Mittwoch, 1. November 2017

Reformationsthesen

Das Land unter der protestantischen Pfarrerstochter Merkel begeht den Reformationstag in diesem Jahr als Feiertag im ganzen Land, damit sich auch die katholischen Gebiete über das 500. Jubiläum der Abspaltung freuen können und die Kirchenführer reden von Ökumene. Luther wurde auch von Playmobil geehrt und einer Figur für würdig befunden. Das Land feiert den ehemaligen Mönch Martin, den ein Blitzschlag vom Juristen zum Glaubensmann machte.

Ob er seine 95 Thesen tatsächlich an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, die damals als Pinnwand der Nation diente, ist mehr als ungewiss - er hat sie zumindest sicher dem Reichserzkanzler und Bischof von Mainz und andere Würdenträger gesandt in der Absicht die Kirche zu reformieren und vom Ablasshandel abzubringen, bei dem mit Geld das Seelenheil erkauft werden könnte, was dringend zur Finanzierung des Petersdoms gebraucht wurde. Ein im eigentlichen Sinne gutes Geschäft, wie es etwa der Erfindung von Facebook im Wert entspricht. Es wurde nichts geboten und dafür fühlten sich die Teilnehmer toll. Manche Kirchenhistoriker halten die Thesen heute für weniger bedeutend und seine Schrift an den Christlichen Adel deutscher Nation für viel entscheidender in der Entwicklung des Landes.

Das sollen sie mal meinen und diskutieren in ihrem Verein, wie es ihnen gefällt. Sicher ist jedenfalls, dass der Mönch mit seinen Thesen eine Diskussion in Gang brachte, die ihn schließlich vor den Reichstag nach Worms brachte, wo die Reichsacht über ihn verhängt wurde, weil er seine These mit welchen Worten auch immer nicht widerrufen wollte. Gerüchteweise sagte er dabei - hier stehe ich, ich kann nicht anders. Auch die Wahrheit dieser geflügelten Worte mag dahinstehen, denn wichtiger für das Land und seine Sprache war die Entscheidung des Landesherrn Luthers, ihn auf dem Heimweg scheinbar zu entführen, um ihn vor der Verhaftung zu schützen und ihn dafür auf der Wartburg unterzubringen, wo er seine Bibelübersetzung im besten Behördensächsisch anfertigte, die dank der zu Mainz schon vorher erfundenen Druckerpresse schnell die Runde im Reich machte in einem Exemplar mit wunderbaren Bildern aus der Werkstatt von Cranach aus Wittenberg.

Die einheitliche Schrift prägte das Land und brachte im Sprachraum mehr Einheit als es das alte Reich, das sich auf heilige römische Traditionen berief, unter den Habsurgern noch hatte.

Das alles wäre sicher der Ehre wert und zum 500. Jubiläum dafür einen Feiertag mal zu geben, klingt mehr als vernünftig. Dass auch die Sender das Publikum noch lutherisch heute berieseln ist wohl systemimmanent.

Andererseits ist Luther damit auch der geistige Vater des längsten Krieges auf deutschem Boden gewesen, der von 1618 bis 1648, lange nach seinem Tod  begann und 30 Jahre währte. Ist er der Begründer der Kirchenspaltung über die nur Scheindebatten geführt werden, da Rom seine Wahrheit nicht aufgeben will und die Reformierten ihre Vorrechte, was keinen vernünftigen Menschen weiter interessieren müsste. Sollen doch die hiesigen Sekten ihre Probleme der Ordnung und Vereinssatzung intern lösen.

Was geht ein demokratisches Europa diese Reformation noch an?

Sie hielt die Renaissance in Deutschland auf, denn auch der protestantische Geist war nicht humanistisch sondern nur eine sanftere Version des mittelalterlichen Aberglaubens, der auch Frauen zuließ und jeden selbst den Weg zu Gott suchen ließ, Priester heiraten ließ, wie es der ehemalige Mönch Dr. Martin nun mit Katharina von Bora der entlaufenen Nonne tat, was als schwere Sünde galt, warum alle erst fürchteten, sie würde nur Mißgeburten auf die Welt bringen, was sie dank der Natur natürlich nicht tat.

Es war eben in vielen Köpfen noch tiefstes unbefreites Mittelalter und solches finden wir auch in den Worten und Schriften Luthers immer wieder. Ob es um Hexen oder Juden ging, er war mörderisch intolerant und schaffte statt alter nur neue Dogmen, die keiner brauchte, der kritisch und vernünftig denkt.

Die Kirchen sind überflüssig und der Glaube ist überflüssig, vernünftig  betrachtet. Hätte sich unter Luther nicht die Kirche gespalten wäre ihre allmähliche Auflösung unter den dekadenten Renaissance Päpsten relativ wahrscheinlich gewesen.

Sie verlor zunehmend an Macht und der Sacco di Roma, von dem viele sagen, er beendete das goldene Zeitalter des Humanismus und der Renaissance in Italien, war zwar ein Ausrutscher der Truppen Karls V., die nicht bezahlt wurden, aber hatte sonst keine gravierenden Folgen in den Beziehungen des mächtigsten Weltenkaisers zu Rom.

Die Abspaltung und die folgenden Krieg der reformierten Fürsten gegen die katholischen im Reich schwächte das gute Reich erheblich und beschäftigte die Bewohner mehr mit sich Totschlagen als mit dem eigentlich nötigen Humanismus und geistiger Entwicklung, die allein Frieden und Freiheit bringen.

Der Humanismus blieb auf der Strecke, die katholische Sekte einigte sich im Widerstand von außen zur Gegenreformation und so blieb das im Glauben bis heute geteilte Land ohne eigene Renaissance, von der Maler wie Dürer nur in Bildern aus Italien schwärmen konnte. Dabei wäre soviel gute Struktur da gewesen, auf der geistige Entwicklung hätte aufbauen können. Stattdessen schlugen sich die Menschen auf gerade grausamste Art gegenseitig tot, verwüsteten die Länder und brachten auch den Nachbarn manchen Krieg. Zu den Kriegen kam noch die Pest, die sich unter den katastrophalen Bedingungen der Menschen im Krieg noch weiter verbreitete und zur gegenseitigen Ausrottung noch ganz erheblich beitrug.

Auch wenn Luther sicher keine Schuld an der Pest trifft, kann ihre desaströse Wirkung ihm dennoch zugerechnet werden in der Art eines Mangelfolgeschadens, wie Juristen es nennen würden. Seine Reformation gepaart mit der Anbiederung an die Fürsten, denen er mehr geistige Macht und Autonomie versprach, hatte das große Gemetzel in Europa verursacht.

Kein Grund zu feiern also, wenn wir auf die Folgen schauen. Deutschland beschäftigte sich länger als nötig mit dem christlichen Aberglauben in seinen verschiedenen Varianten und verpasste den geistigen Anschluss an die Zeit. Bis heute beanspruchen Kirchen in Europa eine starke kulturelle Rolle und können dies durch nichts als tradierten Aberglauben rechtfertigen, der in zentralen Punkten den Freiheiten der Bürger Europas widerspricht, der nur von teils geschickten, manchmal auch wirklich klugen Theologen an die Bedürfnisse der Zeit und ihre Auslegung angepasst wurde.

Warum halten Menschen unaufgeklärt an diesem Unsinn bis heute fest?

Gibt es einen Grund diese Verzögerung in der Entwicklung auch noch zu feiern?

Sicher brachte Luther den Frauen mehr Freiheit, stellte die Freiheit des Christenmenschen und seinen persönlichen Weg zu Gott in den Mittelpunkt, stärkte damit das Individuum gegenüber der Kirche. Was ein Verdienst gegenüber dem Mittelalter war. Nur machten sie das in Italien in Auseinandersetzung mit klassischen Texten wie dem Lukrez, der alle Götter infrage stellte und dem Menschen Freiheit und Lust schenken wollte und sie taten es voller Lust und Glück, statt sich um den wahren Glauben zu grämen, beschummelten sie diesen.

Wiegt dieser Verdienst seinen schauerlichen Antisemitismus auf, der Juden brennen sehen wollte?

Kann dies rechtfertigen in Deutschland die Renaissance verpasst zu haben und sie durch die Reformation zu ersetzte, die den Geist fesselte?

Die Bauern, die sich im neuen Bewusstsein gegen die Fürsten wehrten, beschimpfte der Fürstendiener Luther und verfluchte sie auf mittelalterliche Weise. Einmal hat er mutig gegen die Satzung seines Vereins protestiert und dann halt eine neue Sekte gegründet, aus der noch mehr wurden - aber wen interessiert das wirklich?

Welche Rolle spielen diese Satzungsstreitigkeiten für die Welt von morgen?

Sollten wir diesen Tag noch irgend feiern außer als Mahnung Abstand von allem Glauben zu halten, den wir ab Dezember wieder mit einer großen Konsumorgie feiern werden?

Komme aus einer traditionell evangelischen Familie - es gibt einige Pastoren und Theologen unter meinen Vorfahren, auch mein Urgroßvater hat noch Theologie studiert und über was biblisches promoviert, meine Schwester hat als Lehrerin die venia legendi der evangelischen Landeskirche oder so ähnlich, was verstehe ich schon davon? Bin getauft und konfirmiert, in der Tradition der Familie aufgewachsen und die Vorstellung mit den Traditionen der Familie hier zu brechen, fällt mir, gegen alle Vernunft immer noch schwer.

Darum bin ich bis heute Mitglied in diesem Verein, dessen Gott ich nicht kenne, dessen Riten mir nichts sagen und dessen Begründer und Reformator ich für einen in vieler Hinsicht widerlichen Kerl halte, auch wenn er in manchem wirklich Großes vollbrachte. Vielleicht bin ich damit ein ganz normaler evangelischer Bürger im heutigen Deutschland, auch wenn ich mich eher als radikalen Aufklärer und Atheisten bezeichnen würde, wenn dieses Wort nicht auch diese tumben Gläubigen des Sozialismus so gerne für sich beanspruchten.

Weiß also zwischen Tradition und Moderne nicht immer so genau, was ich bin, zweifle halt und versuche die Dinge vernünftig zu begreifen - damit scheitere ich häufig auch an den Grenzen meines bescheidenen Verstandes, aber ich habe es zumindest versucht. Wenn mich einer fragt, warum ich mit meinem Denken, das dem Diderots und Holbachs näher ist als jeder Kirche noch in diesem Verein bin, denn nichts anderes ist es für mich, sage ich entweder aus Gründen der Tradition oder weil ich es wie König Salomon halte. Als der nämlich einmal in den Tempel kam und der Rabbi ihn fragte, was er denn hier wolle, wo er doch gar nicht an Gott glaube, antwortete der weise König mit Schulterzucken, tja, wüsste er denn, ob er Recht habe und diesen wunderbaren Witz erzählte mir ein jüdischer Freund der Familie, der als junger Mann Auschwitz überlebte, womit sich der Kreis schließt.

Was weiß ich schon, stellte als Frage der kluge Katholik Montaigne seinen Essays voran und war sein Lebensmotto in der Zeit der Hugenottenkriege in der es in seiner Familie wie unter seinen Freunden immer beide Seiten gab, er beriet die französischen Könige vor Henry IV wie diesen als er noch Heinrich von Navarra war und Protetant, war damit weiser als viele es heute sind - ich kann wissen, dass dieser ganze Aberglaube Blödsinn ist, zu Mord und Totschlag bis heute führt, aber mit einer bescheidenen Haltung, die sich auf ihr Glück zurückzieht, lebt sich besser und so genieße ich lieber die menschliche Liebe und überlasse den Himmel den Göttern und den Gläubigen, wer auch immer nun Recht hat, vielleicht braucht es irgendwann kein Recht mehr und wir sind lieber glücklich.

jens tuengerthal 31.10.2017

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