Mittwoch, 1. November 2017

Lesewetter

Sage immer, ich liebe den Herbst und frage mich gerade, ob ich dabei eher an die sonnigen Tage mit  dem bunten Laub denke oder die grauen verregneten Tage im November, wenn du in Berlin fast gar kein Licht mehr siehst und es gefühlt immer dunkler wird, der Nebel um die Häuser streicht, alles sich klamm und feucht anfühlt und du noch mit der Heizung haderst.

Denke zuerst an die sonnig bunten Tage, wenn ich sage, ich liebe den Herbst, doch wenn ich mich prüfe und nachdenke, finde ich es gerade so wunderbar wie nie im Jahr, in feuchtgrauer Dunkelheit lesend in warmer  Umgebung, den Tag zu genießen und keinen Ort gerade schöner zu finden als den Leseplatz mit einem heißen Tee und schönen Keksen.

Laufe auch meine täglichen Runden, um wieder mindestens zehn Kilometer am Tag gegangen zu sein, sich irgendwie gesund und beweglich zu halten und doch genieße ich gerade nichts mehr als dieses Zuhause zu sein - wie warm fühlt es sich an, wenn ich die Tür aufschließe und die lange Reihe der teils sehr filigranen, kleinen Schuhe meiner Prinzessin dort stehen sehe, wie einen Gruß aus wärmeren Zeiten und doch fühle ich mich nie so wohl wie jetzt in der Rolli-Zeit, wenn der Tee noch besser schmeckt und keine Vorstellung schöner ist, als am Kamin zu sitzen und zu lesen.

Auch wenn ich keinen Kamin habe und die Vorstellung eher eine theoretische war, ist sie doch so heimelig gemütlich, dass mir der November gleich noch schöner erscheint, in dem das Licht früh verschwindet und die Kaminstunden -  ob nun mit oder ohne Kamin, zumindest sicher mit heißem Tee, zu den schönsten des Tages werden.

Habe schon länger darüber nachgedacht mir irgendwann mal ein Kamin Imitat zu gönnen, das sichtbar vor sich hin flackert und diese Stimmung in den Raum trägt - vermutlich weil ich mit Kaminen bei den Großeltern und ab meinem elften Lebensjahr auch immer bei den Eltern aufgewachsen bin und die Stunden vorm Kamin als besonders warm und schön in meiner Erinnerung wach sind, auch wenn ich da vermutlich verkläre, was es nur selten gab.

Wäre natürlich kitsch - aber hat nicht jeder so seinen Kitsch, den er besonders liebt?

Die einen stellen sich Nippes ins Regal oder Andenken irgendwo auf und ich träume eben gern von Abenden vorm Kamin, dabei muss ich zugeben, dass ich einen elektrischen oder Gaskamin heute schon fast reizvoller finde als einen echten, der gereinigt werden will, Aufwand beim Anmachen und Abbrennen fordert, keine bloße Dekoration des Lesens mehr ist, um das es mir eigentlich geht.

Grinse in mich hinein und stelle mir vor, wie ich mit meiner modernen Thermoskanne und der E-Pfeife vor dem elektrischen Kamin sitze und elektronische Bücher in meinem Kindle lese und mich fast wie in alten Zeiten fühle, wenn ich mich dann etwa in Jenseits des Tweed von Fontane vertiefe - ist natürlich etwas übertrieben, da ich ja meist keine elektronischen sondern echte Bücher lieber in der Hand halte, aber doch nicht ausgeschlossen.

Liebe ich das Imitat mehr als die Wirklichkeit und was ist echt?

Warm im trockenen Zimmer mit meiner gewohnten elektronischen Umgebung liebe ich dieses Gefühl von Landhaus, das ich mir vorspiele, ohne es noch haben zu wollen, bin ich doch zu gern in meinem Berlin, wo ich die schönsten Bilder in Fußnähe habe, Bahnen und Busse nur wenige hundert Meter entfernt, mitten im Leben bin und doch in meinem Hinterhof mich der Illusion hingeben kann, ich säße am Kamin bei diesem idealen Lesewetter - was braucht es mehr zum Glück?

Natürlich träume ich mir noch meine ebenfalls bücherliebende schöne Frau an meine Seite, die dann mit mir vertieft liest und wir, sollte uns einen Moment kalt sein, uns kuschelnd wieder aufwärmen voller Glück - wir zwei, die das Lesewetter und den Herbst so sehr lieben wie feinen Tee, gute Kekse und einander, wären dann vollkommen glücklich und der Gedanke, dass wir beide eigentlich nur das zum völligen Glück brauchen, weil einfach alles stimmt, bin ich bereits wieder so in meinem wohligen Herbstgefühl versunken, dass ich es auch ertrage, diesen Herbst zu lange noch ohne sie zu sein, in dem ich mich schreibend und lesend ablenke mit der Gewissheit, wir werden das wohl beide nun lebenslänglich so wollen und so lange das so ist, brauche ich auch über nichts anderes mehr nachdenken, als dies so zu genießen, wie es ist.

Vielleicht ist es die Konzentration der grauen Herbsttage, an denen du nie den Himmel oder die Sonne in meinem Hinterhof richtig siehst, die das, was mir wichtig ist und mich glücklich macht noch schöner erscheinen lässt.

Die schönen geliebten Bücher der Anderen Bibliothek in den Händen halten, vorsichtig Seite um Seite beim Lesen umblättern, dazu einen heißen Tee natürlich und warmes Licht. Es gibt viele schöne Cafés in meiner Umgebung, früher verbrachte ich Stunden und Tage dort schreibend und immer wieder auch plaudernd, wenn es sich ergab, heute genieße ich mehr meine Bibliothek und das geteilte Heim, ist das Bedürfnis rauszugehen, außer um meine Kilometer zu flanieren, viel kleiner als alles andere. Vielleicht liegt es daran, wie präsent meine Liebste hier in so vielem inzwischen ist, ich bei jedem Blick irgendwo ihre Spuren in allen Räumen sehen kann und mich heimlich zärtlich darüber freue. Ist bestimmt ein wichtiger Grund, warum ich mich in der geteilten Wohnung noch wohler fühle als je, doch frage ich mich, ob mit fortschreitendem Alter die Liebe zu den Büchern mich noch mehr erfüllt, ich die Ruhe mehr genieße, als das Bedürfnis nach anderen Menschen und Abwechslung. Der Rückzug in geistige Welten mit guten Bücher, feinem Tee und der Liebsten an deiner Seite, scheint mir heute verlockender als alles.

Dies Gefühl der Bücherliebe, was schon große Teile meines Lebens umgibt und was mir meine Eltern, besonders meine Mutter lesend und mein Vater mehr sammelnd, vorlebten, ist mir zum Gefühl von Glück geworden. Darum schreibe ich und lebe ich in der Welt der Worte, um die Geschichten fortzuschreiben, weil ich dort schon immer und egal wo ich lebte zuhause war. Das Zuhause eben, was an grauen Novembertagen noch schöner scheint und in dem ich den zärtlichen Geist der Liebsten überall sichtbar spüre, wird durch die bis zur hohen Decke des Altbaus in Regalen stehenden Büchern erst meine wirkliche Heimat. Hier bin ich zwischen den Seiten und Absätzen angekommen und ganz ich.

Sehe ich den Glanz in den Augen der Liebsten, wenn sie sich Bücher gönnt oder Bibliotheken besichtigt, sie sich beim Lesen vertiefen, merke ich, wir teilen diese Heimat ganz, was noch unabhängig von dem wäre, was wir lesen - perfekt ist es dadurch geworden, dass wir auch noch da die Liebe zu den guten und schönen Büchern teilen, sie uns so vollkommen glücklich machen wie unsere körperlich intensive Nähe.

Lesewetter ist also bei mir nicht nur eine Trotzreaktion - was sollste bei dem Wetter auch draußen machen, denken wohl manche - es ist eine Liebeserklärung an das, was mich ausmacht und ein Stück auf dem Weg zum vollkommenen Glück. Sich in Bücher vertiefen und Geschichten zu lesen wie zu erzählen, ist was mich ganz und gar glücklich macht. Andere wollen Reisen oder Abenteuer erleben, die Welt sehen, tolle Menschen treffen, sich im Sport überbieten, sexuelle Abenteuer erleben - all solche Dinge treiben Menschen zu den größten Leistungen an, habe mich auch im einen oder anderen mal versucht, aber eigentlich will ich einfach glücklich lesen und in meiner Bibliothek bei einem heißen Tee genießen, was mein Geist zwischen den Zeilen findet.

Manchmal hörte ich, dieser Wunsch sei doch nicht real, ich flüchtete mich in Bücher aus der Welt, die mich nur peripher interessiert, wenn überhaupt noch. Das mag richtig sein, wenn es erstrebenswerter wäre, ständig in der realen Welt zu leben und ich nicht doch viel eher in der Bücherwelt zuhause wäre. Merke, wenn ich den ganzen Tag schreibe und lesen, bin ich vollkommen glücklich und ausgeglichen und brauche nichts anderes mehr als guten Tee und Kekse dazu. So bin ich vielleicht aus Sicht der Menschen in den Cafés ein Langweiler und Stubenhocker geworden, aus meiner Sicht aber, bin ich nun endlich ganz bei mir und scheint mir kein Zustand erstrebenswerter, als jener auf den uns der Herbst so schön konzentriert.

Die Tage sind draußen grau und kurz, umso schöner wird es Innen und darum liebe ich den Herbst so, auch in Berlin, wenn er mehr graue als sonnige Tage gibt, weil ich ganz bei mir bin und tue, worauf es mir ankommt, zwischen den vielen Büchern, die ich immer auf einmal lese, zwischen denen ich nach Laune oder Pflicht springe und den Tag über schreibe mit einem heißen Tee neben mir - fehlt nur gerade noch die für mich schönste Frau der Welt, doch sie wird kommen, um zu bleiben und so habe ich alles, was ich brauche in meiner Bücherhöhle in Gedanken beisammen und nenne mich bei egal welchem Wetter einen glücklichen Menschen, der mit einem Tee, Büchern und dem Kopf voller Geschichten alles erreicht hat, was er braucht. Vielleicht ist das wenig, vielleicht ist es alles, was der Mensch braucht, mir genügt es zum Glück und vollkommen wird dies im Wissen, es noch mit der besten Liebsten ein Leben lang teilen zu wollen und so lehne ich mich zurück, lausche dem Regen und denke, es ist alles gut so.

jens tuengerthal 1.11.2017

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