Sonntag, 19. November 2017

Kunsttempel

Nach der Gemäldegalerie führte mich der heutige kurze Spaziergang in die Alte Nationalgalerie, passend zum Todestag von Auguste Rodin, dem eine kleine Sonderausstellung dort geweiht ist, die noch mit Rilke und Hofmannsthal korrespondierte.

Vom wie immer Helmholtzplatz ging es über den Samstagsmarkt am Kollwitzplatz, der trotz strömenden Regen und sehr herbstlichem Wind gut besucht war, den ich aber, die Liebste zärtlich in Dublin im Ohr, eher ignorierte und der Kollwitzstraße weiter folgte, bis sie auf die Schönhauser Allee stößt, die ich überquerte und auf der ich dann den hinab bis zum Schönhauser Tor blieb, an dem ich die nicht mehr vorhandene Stadtmauer an der dortigen Ampel überstieg und der Alten Schönhauser Straße folgte, bis sie westlich abbiegend dann Neue Schönhauser Straße heißt, die schließlich in die Rosenthaler Straße mündet, der ich bis zum Hackeschen Markt folgte. Im weiterhin stürmischen Regenwetter überquerte ich den Marktplatz mit dem dortigen Samstagsmarkt, der mich aber auch angesichts des Wetters und des Ziels zu keinem Halt verlockte inmitten der vermutlich hauptsächlich Touristen von überall und aus Brandenburg. Zumindest schien reichlich Landbevölkerung, dem Wetter trotzen zu wollen.

Nach der Unterquerung der dort hohen S-Bahn wurde das Weltkulturerbe Museumsinsel schon sichtbar. Das Ende vom Bode, jenseits der S-Bahn und das gerade in der Renovierung steckende Pergamon und dann endlich auch die Alte Nationalgalerie, die von klassizistischen Kolonnaden umgeben sich wie ein griechischer Tempel der Kunst dort erhebt.

Ursprünglich war an dieser Stelle auch ein Tempel für Friedrich den Großen geplant und so vereint das GebäuDe nicht nur späten Klassizismus mit der Neo-Renaissance es nutzt auch verschiedenste Formen des Baus in einem, Kolonnaden und und die umgebenden Säule erinnern an einen griechischen Tempel, die riesige Freitreppe davor lässt an ein Schloss denken, was auch das riesige Denkmal von Friedrich Wilhelm IV. auf einem Pferd davor zu bestätigt, schließlich  lässt die Apsis am Ende des Gebäudes an eine Kirche denken. Das Denkmal des älteren Bruders des später Bauherren Wilhems I. trägt als Sockelfiguren die Kunst, Geschichte, Philosophie und leider auch Religion, wie immer wir es mit ihr fausitsch halte.. Doch soll diese gewaltige Figur weniger an den König als an den Schüler Schinkels erinnern, der mit seinem Lehrer erste Pläne entwarf.

Erreichte die heute Museumsinsel, über die Friedrichsbrücke, die das frühere Cölln mit dem Stadtteil Alt Berlin verbindet und an deren Ende bereits die Kolonnaden zwischen Alter Nationalgalerie und Neuem Museum beginnen. Durchschritt sie Spee abwärts, um über den kürzesten Weg im immer noch Regen ins Museum zu gelangen.

Schritt über den roten Teppich zum höher gelegenen 1. Etage des Kunsttempels hinauf, freute mich an den prächtigen Säulen dort und der mondänen Architektur, wie sie dem Kaiserreich eben entsprachen. Nachdem ich endlich Schirm, Rucksack und Daunenjacke in der Garderobe abgeben konnte, da es dafür keine passenden Schließfächer gab, betrat ich  das quasie Hochparterre der Ausstellungsräume und der erste Blick galt der Prinzessinnengruppe, in der die beiden Schwestern Friederike und Luise, die spätere Königin Luise und ihre Schwester von Schadow dargestellt wurde. Ihr Gatte, Friedrich Wilhelm III. fand das Standbild, das den nur leicht verhüllten Busen der früh verstorbenen Königin und Mutter von Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. zu freizügig, er nannte es fatal, und ließ es erstmal verschwinden. So wurde das bei seiner Fertigstellung 1797 von Publikum und Fachleuten gefeierte Doppelstandbild die nächsten 90 Jahre erstmal dem Publikum vorenthalten. Was auch daran lag, dass die mit bereits 19 Jahren zur Witwe gewordene Friederike bereits im ersten Jahr ihrer Witwenschaft schwanger wurde und deshalb schleunigst verheiratet und aus Berlin entfernt wurde, um die Schande geheim zu halten und erwarb sich dort ihren Ruf als galanteste Löwin des Jahrhunderts. Zu ihren Liebhabern zählte auch der später im Vorgeplänkel der preußischen Niederlage gegen Napoleon gefallene Prinz Louis Ferdinand, der einen ähnlichen Ruf genoss und den Fontane so genial bedichtete. Es beginnt mit der folgenden Strophe:

Sechs Fuß hoch aufgeschossen,
Ein Kriegsgott anzuschaun,
Der Liebling der Genossen,
Der Abgott schöner Fraun,
Blauäugig, blond, verwegen
Und in der jungen Hand
Den alten Preußendegen -
Prinz Louis Ferdinand.

Und endet, sein Schicksal mit dem Preußens verknüpfend wunderbar pathetisch:

Und als das Wort verklungen,
Rollt Donner schon der Schlacht,
Er hat sich aufgeschwungen,
Und sein Herze noch einmal lacht,
Vorauf den andern allen
Er stolz zusammenbrach,
Prinz Louis war gefallen,
Und Preußen fiel - ihm nach

An diese Worte, die einst der Vater meines guten Freundes noch in familiärer Runde am Tisch zitierte, der selbst ein Nachfahr der Feldherren Yorck und Moltke ist, muss ich jedesmal denken, wenn ich diesen Teil der Nationalgalerie betrete, die einst ein Tempel für Friedrich den Großen werden sollte und in ihrem Hochparterre eine Ode an das alte Preußen wurde auch und gerade durch die Bilder des Berliner Genies Menzel, der auch für einige seiner Werke am Hof mit seinem seltsamen Kunstgeschmack weniger geschätzt wurde, warum sein so geniales riesiges Gemälde von Friedrich und seinen Generälen vor der Schlacht bei Leuthen, als er seine berühmte Rede vor der alles entscheidenden Schlacht ging, die im Siebenjährigen Krieg auch zu seinem Untergang hätte führen können hielt, wieder zerkratzte und nie vollendete weil das wohl schlichtere Gemüt Wilhelm I., das Bild zu unordentlich fand, da die Generäle nicht aufmerksam zuhörten und Friedrich der Große nicht zentral stand. So jedenfalls die lange verbreitete Version zu diesem Bild, die Kunstwissenschaft geht heute wohl davon aus, dass der Kaiser schlicht die Vollendung des Bildes nicht wollte.

So hängt es sichtbar genial aber eben unvollendet neben anderen großen Gemälden des preußischen Ruhms auf riesigen Bildern etwa in der Mitte des Hochparterre. Vorher kommen zeitlich spätere, die künstlerisch bis in den Jugendstil gehen und danach und drumherum kommen noch ganz viele Menzels auch von Friedrich dem Großen - so etwa das berühmte Flötenkonzert in Sanssouci, bei dem er auch mit dem Element der Unordnung und Respektlosigkeit im Bild  arbeitete.

Nach diesem größeren Mittelraum, an den sich noch eine kleine Kabinettausstellung zu Miniaturen anschloss von unterschiedlicher Qualität kommt auf dem weiteren Weg noch einiges schönes aus Berlin und dem Leben von Menzel, das ein gutes Bild von diesem großen Berliner Maler gibt, der obwohl Hofmaler doch manches wagte, früh in einer fast impressionistischen Art und Weise malte, ein Zeitgenosse und Freund vieler großer Berliner der Zeit war von Fontane bis Virchow, dem Tunnel über der Spree fest verbunden war. Bei diesem Besuch fehlte mir das berühmte Bild bei Hofe auf dem Menzel bei der Versammlung der Ordensritter des Pour le Mérite für Wissenschaft und Kunst auf dem auch der kleine Menzel neben den anderen riesigen Würdenträgern im Schloss auftaucht. Nach Menzel die anderen großen Berliner Maler seiner Zeit, einige Franzosen und schon sind wir wieder in der Vorhalle in deren Zentrum Friederike und Luise stehen, umgeben von Engeln und anderem was Schadow & Co in Preußens großer Zeit in Marmor verewigten.

Zügig ging ich in die erste Etage, mich vom Licht der französischen Impressionisten verführen zu lassen und den deutschen Impressionisten Liebermann gebührend zu würdigen, der den Expressionismus so wenig mochte wie ich, was ihn als Präsidenten der Akademie der Künste lange einigen Ärger einbrachte. Doch nach der prächtigen Kuppel, die das später Spiel mit dem Licht schon architektonisch ankündigt und dem großen Vorraum mit anderen nicht unbedeutenden Malern des 19. Jahrhunderts, die ich allerdings zugegeben eher für bemüht als genial halte, sehen wir von wenigen Ausnahmen ab.

Gleiches gilt für die Bilder aus Romantik und Biedermaier, die zuerst sieht, wer von den Impressionisten aus die Runde gen Westen beginnt. Dort hängt viel Romantik, auch Spitzweg und anderer Münchner Kitsch, der sehr nett ist und technisch bestimmt einwandfrei, mich jedoch noch nie begeistern konnte - lief es ab, belächelte diese auch Kunst, freute mich als Liebermann im Kabinett gen Osten endlich kam, der mit  vielen seiner schönsten Bilder dort vertreten ist. Danach einige teils mutige Bilder der Berühmtheiten des 19. Jahrhunderts zu denen Wagner und Bismarck gehören.

Doch diesmal war das Bad im Licht der Impressionisten dominiert von der Sammlung seltener gezeigte Figuren zu der kleinen Ausstellung anlässlich des 100. Todestages von Rodin, der zufällig mit meinem Besuch zUsammenfiel. Diese griff weit über die Kunst Rodins hinaus und stand unter dem Titel: Rodin - Rilke - Hofmannsthal - Der Mensch und sein Genius. Im Zentrum der Ausstellung steht die bisher weniger beachtete Bronzestatuette der Mensch und sein Genius. Die Figur zeigt einen Mann, dem sich ein kleiner weiblicher Genius mit Schwingen, das Sinnbild künstlerischer Inspiration, entzieht.

Diese kleine Plastik ist eng mit dem Werk Rilkes verknüpft, der mit seinen Schriften ohnehin viel für die Popularisierung Rodins tat, dieser Figur sogar das Gedicht Nieke weihte. Andererseits mit Hofmannsthal, der den Gips Entwurf in Rodins Atelier entdeckte und umgehend die Bronze in Auftrag gab, die sodann 20 Jahre auf seinem Schreibtisch in Rodaun bei Wien stand. Als der Autor später in Not geriet, vermittelte wiederum Rilke den Verkauf der Figur an einen Schweizer Sammler: Von diesem Sammler gelante die Bronze dann nach Berlin.

Es ist die Flüchtigkeit und Unvollkommenheit, die Rodins Werk prägt. Er stellte mit seiner Kunst die Frage nach der künstlerischen Handschrift und der Offenheit der Interpretation. Zu den Meisterwerken Rodins aus der Nationalgalerie kommen noch Leihgaben aus dem Musée Rodin in Paris und der Bremer Kunsthalle. Dazu kommen noch Autographen, Briefe und Schriften aus dem Nachlass von Rilke und Hofmannsthal - dazu kommen noch Plakate, die Rodin gestaltete und Grafiken etwa von Max Klinger, die eine phantastische Auseinandersetzung mit den von Rodin aufgeworfenen Fragen bringt.

Die 3. Etage versammelt erst Schinkel und ihm nahe stehende Meister in einem säulengerahmten Kabinettsaal - ist manch nettes dabei, aber es entflammt mich nicht wirklich, wenn der fraglos große und moderne Architekt sich dort in romantischen Ritterideen ergeht oder phantastisch mit dem romantischen Licht spielt. Caspar David Friedrich dagegen im nächsten Saal, wirkt zwar manchmal reichlich symbolistisch, doch solch große Werke wie den Mönch am Meer wiederzusehen, macht auch die fehlenden Kreidefelsen, die ihm so lange schon anhängen, entbehrlich. Ein großer Maler mit tolerierbarer Neigung zum Kitsch, ein Genuss jedesmal wieder.

Manches dort oben scheint mir entbehrlich, übersehe ich schnell, wie etwa den Raum voller Nazarener, welche die Josefsgeschichte erzählen, anderes dagegen, wie Schadows Ruhende Mädchen auf weißem Marmor ist allein den Besuch wert - auch die Berliner Portraits im letzten Raum sind ein auch historischer Hochgenuss, Henriette Herz und ihr Umfeld zu sehen, Aug in Aug mit den intellektuellen Berliner Berühmtheiten der Zeit, wäre schon lohnen genug - dann die feinen Stadtbilder eines Eduard Gärtner, der uns ein Bild der Stadt im 19. Jahrhundert gibt - übersehe ich den Kitsch ein wunderbarer Besuch und ein Wiedersehen mit vielen alten Freunden in den dort Bildern, die mir in den letzten zehn Jahren so vertraut wurden, dass ich sie immer wieder besuche, mich an kleinen Veränderungen erfreue.

Die Zeit verging rasend schnell, schon war es 18h und wir Besucher wurden wie üblich aufgefordert das Gebäude zu verlassen. Dem leistete ich ohne große Erwartung Folge, plauderte noch einen kleinen Moment mit einer attraktiven silberhaarigen Dame, die mit mir das Museum verließ und mir vor der Tür vom Berliner Dom vorschwärmen wollte, der doch so schön wäre. Da musste ich sie leider enttäuschen, da ich wie Franz Hessel diesen gruseligen Monumentalbau einfach entsetzlich finde und fast wünschte Islamisten täten einmal in ihrem Leben etwas sinnvolles und sprengten sich mit diesem Machwerk des Wilhelminismus in die Luft - aber, wie wir heute mit dem gruseligen Alex leben müssen, ist auch dieser verunstaltete Berliner Dom, der an die Stelle des wunderbaren Vorgängerbaus von Schinkel trat, ein Mahnmal für die Folgen menschlicher Selbstüberschätzung gepaart mit beschränkter Intelligenz, das unser wunderbares Weltkulturerbe, die Museumsinsel so grässlich entweiht. So trennten sich unsere Wege höflich, freundlich, wenn auch in der Sache uneins.

Nachdem mit einer der Wärter, wenn auch diesmal sehr freundlich, heute noch das Telefonieren im Museum untersagte, im Gegensatz zur Gemäldegalerie war in der Alten Nationalgalerie die Verbindung ausgezeichnet, rief ich bei erster Gelegenheit wieder die Liebste in Dublin an und wir plauderten wunderbar auf dem ganzen Rückweg.

Um mich vom grässlichen Dom auch tatsächlich abzuwenden, umrundete ich die Museumsinsel in Richtung Bode Museum einmal, grüßte die beiden Polizisten, die stets den Wohnsitz unserer Kanzlerin bewachen, freundlich, machte mich über die Brücke am Bode Museum, Monbijoustraße, Krausnickstraße, Kleine Hamburger auf zum Koppenplatz, von dem an ich der Linienstraße folgte bis zur Gorrmannstraße, die ich dann wieder den Berg hinauf lief, bis sie, bevor es steil wird, wieder Choriner Straße heißt, der ich bis zum Ende folgte, um quer durch die Kulturbrauerei nach Überquerung der Danziger auf die Lychener Straße zu stoßen, die früher auch La Ly genannt wurde, um ihr folgend wieder zum heimatlichen Platz zu gelangen nach heute rund 20 km mit vielen kleinen Umwegen, die hier nicht der Rede wert waren.

Eigentlich sind es nur knapp 4 km von mir bis zu diesen Schätzen der Kunst, was mir wieder deutlich macht, wie privilegiert und schön ich doch hier lebe, wie glücklich der Wanderer in Berlin sich preisen kann, diese wunderbare Welt der Museen näher zu haben als viele Urlauber ihren Strand, den ich immer weniger spannend fände.

jens tuengerthal 18.11.2017

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