Mittwoch, 15. November 2017

Rückzugssieg

Kann Rückzug ein Sieg sein oder nie?

Wer sich zurückzieht, überlässt dem anderen das Schlachtfeld. Damit wird zumindest dies verloren gegeben und sei es auch nur, um Kräfte zu schöpfen und danach siegreich zurückzuschlagen oder den Gegner aus einem Hinterhalt aufzulauern.

Montaigne schreibt am Beispiel der Kriege im Norden Italiens, bei denen er seinen König gegen den Kaiser begleitete einiges über den ehrenvollen Sieg und den tatsächlichen und was die schmählichen Siege je wert sein können, verglichen mit einer ehrenvollen Niederlage.

Seiner Meinung nach hat die Ehre, die den Ritter dazu bringt offen und ohne Hinterhalt nur mit reiner Manneskraft um den Sieg zu ringen, zwar manches für sich, doch sei ein Krieg eben kein Boxkampf leider und nutzt die Ehre am Ende wenig, wenn die Schlacht verloren ging und die Betroffenen so gefangen gesetzt werden und die ehrlosen Sieger sie trotz ihrer Verdienste in der Schlacht einfach würdelos behandeln, warum es von Zeit zu Zeit klug sein kann, die Ehre zu vergessen, wenn es um den Sieg geht, zumindest, wenn der Gegner es schon tat und die Chancen ansonsten nicht gleich verteilt wären.

In diesem Zusammenhang argumentiert Michel de Montaigne, dass ein Rückzug durchaus keine Schande sein muss, wenn er taktisch klug genutzt wird und die eigene Position sogar stärkt, die am Ende der Ehre um so mehr Raum gibt, weil der Richtige gewann - wer nun der Richtige ist, lässt sich einfach nur für diejenigen beantworten, die einem Bündnis treu verbunden sind, wie Montaigne in diesen Kriegen dem König von Frankreich, welcher Franz oder Henry es nun auch war. Als deutscher Beobachter würde sich diese Frage vermutlich anders stellen - sollte zum deutschen Kaiser gehalten werden, Karl V. oder seinem Bruder Ferdinand später, damit auch das Kapital der großen deutschen Bank namens Fugger gesichert wäre oder war es ein Gebot der Vernunft etwa im Interesse auch der Hanse und was von ihr noch übrig war, dass ein die Welt beherrschendes Haus wie Habsburg nicht zu stark wurde, was ja auch der Papst wohl dachte, warum er sich gern mit den Franzosen  in der Heiligen Liga verbündete gegen Karl, der König in Spanien, Kaiser in Deutschland, Herzog von Burgund und Herrscher der spanischen Kolonien rund um die Welt war.

Die Geschichte ist bekannt, der Franzose verlor, Karl nahm den Gefangenen König mit nach Spanien, ließ ihn auf Ehrenwort wieder frei, worauf dieser ihm, kaum war er wieder in Frankreich gemeinsam mit dem Papst eine Nase drehte und Karl nicht viel unternahm, als seine unbezahlten Söldner das Gold von Rom einsackten beim eben Sacco di Roma.

Was dort mit dem Papst auf der Engelsburg geschah, ob damit die italienische Renaissance endete, ist reichlich und oft in Kunst und Literatur diskutiert worden, kann jeder nachlesen, den es interessiert - für die Frage, ob ein Rückzug ein Sieg sein kann, hilft es uns nicht mehr viel weiter.

Spannender könnte da schon sein, ob der Rückzug Karls V. von der Macht und die Aufteilung seines Reichs zwischen Bruder und Sohn als Erben ein Sieg für seine Freiheit war oder die Kapitulation vor einer zu großen Aufgabe. Wer sich Karls etwas selbstmitleidigen Brief zum Rücktritt als Herrscher von Burgund und überhaupt von allen Ämtern durchliest, könnte denken, einen bescheidenen Mann vor sich zu haben.

„Vor vierzig Jahren, am selben Ort, am Vorabend des Dreikönigstages, hat mich der Kaiser, mein Großvater, für volljährig erklärt. Dann wurde ich König von Spanien, dann selbst Kaiser – Ich habe die Kaiserkrone gesucht, nicht um über noch mehr Reiche zu gebieten, sondern um für das Wohl Deutschlands und der anderen Reiche zu sorgen, der gesamten Christenheit Frieden und Eintracht zu erhalten und zu schaffen und ihre Kräfte gegen die Türken zu wenden. Ich habe darum viel beschwerliche Reisen machen, viele beschwerliche Kriege führen müssen … aber niemals mutwillig, sondern stets sehr gegen meinen Willen als Angegriffener …“

„Große Hoffnung hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt, und nur wenige bleiben mir: und um den Preis welcher Mühen! Das hat mich schließlich müde und krank gemacht. Ihr wisst alle, wie sehr … Ich habe alle Wirrnisse nach Menschenmöglichkeit bis heute ertragen, damit niemand sagen könnte, ich sei fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich, die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Glaubt nicht, dass ich mich irgend Mühen und Gefahren entziehen will: Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. Vertraut meinem Sohn, wie er euch vertraut, seid einig, übt stets Gerechtigkeit und lasset den Unglauben nicht in eure Reihen.“

„Was mich betrifft: ich weiß, daß ich viele Fehler begangen habe, große Fehler, erst wegen meiner Jugend, dann wegen des menschlichen Irrens und wegen meiner Leidenschaften, und schließlich aus Müdigkeit. Aber bewusst habe ich niemandem Unrecht getan, wer es auch sei. Sollte dennoch Unrecht entstanden sein, geschah es ohne mein Wissen und nur aus Unvermögen: ich bedaure es öffentlich und bitte jeden, den ich gekränkt haben könnte, um sein Verzeihen.“

In Wirklichkeit war dies die Rückzugserklärung des Kaisers in dessen Reich die Sonne nie unterging. Einer der zentralen Gestalten der deutschen Geschichte, um die sich so viel dreht, von der Geburt in Gent im flandrischen Herzogtum Burgund, dem damals habsburgischen Erbe, das nach seiner Abdankung den spanischen Habsburgern und damit seinem Sohn König Philipp II. zufiel, was die spanischen Niederlande entstehen ließ, die hundert Jahre mit der protestantischen Republik der Niederlande Krieg führten, dessen Ende auch erst im Frieden von Münster nach dem Dreißigjährigen Krieg besiegelt wurde, fast hundertzehn Jahre nach dem Tod Karls unter dem die konfessionellen Auseinandersetzungen im deutschen Reich eskalierten und die heute Belgien heißen, innerlich gespalten zwischen Flamen und Wallonen und doch die Hauptstadt Europas beherbergend.

So focht Karl schon den Schmalkaldischen Krieg gegen die Lutheraner aus, enthob den Kurfürst von Sachsen, den Förderer Luthers, seines Amtes und teilte desse Reich auf. Doch die Früchte dieses Sieges, von dem einige prächtige Bilder von Karl in seiner schwarzen Ritterrüstung hoch zu Ross zeugen, wie es damals noch der Ehre entsprach, konnte er nicht wirklich ziehen, denn schon bald kam es zum Fürstenaufstand und auf dem Rückzug von diesem musste er mit dem Augsburger Religionsfrieden den verhassten Protestanten große Zugeständnisse machen, die das Reich dann noch für einige Zeit relativ stabil hielten.

Als Karl genug vom Reisen und Regieren hatte, zog er sich in ein Kloster zurück, in dem er ein nach seinen Plänen gebautes Landhaus im Stil der italienischen Renaissance bezog und für einen Kaiser relativ bescheiden lebte, im Austausch nur mit den Mönchen und relativ wenigen Bedienten, versuchte jeden Kontakt mit der Welt zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt war der bereits ergraute Kaiser 56 Jahre und hatte noch zwei Jahre zu leben. Die Malaria raffte ihn mit Fieberschüben bald hinweg - ein Folgeschaden des Weltreichs.

War dieser Rückzug in geistige Welten der Literatur, Philosophie und Religion eine Niederlage, hatten Karls viele Feinde auf der ganzen Welt den Kampf gewonnen?

Karl war elf Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus im Auftrag seiner Großeltern Ferdinand von Kastilien und Isabella von Aragon und damit erstmals von Spanien, dass sie sehr blutig und intolerant von den Mauren befreiten, in den burgundischen Niederlanden geboren worden. Burgund hatte noch sein Großvater der Kaiser Maximilian I. für Habsburg erheiratet und als Erbe von dessen Erben Philipp dem Schönen, der früh starb, worauf seine Frau Johanna, die Tochter von Ferdi und Isabella, wahnsinnig wurde angeblich, hatte Karl auch das neben der Kaiserwürde später geerbt. Spanien kam von der Mutter, eben jener Johanna, die der liebende Sohn noch oft und lange in ihrem Kloster besuche, ob sie nun wirklich wahnsinnig war oder nur ganz normal depressiv einmal dahingestellt.

Die Weltmacht hing an den Kolonien Spaniens rund um den Globus, über dessen Rundung die Renaissance noch mit tödlichem Ausgang für  manche stritt, auch wenn das mittelalterlich eher anmutet, was wiederum an den Spitznamen von Karls Großvater Maximilian erinnert, den sie den letzten Ritter nannten.  Noch bevor der Enkel Kaiser wurde befragte Opa Max noch Luther erstmals auf dem Reichstag zu Worms mit den bekannten Folgen.

Der einst mächtigste Mann der Welt zog sich auf dem Gipfel der Macht zurück, teilte sein Reich, weil es einen überforderte, wie er meinte. Nach ihm begannen noch hundertfünfzig Jahre Inzucht zwischen den beiden Häusern Habsburg in Spanien und Österreich, was den letzten Karls noch deutlicher am Gesicht anzusehen ist als dem Großvater schon - dann verloren die Habsburger das spanische Erbe an das französische Haus Bourbon, das durch Hochzeit tatsächlich rechtmäßiger Erbe gewesen wäre, unter Ludwig XIV., der sich nach vielen Jahren spanischen Erbfolgekrieg doch wieder selbst zurückziehen musste, womit das Haus Bourbon zwar bis heute die Könige in Spanien stellt, die  jedoch nichts mit dem französischen Haus zu tun haben durften, was sich aber keine hundert Jahre später, 1789 erstmals erledigte und nach kurzem Aufflammen 1870 endgültig Geschichte wurde.

Sprächen wir nun noch von den beiden Sizilien, dessen Erbe seit den Staufern, von denen es über Umwege nach Spanien kam, würde die Verwirrung von Rückzug und Sieg vollständig, denn auch als Richard Löwenherz auf dem Weg ins Heilige Land, dort rastete, ein wenig aufräumte, sich verliebte und gegen alle Pläne heiratete und was es mit dessen Rückzug aus dem nicht eroberten Heiligen Land auf sich hat und seinem Versuch der Flucht durch Deutschland, die in Wien peinlich misslang, was London sehr viel teurer kam als alle glaubten, sogar als der Brexit aus Brüsseler Sicht, und damit auch im Krieg in Frankreich schwächte, auch wenn angeblich erst die später heilige Johanna von Orleans für die Befreiung Frankreichs von den Engländern sorgte, die selbst von den Normannen aus der Normandie 1066 den Rückzug hatten antreten mussten und dennoch unter Victoria zur stärksten Macht der Welt wurden und es bis zum Auftritt der USA auf der Weltbühne und dem Verlust ihrer Kolonien blieben.

Die Normannen wiederum waren von Norden an die nordöstliche Küste Frankreichs gekommen, hatten sich assimiliert, nachdem sie einen Teil der Bevölkerung niedergemetzelt hatten und sich an der Küste angesiedelt, die seit 1066 mit England verbunden war. Aber auch die Nachfahren der herrschenden Häuser York und Lancaster in England metzelten sich über viele Jahre nieder, in den Rosenkriegen, die später Pate für manchen Scheidungskrieg standen, in denen die Überreste der Gefühle vor Gericht gezogen wurden.

Als Sieger aus diesen ging wiederum das Haus Tudor hervor, dass nach Henry VII. den achten Heinrich hervorbrachte, der so manche seiner Gattinnen einen Kopf kürzer machen ließ, eine neue Kirche gründete, weil Rom ihm die Scheidung verweigerte und mit der dann anglikanisch geheirateten Gatinn zeugte er Elisabeth, die berühmte rothaarige Königin, die England zur Weltmacht mit Hilfe auch ihres Piraten Drake aufbaute und nach den Siegen über die spanische Armada, die wiederum ihren zurückgewiesenen Galan Philipp II. in den Konkurs stürzten, den Sohn von obigem Karl, der seinen Rückzug in so schöne Worte fasste und die nie heiratete, um nicht ihre Macht zu verlieren. Worufhin das Haus Tudor endete und der von ihr adoptierte Sohn ihrer Kusine und lebenslangen Gegnerin Maria Stuart, die sie noch hatte köpfen lassen, König wurde und England und Schottlands Kronen vereinte.

Elisabeth erbte die Krone übrigens nicht von ihrem rothaarigen Vater, dieser vermachte sie zunächst dem wesentlich jüngeren Sohn und nach dessen Tod griff zuerst ihre Schwester Mary zu, genannt die katholische oder blutige Marie, weil sie so viele Anglikaner beim Kampf um den rechten Glauben  niedermetzeln ließ und ihre rothaarige Schwester erstmal in den Tower sperren ließ. Diese war die Tochter Henrys aus der ersten Ehe mit der Tochter von Ferdinand und Isabella also den Großeltern von Karl V., die Schwiegereltern des zweiten Tudorkönigs waren.

Elisabeth zog sich von allen Heiratsplänen zurück, auch als die wirklich gute Partie Philipp II. als König von Spanien und Sohn des Kaisers in dessen Reich die Sonne nie unterging, um sie warb, gab sie dem stolzen Spanier einen Korb, der sich die wieder katholische Vereinigung ihrer Reiche so schön vorgestellt hatte und darum auch gleich in seinem Stolz gekränkt mit seiner ganzen Armada vor England anrückte, die widerspenstige Braut zu unterwerfen. Zwischen Ehe und Krieg ist es, wie im richtigen Leben, manchmal nur ein kleiner Krieg. Dass Elisabeth ihn zuvor schon lange mit ihren Piraten ärgerte und beraubte, kam erschwerend hinzu.

Um den rechten Glauben kämpfte zu Zeiten von Elisabeth auch der Hugenotte Heinrich von Navarra in Frankreich, der die Krone des südlichen Reichs von der Mutter erbte, während er seinen Namen Bourbon vom Vater hatte und damit auch die Verwandtschaft mit dem französischen Königshaus Valois, das trotz vieler Erben, die Franz noch mit Katharina Medici zeugte, an der Bluterkrankheit schneller als erwartet ausstarb. Die Hochzeit des Henry, der später als Quatre bekannt wurde, brachte die Bartholomäusnacht hervor, bei der nicht ganz klar ist, ob sie die Schwiegermutter inszenierte, die rachsüchtige Verwandtschaft oder es tatsächlich der Ausbruch des Volkszorns fanatischer Katholiken waren, von denen einer später auch Henry wieder umbrachte, als der längst Katholik wieder geworden war, da Paris ihm bekanntlich eine Messe wert war. Dieser Rückzug führte Henry zum Sieg und sein späteres Edikt von Nantes führte für zumindest 80 Jahre zum Frieden zwischen Hugenotten und Katholen, bis sein katholischer und von einem Kardinal, dem berühmten Mazarin, wobei die Verwandtschaft mit der jüdischen Familie Matzerath ein Gerücht sein soll, erzogener Enkel, der Sonnenkönig Ludwig XIV., dieses wieder widerrief.

Die Aufhebung dieses Edikts und die Vertreibung der Protestanten, deren Rückzug aus Frankreich sorgte wiederum für den Aufstieg Preußens, das viele fähige Handwerker und Offiziere begrüßen konnte und in Berlin hat die Tradition der Hugenotten viele Spuren hinterlassen - das erste Edikt zur Aufnahme und Toleranz diesen gegenüber erließ übrigens der Große Kurfürst, seines Zeichens Urgroßvater des Alten Fritz, der später auch zahlreiche Rückzüge gerade noch überstand, die ihn zum Helden Europas machten, der immer bei seinen Truppen an der Front kämpfte. Zu den begrüßten Hugenotten gehörte auch die Familie Fontane in Neuruppin, aus deren Reihen später der berühmte Schriftsteller mit Namen Theodor hervorging, der zum Dichter des alten Preußen wurde, was er humorvoll und schöner beschrieb als jeder nach ihm und der auch eine nicht unbedeutende, wenn auch später verheimlichte Rolle in der ersten deutschen Revolution im Berlin des März 1848 spielte, aber von der Politik zog sich der Literat später zurück in den Tunnel über der Spree.

Glauben wir die Geschichte aus dem Märchenbuch Bibel, hat der Rückzug der Familie von Jesus während der Zeit der Verfolgung diesem das Leben gerettet und der Menschheit einen auch nach über 2000 Jahren noch nicht ganz überwundenen Aberglauben beschert. Im Sinne der Gläubigen war der Rückzug ein Hauptgewinn. Das Prinzip Rückzug vor Gegenwehr wurde auch später zum Gegenstand der Predigten dieses Gurus, der etwa in seiner Bergpredigt den Gläubigen vorschlug lieber noch die andere Wange hinzuhalten, wenn sie einer schlägt, statt sich zu wehren. Andererseits hielt er rabiate Gegenwehr seinerseits gegen die Händler im Tempel für legitim, beschädigte der Sage nach deren Eigentum und vertrieb sie vom Ort ihrer Geschäfte aus angemaßter Autorität, die ihm für die  jüdische Religion nur einige weniger seiner Anhänger zugestanden. So ist er eben wie alles menschliche auch ein wenig widersprüchlich.

Den Hokuspokus vom Gottessohn oder Messias betrachte ich nur als Folklore im Sinne der jüdischen Tradition, weil diese Sekte eben einen Messias erwartet, der ihnen Erlösung bringen soll. Spannend dabei ist aber das Ende der Geschichte, in der sich der angebliche Messias ans Kreuz nageln lässt, um für die Menschen zu sterben und sie durch seinen Tod zu erlösen. Habe mich schon manches mal gefragt, welche Drogen einer genommen haben muss, der ernsthaft meint, sein Rückzug könne die Welt retten und sein Tod die Menschen erlösen und das 250 Jahre nach dem großen Denker Epikur, der schon den ganzen Aberglauben eigentlich lächerlich und überflüssig machte, 90 Jahre nach Lukrez, der den Geist des Epikur auch für die Römer weckte und allen Aberglauben mit höchster Klugheit lächerlich machte.

Noch immer scheint vielen Menschen der Rückzug von der Welt in ein geträumtes Himmelreich verlockend - so auch den Islamisten, die sich als Bombe einsetzen, um für ihren Glauben zu kämpfen. Ist der Rückzug von der Welt, hinein ins Nichts, das uns mit Epikur nichts angeht ein Sieg und macht uns diese innere Lösung von allen irdischen Bedürfnissen frei oder nur blöd und psychisch krank - ist ein fester Glaube also eine sichere Burg oder doch eigentlich eher ein pathologischer Zustand, der nur im normalen Rahmen noch toleriert wird, weil er vielen Menschen beim Gehorchen hilft?

Als anlagebedingt leicht cholerischer Mensch, jedenfalls spricht manches des familiären Erbes dafür, ziehe ich mich inzwischen aus allen Konflikten möglichst zurück, damit ich keinen Unsinn mache oder mich blamiere. Ist ein solcher vorausschauender Rückzug nun feige oder weise und schließt das eine das andere aus?

Wie immer gibt es auch zum Rückzug nicht die Wahrheit die immer und für alle gilt sondern nur Sichtweisen, mit denen wir mehr oder weniger gut leben können, je nach Neigung. Da alles Gute seine Zeit braucht, ist Geduld stets empfehlenswerter als Drängeln, führt Gelassenheit eher zum Glück als rasende Ungeduld. Aber auch da kommt es sicher darauf an, was ich als Glück definiere. Bevor ich aber nun völlig im Sumpf der Relativität versinke, ziehe ich mich lieber zurück, um ungestört ein gutes Buch zu lesen.

Der Herbst mit seinem zwar prächtig farbigen Glanz aber auch dem langsamen Sterben der Natur um uns vor der Erstarrung im Winter ist auch klimatisch bedingt eine Zeit des Rückzugs auf der Nordhalbkugel - wie Rilke noch eins dichtete - wer nun kein Haus hat findet keines mehr. Liebe diese Zeit mehr als jede andere, vermutlich liegt mir darum der Rückzug mehr als die Sturmtruppen mit ihrem lächerlich ahnungslosen Drang ins Ungewisse.

jens tuengerthal 14.11.2017

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