Zuträgern.

Warum einen dieser Geist in der Rosa Luxemburg Straße anweht - weil in der oberhalb parallel verlaufenden Kleinen Alexanderstraße im Karl Liebknecht Haus die sogenannte Linke, die eigentlich nichts als die SED Nachfolgeorganisation ist, ihre Bundeszentrale hat und den Geist der DDR als NOSTalgie über den Platz wehen lässt. Wie schön wäre es, wenn dieser Ungeist durch einen neuen Intendanten künstlerisch ausgetrieben würde und statt der Verklärung der Geschichte endlich Freiheit an der Volksbühne und ihrer Umgebung einzöge.

Eine Ende der Verklärung der lokalen Heiligen, als die Linke immer noch mit Vorwurf gegen die mörderischen Sozialdemokraten Rosa und Karl anbeten, wäre Berlin zu wünschen, das wirklich bedeutendere Menschen hervorbrachte, als diese beiden Sektierer mit radikal linker Ideologie, die 1919 unter unschönen Umständen umgebracht wurden. So wenig wie Horst Wessel sollten wir noch Rosa Luxemburg und Karl  Liebknecht verehren.

Über die Zitate von Rosa, die wie Stolpersteine nur eben unbescheiden meterlang in den Boden um die Volksbühne eingelassen wurden, stolpert wer von der Schönhauser Allee in Richtung Bahnhof Alexanderplatz läuft. Sie hat sicher nicht nur schlechtes gesagt, doch ist die Ideologie für die sie stand und die sie in Deutschland nach dem Krieg wie in der UDSSR einführen wollte, nicht rühmenswert und sollte dieser öffentliche Kult um die Spuren eines faktisch verbrecherischen Systems, was der real existierende Sozialismus überall auf der Welt war, wo dieser Glaube erzwungen wurde, endlich ein Ende haben und müssten sich alle Demokraten klar davon abgrenzen.

Die Sozialdemokraten jedoch mit ihrem ewig schlechten Gewissen, wie weit sie immer auch für den Tod verantwortlich waren, sei dahingestellt, werden sich hüten ihren Koalitionspartner aus der angeblich ganz linken Ecke, die in Wirklichkeit nur die reaktionäre eines untergegangenen Systems ist, zu verprellen, um künftig wieder linke Mehrheiten zu haben, auch wenn sie damit Millionen Opfer dieser Systeme verhöhnen und auch die eigene Kollaboration nie aufarbeiten. Das an diesem Ort festzustellen, ist immer noch nötig. Die Linke ist keine harmlose, nette Kulturpartei, die sich angeblich für Künstler und Arme einsetzt, sondern eine populistische Partei wie die AfD auf der rechten Seite.

Dies wird in Berliner Künstlerkreisen zumindest im Osten mehrheitlich anders gesehen und die linke Folklore wird als chic betrachtet, gehört eben dazu. Damit hat mit meiner heutigen Wanderung aber im weiteren zum Glück nichts mehr zu tun, wichtig ist nur, es an dieser Stelle klar zu betonen und nicht den totalitären Ideologen den Antifaschismus zugute zu halten, als legitimierte dieser Glaube alle Taten in seinem Namen. Es bleibt zu hoffen, dass die SPD merkt, dass die gerade gesuchte oppositionelle Annäherung sie langfristig in die Bedeutungslosigkeit führt.

Ohne mich weiter am Namen oder den Ideen der Namensgeberin zu stören, folgte ich der im übrigen längst gut kapitalistischen Rosa Luxemburg Straße bis zur Dircksenstraße , in die ich gen Osten abbog, um nach wenigen Metern die immer noch Karl Liebknecht Straße zu überqueren. Damit genug der Zumutungen für Demokraten und liberal denkende Menschen, denen solch totalitäre Ideologen und verklärte Heilige immer fremd bleiben werden. Am Bahnhof Alexanderplatz entlang kam ich nach Überquerung der Grunerstraße zum gut kapitalistischen Einkaufszentrum Alexa, dessen so große wie langweilige Ansammlung von immer überall gleichen Läden ich gen Osten durchquerte, um danach weiter der Bahnlinie zu folgen, bis diese zum Ostbahnhof abbiegt und die Straße dem Flusslauf folgt.

Von der leicht südlich in Richtung Ufer verlaufenden Dircksenstraße bog ich östlich an der Stelle, an der die Alexanderstraße kreuzt, östlich in die Holzmarktstraße ein, der ich am von dort nördlich gelegenen Ostbahnhof und diversen anderen Gebäuden vorbei immer weiter folgte, bis sie sich nach dem Stralauer Platz, der nichts am Verlauf der Straße ändert, dann Mühlenstraße unverfänglich nennt.

Dort beginnt dann auch die East Side Gallery, zwischen dem Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke. Diese dauerhafte Freiluft Galerie ist das längste noch erhaltene Teilstück der ehemals ganz West Berlin umgebenden Mauer, mit der die realen Sozialisten ihr Volk vor der Flucht in den Wohlstand des Westens abhalten wollten, der immer für die meisten verlockender war als die eben totalitäre Ideologie des Ostens. Im Frühjahr 1990 wurde dieses 1316 m lange Teilstück der Mauer von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt und zu einem Kunstwerk eigener Art, das viel von Berlins Geschichte zeigt.

Die Künstler kommentieren auf der dort ehemals dem Osten zugewandten Mauer die Geschehnisse um den Fall der Mauer im Jahr 1989/90. Anstelle der Originale stehen dort nur noch die 2009 hergestellten Repliken, was den guten Eindruck beim Vorübergehen nicht stört. Die eigentliche Grenze bildete das Kreuzberger Ufer der Spree. So befindet sich die Galerie auf einer sogenannten Hinterlandmauer, die schon die Annäherung an den Fluss verhindern sollte, damit die  eingesperrten Bürger gar nicht auf dumme Gedanken kamen.

Die Idee zu dem Kunstwerk war nach der Vereinigung der beiden Verbände Bildender Künstler im Westen und Osten entstanden als erstes gesamtdeutsches Kunstprojekt. So wurde die East Side Gallery noch mit offiziellem Auftrag des Ministerrats der DDR gegründet und internationale Künstler beauftragt. Die Galerie wurde am 28. September 1990 eröffnet, noch in der DDR, also vier Tage vor der Vereinigung, die ein Beitritt war. Zunächst sollte sie um die Welt geschickt und versteigert werden. Dieser Plan wurde nach der Vereinigung aufgegeben, stattdessen wurde die East Side Gallery im November 1991 unter Denkmalschutz gestellt.

Über die Mauer, ihren Erhalt und die Entfernung der Originale wurde wie üblich in Berlin lange und viel gestritten, ohne eine letztliche Einigung zu erzielen. Die Künstler gründeten Initiativen, mit denen sie an die Millionen der Lotto-Stiftung selbst kommen wollten, weil sie meinten, sie stünden allein ihnen zu, was einige der Sanierer unterstützten, aber dennoch nichts erreichte und so wurde irgendwann saniert, wenn auch unter großem Protest und mit Zerstörung einiger Kunstwerke durch die beteiligten, empörten Künstler selbst. Am Ende blieb das schöne Denkmal der Wendezeit, das immer noch viele Touristen anzieht, die auch an diesem Novemberabend den langen Weg nicht scheuten und vielfach für schöne Bilder vor der Wand posierten, was die Erstellung touristenfreier Fotos immer erschwert und viel Geduld erfordert.

Das Denkmal lebt auch durch immer wieder von aktuellen Sprayern angebrachte Tacs und einige der Künstler finden das auch wünschenswert, da damit das Kunstwerk weiter lebe und sich verändere, keine Mauer für die Ewigkeit sein solle.

Nach der Oberbaumbrücke, an der die Galerie endet, heißt die dort Bundesstraße 96a dann zielgemäß Stralauer Allee und führt am Süden des Friedrichshain entlang. Die Straße ist seit dem Alex ständig viel befahren, es ist laut und sehr städtisch. Im Wanderer wuchs die Sehnsucht nach Ruhe, die ich hoffte zumindest an der Spitze der Halbinsel Stralau zu finden, die dort zwischen Rummelsburger See und Spree liegt, die gemeinsam ein Gewässer von der Größe eines Binnensees bilden.

Die Stralauer Allee endet, wo sie auf den Markgrafendamm stößt, der zur dort Elsenbrücke führt, die nach Alt Treptow auf Höhe des Treptower Parks hinüber geht. Überquerte sie  etwas waghalsig auf dem Fahrradstreifen, da ich als Fußgänger erst nach Norden über die Stralauer Allee, dann gen Osten über den Markgrafendamm und schließlich wieder südlich die nun Alt Stralau genannte Straße hätte überqueren müssen, was mir, zugegeben, etwas umständlich und eigentlich sogar ziemlich unverschämt vorkam.

Überstand die Überquerung ohne größere Schäden oder ein Verkehrschaos auszulösen mit meiner Liebsten in Dublin im Ohr, die mich schon die ganze Strecke zärtlich aufmunternd und liebevoll begleitete. Bis hierhin war es ein zwar zügiger aber durch den ständigen Verkehrslärm und die immer wieder vorbei rasenden Rettungswagen oder ähnliche Signalhörner keineswegs entspannter Spaziergang. Die Berliner Luft ist dort eher schlecht und voller Abgase.

Der vorher Alexanderplatz, der literarisch so berühmt wurde durch Döblins Roman, auch wenn er in dem Buch so gut wie gar nicht vorkommt, war auch ein einziges Grauen zwischen den Resten der widerlichen DDR Architektur im Geist des Sozialismus, die bis auf wenige Ausnahmen wie den Fernsehturm besonders in ihren Platten immer unansehnlich bleibt und nur ein Denkmal des Schreckensregimes sind, was besser nachhaltiger beseitigt würde.

Konnte diesen Platz mit seiner hohen Kriminalitätsdichte, den immer wieder tödlichen Zwischenfällen, noch nie ausstehen. Nicht weil ich den Tod so fürchtete, sondern weil er einfach menschenfeindlich bebaut ist. Eine zugige Betonplatte mit ihrer Weltzeituhr inmitten, die noch den DDR-VEB Charme großartig verströmt. Gemacht für Aufmärsche und jubelnde Massen, die von der SED gesteuert werden sollten. Finde die Unfreiheit dieses Geistes dort so spürbar wie kaum irgendwo anders in Berlin. Am besten alle DDR Bauten um den Platz abreißen außer zweien oder dreien unter Denkmalschutz wie die Kongresshalle etwa. Was am Haus des Lehrers noch schutzwürdig sein soll, ist mir ein Rätsel.

Was nach der Wende an durchschnittlichen Märkten der großen Ketten und Einkaufszentren dort errichtet wurde, bestätigt diesen Eindruck noch. Es bleibt eine kalte Betonwüste, die leblos und ohne Charakter ist, durchschnittliche Waren anbietet und so tot ist wie die DDR, der schlicht alles Leben und jede Schönheit fehlt. Schrieb nur nichts sonst über den Alex, auch wenn an dieser Stelle, wo ich ihn ganz entlang lief, gute Gelegenheit gewesen wäre, über ihn zu berichten auch historisch betrachtet, weil ich diesen Platz wirklich hasse, was bei mir selten vorkommt, der immer bemüht ist, in allem noch das Schöne zu sehen. Dort gelingt es mir nicht und so will ich mich auch nicht daran erinnern, wie schön es einstmals dort war.

Etwa 1848 als Theodor Fontane noch in der alten Apotheke arbeitete, die gegenüber der Stelle lag, an der heute das langweilige Alexa liegt. Dort stand beispielsweise die einzige Barrikade, die bei den Unruhen am 9. März 1848 nicht erobert und besiegt wurde, auf ihr stand auch der später bei Hof hoch angesehene Fontane, worüber er dann lieber schwieg. Es gab dort Kasernen und ein Gefängnis, manch schöne Architektur an der Straße, die zum Schloss führte und benannt wurde der Platz 1805 nach Zar Alexander I. von Russland, dem Schwager des späteren Friedrich Wilhelms IV. und Schwiegersohn Friedrich Wilhelms III.

Aber dieser Platz ist und bleibt architektonisch ein Grauen und ist, wie der lange Weg nach Stralau am Ufer entlang, sehr städtisch, laut und hektisch und das Gegenteil dessen, was mich nun auf der Halbinsel der Seligen erwartete, wovon ich noch nichts ahnte, als ich die Kreuzung unter Einsatz meines Lebens überquerte. Schwärmen hatte ich mal eine Kollegin gehört, die auch ursprünglich aus Bremen kam und mit ihrer Tochter unbedingt dort hin ziehen wollte, raus aus der lauten Mitte. Verstand es damals nicht, war aber auch nie dagewesen außer einmal bei einem Fußballturnier mit meiner Tochter.

Stralau ist eine Ortslage des Ortsteils Friedrichshain im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der Name geht auf ein altes Dorf zurück, das unter Namen Stralow hier entstand und 1920 Teil Groß-Berlins wurde. Archäologische Funde schon aus der Steinzeit zeigen, dass die wunderbare Halbindels der älteste Siedlungskern im heutigen Berliner Gebiet ist. Die wussten schon damals, wo es wirklich schön ist. Auch germanische und wendische Siedlungen dort sind belegt worden. Schon im 13. Jahrhundert wurde der Name Stralow erstmals belegt, wobei unklar ist, ob der damals erwähnte Ritter Thidericus von Stralow mit der Siedlung in irgendeinem Zusammenhang stand, was jedoch von Ritter Rudolf von Ystralowe vermutet wird, der sie wenig später erwähnte..

Auch für die erste Erwähnung des Fischerdorfes Stralau werden unterschiedliche Jahre genannt. So legte im Jahre 1288 der Markgraf Otto V. die Grenze zwischen Berlin und Rosenfelde neu mit dem Stralower Damm fest, der zumindest auf das Dorf Stralow verweist. Nur 70 Jahre später taucht im Jahre 1358 Stralow erstmals in einer Urkunde auf, als die damals noch Doppelstadt Berlin-Cölln das Dorf vom damaligen Besitzer, dem Ritter Nicolaus Batolpsdorf kaufte - vermutlich mit Bauern, da es doch rund 450 Jahre vor der preußischen Bauernbefreiung durch den großen Freiherren vom Stein war. Die im Boden der Halbinsel gefundenen Überreste einer Ritterburg aus dem 13. Oder 14. Jahrhundert deuten auch auf einen Rittergutsbesitz hin.

Historisch bekannt war immer auch der Stralauer Fischzug als ein großes Volksfest, das jährlich am 24. August, dem Bartholomäustag, eine Woche lang stattfand. Dies hängt damit zusammen, dass Kurfürst Johann Georg von Brandenburg in einem Edikt vom März 1574 das Fischen von Ostern bis Bartholomäus verbot. An diesen früheren Fischzug erinnert die Figur des Stralauer Fischers vor dem Rathaus Treptow aus dem Jahre 1916. Da das Fest jedes Jahr in wüstere Besäufnisse, Schlägereien und andere orgiastische Feierlichkeiten ausartete, wurde es schließlich 1873 vom Amtsvorsteher verboten. Nach einem kurzen Wiederaufleben des Festes 1923 beschlossen die Behörden, dass es doch besser wäre für Ruhe und Ordnung zu sorgen und verboten es wieder, als nach der Wende sich ein Freundeskreis um ein Wiederaufleben bemühte, mangelte es an Geld und Sponsoren, so starb auch dieser Versuch im Nichts.

Stralau und die am Nordufer gelegene Rummelsburger Bucht gelten als die Geburtsstätte des Segelsports in Deutschland. Hier wurden bereits 1830 die ersten Segelvereine gegründet, die erst später an den Wannsee und in die Umgebung zogen, wo es genug noch größere Reviere gibt. Immer noch finden sich einzelne auch Segelyachten an den Anlegestellen, die ich auf meinem Weg um die Stralau passierte.

Besonders der neue Bahnhof Stralau-Rummelsburg, der heute Berlin-Ostkreuz heißt, trieb die Entwicklung der Halbinsel voran. So gab es eine Brauerei, eine Glasfabrik, Werften und andere Betriebe des Handwerks. Von 1899 bis 1951 fuhr auch eine Straßenbahn auf der Stralau, die bis 1932 durch einen der ersten Unterwassertunnel unter der Spree bis nach Treptow führte. Gegen Ende des Weltkrieges war der Tunnel geflutet worden und wurde später nicht wieder in Gang gesetzt. Erhalten davon blieben nur die Tunnelstraße auf der Stralauer Seite, ein Hinweisschild mit einer Erklärung der Umstände und der Platz am Spreetunnel auf Treptower Seite.

Heute leben etwa 3000 Menschen auf der Halbinsel unter recht idyllischen Bedingungen, um 1910, als es noch Industrie hier gab, waren es noch über 4000 gewesen, während 1817 nur 76 dort siedelten. Als 1920 Groß-Berlin entstand, wurde aus den Teilen Stralau, Stralauer Viertel und Königsstadt der Bezirk Friedrichshain gebildet, der heute eins mit Kreuzberg wurde.

Kaum hatte ich die laute Straße verlassen und tauchte in die Welt der Insel ein, überlegte ich auch schon, wie ich das Dorf Alt-Stralau wieder verlassen, um am Flussufer die Halbinsel umrunden zu können. Die erste Chance vergab ich noch, weil ich mit dem Hinweis zu dem Parknamen nichts anfangen konnte, fürchtete, die Brücke führte mich nur auf die andere Spreeseite abe nicht an deren Ufer. Dann mit Hilfe von Google wagte ich den nächsten Stichweg, der zwar auch noch mehr nach einer Einfahrt der vielen quadratischen Neubauten hier aussah und kam ans traumhaft schöne Ufer. Ganz von Ferne nur hörte ich noch den Lärm der Straßen, die ich gerade verließ, sanft plätscherten die Wellen der Spree gegen das Ufer, hier und da schaukelte ein kleines Motorboot, Trauerweiden ließen ihre hängenden Äste über dem Fluss baumeln und bewegten sich im sanft herbstlichen Wind eher schüchtern vornehm.

War in einem ruhigen, vornehmen Paradies angekommen und genoss die Ruhe dort nach der Hölle des Weges über den Alex und die viel befahrenen Straßen entlang um so mehr. Nichts als ein Plätschern, mal das Quaken einer Ente, das Rauschen des Windes in den Weiden, die dort standen und mit den Trauerweiden um die Wette sich hängen ließen.

Bis zur Dorfkirche kurz vorm Ende der Halbinsel flanierte ich so ruhig am Ufer, begegnete einigen viel zu hektischen Joggern, die mich wieder verstehen ließen, warum ich lieber lange Strecken flanierte als kürzere Zeit hektisch zu rennen. Auch einzelne ältere Menschen, die sich oder ihre Hunde spazieren führten, traf ich dort und konnte in die Häuser am Weg sehen - neue Bauten aber nicht höher als drei Etagen, über die sich schicke Wohnungen mehr oder weniger spießig eingerichtet verteilten. Weniger Lichterketten oder Gartenzwerge als im Wedding und, oh Wunder, einige ganz ansehnliche Bibliotheken, zumindest von Menge und Ansicht aus der Ferne, über Inhalte kann ich natürlich nichts sagen, da ich mich hütete, sie nah heran zu zoomen, doch schien so manche Wohnung relativ kultiviert eingerichtet, während in anderen nur riesige Fernseher leuchteten und das trotz dieser traumhaften Aussicht auf das Ufer, aber, was du immer hast, weißt du selten auch zu schätzen.

Die Dorfkirche und der sie umgebende Friedhof zwangen mich dann, ein wenig Abstand vom Flussufer zu nehmen, um diese älteste Dorfkirche Berlins zu umrunden und zu würdigen. Die Kirche wurde 1462 fertiggestellt und natürlich traditionell am Bartholomäustag, dem 24. August, geweiht. Sie steht etwa 500m vor dem Ende der Landzunge auf der Stralau. Der weithin sichtbare Glockenturm ist nicht alt sondern neugotisch aus dem Jahre 1834 nach Plänen von Langerhans gebaut worden. Auch sonst erfuhr das Gotteshaus einige Veränderungen in seiner Geschichte und sichtbar alt sind nur noch der einschiffige Mittelbau und der diesen abschließende Chor in schlichter Schönheit.

Groß stehen vor der Kirche die Stelen, die von ihrer Geschichte stolz erzählen als sei sie mindestens ein Speyrer Dom diese kleine Dorfkirche auf der Halbinsel. Der Chor zeigt die typische Gestaltung der Kirchen in der Spätgotik, wie sie sonst in Berlin nur noch die Dorfkirche in Dahlem aufweist, in der ich vor kurzem die Taufe der Tochter meines besten Freundes erleben durfte, da mich sonst in diese Tempel des Aberglaubens wenig zieht als die Kunstgeschichte, wo sich in und um Berlin der Besuch selten lohnt, wofür der gruselige Berliner Dom immer noch das beste und abschreckendste Beispiel ist. Auch für den Geschmack der DDR Regierung, die dieses Machwerk des späten Wilhelminismus stehen ließ aber das schöne Schloss daneben abriß, um ihren unterdurchschnittlichen Palast der Republik an die Stelle des Schlosses zu platzieren - zumindest gaben sie damit dem folgenden Alexanderplatz mit Dom und ihrem Palast einen an Hässlichkeit kaum zu überbietenden Eingang, den sie dann doch noch dort zu unterbieten schafften.

Der in der Kirche vorhandene spätgotische Altar kam erst nach 1962 dorthin, als der dortige Pfarrer ihn auf Hamsterfahrten in die Umgebung wiederentdeckte und die Gemeinde Finsterwalde diesen der gerade renovierten Kirche schenkte. Der Taufstein, der auch spätgotisch, wohl möglich sogar älter als die Kirche ist, wurde aus dem Märkischen Museum zurück auf die Insel geholt und eine Orgel haben sie auch noch, aber dies ist alles nur theoretisch, ich betrat die verschlossene Kirche nicht, sondern lief lieber wieder ans Ufer und folgte diesem die letzten Meter bis zu seinem Ende, um dann an der anderen Seite zurück zu gehen. Von dort sind dann auch die beiden Inseln, der größere Kratzbruch und die kleinere Liebesinsel zu sehen.

Folgte dem wunderbaren Weg an der Küste der Halbinsel entlang und es war zeitweise wie ein Hafenspaziergang, die Boote klapperten am Rand, ich blickte auf den Rummelsburger See wie die Bucht nördlich der Halbinsel heißt und nach Rummelsburg hinüber, wo die neuen Siedlungen bis ans Ufer reichten. Lief um die See genannte Bucht, gen Rummelsburg herum, betrat dieses ein Stück nach der Biegung des U auf der anderen Seite, der Stralau gegenüber, warf noch einen Blick zurück auf dieses Paradies der Ruhe und Entspannung, bevor ich mich wieder in die Stadt stürzte.

Die Marktstraße führte mich von dort zur Boxhagener Straße, der ich teilweise folgen wollte. Teilweise nur, weil  ich endlich auch den berühmten Boxhagener Platz umrunden wollte, dessen Berühmtheit mir danach noch schleierhafter ist. Aber was für ein Wechsel, von der ländlich ruhigen Insel, an der Schiffe am Rand und Bäume noch das lauteste waren, mitten in die Boxhagener im Friedrichshain. Diese wird von der Straßenbahn durchquert, dazwischen Autos und Rettungswagen, die mit vollem Presslufthorn um die Aufmerksamkeit der Massen ringen, die sich hier von Kneipe zu Bar und Späti schleppen, um ihren Spaß zu haben.

Dett ist eben Berlin, massenhaft Partyvolk auf der Suche nach der neuesten Action, reichlich bekifft oder betrunken, obwohl Donnerstagabend nur. Daneben einige Anwohner, die ihre Einkäufe genervt an den Horden vorbei transportieren wollen oder mit dem Herren vom Späti sich um eine Diskussion bemühen. Ähnlich wie auf meinem Berg nur etwas jünger und wilder, nerviger und hektischer. Späti wechselt sich mit Bar, Kneipe, Restaurant, Schnellimbiss, Boutique und Tattoo-Studio ab. Wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum sich so viele nicht gerade schöne Menschen noch zusätzlich durch diese grässlichen ewigen Körpergemälde verunstalten müssen. Es ist halt geil und Mode ein Tattoo zu haben, bei manchen zumindest und so wird diese schon länger Mode der Matrosen und Hafenarbeiter zu einer der Massen und dadurch noch lächerlicher und Mitleid erregender.

Verließ die zu laute Boxhagener so bald es ging, nur leider eine zu früh, was ich dann aber mit Googles Hilfe, Google sei Dank, wieder korrigieren konnte und beim dritten Versuch bei meinen Wanderungen im Friedrichshain endlich den Boxhagener Platz fand. Naja, Platz im dunkeln halt. Wenige nette Bäume, einige Lichter an Bars und Pinten drumherum, nicht hässlich, aber auch nichts irgendwie besonderes, ein Platz mitten in Berlin eben, hässlicher als der Helmholtzplatz natürlich aber wohl hipp, auch des sonntäglichen Flohmarkts wegen - vielleicht muss ich noch mal wiederkommen.

Verließ den Szenekiez über die Straße nördlich des Platzes, lief auf ziemlich direktem Weg dann zum Volkspark Friedrichshain, den ich durchquerte, um dann durch Bötzow Kiez, Wins Viertel und Kollwitz Kiez zum heimischen Helmi zu kommen, an dem ich mir nach gut 30 km einen schönen Riesling vor dem Misirlou gönnte.

jens tuengerthal 9.11.2017

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