Freitag, 24. März 2017

Berlinleben 029

Verwaltungspreußen

Der erste Kontakt mit Berliner Beamten war hochdramatisch. Wollte meine liebste A vom damals noch in Betrieb befindlichen Flughafen Tempelhof abholen und hatte dazu, auf die rechte Spur irgendwo am Landwehrkanal gewechselt, um dann Richtung Kreuzberg, Tempelhof den Mehringdamm hinauffahren zu können. Plötzlich überholte mich ein Polizeiwagen, die Beamten mit Blaulicht und Martinshorn winkten schon im Vorbeifahren, als hätten sie es genau auf mich abgesehen, was ich für einen Irrtum hielt, fuhr ich doch brav und harmlos mit angepasster Geschwindigkeit im fließenden Verkehr, war mir keiner Schuld bewusst, sah mich als gesetzestreuen Bürger. Als ich keine Anstalten machte, anzuhalten, stellten sie sich in einer gewagten Aktion mit quietschenden Bremsen vor mir quer, nun musste ich anhalten und begriff endgültig, die meinen wirklich mich.

Stieg freundlich und sprach sie höflich an, wie ich es insbesondere Polizisten gegenüber immer tue, fragte, was los sei. Aus dem Wagen aber sprangen zwei Polizisten mit gezückter Waffe, befahlen mir sofort:

“Hände aufs Dach legen und breitbeinig hinstellen!”

Tat also wie befohlen und fragte nur vorsichtig, etwas verschüchtert, was denn los sei, ich müsse zum Flughafen meine Frau abholen. Darauf fuhr mich der jüngere der beiden, der eine Reiterhose zur Uniform und Stiefel trug an,

“Fragen stellen wir hier - hamse Papiere?”

Die hatte ich und als mit denen alles in Ordnung war, sie auch sahen, dass die Fahrzeugpapiere meiner Partnerin in Ordnung waren, wir den gleichen Wohnsitz hatten, wurden sie etwas ruhiger.

“Dett kostet se fuffzich Mark, könnense gleich zahlen oder wir eröffnen ein Verfahren.”
“Was solll ich denn getan haben?”
“Na Richtungswechsel ohne Spuranzeiger. Verkehrsgefährdung. Macht fuffzich Mark.”
“Was heißt Richtungswechsel ohne Spuranzeiger?”
“Na se sind aber wohl schwer von Kapee - se ham nich geblinkt.”
“Doch, ich blinke immer, aber es war doch im fließenden Verkehr, ging alles so schnell.”
“Egal, zahlense oder müssen wir’n Verfahren eröffnen?”

War genervt aber auch eingeschüchtert genug von der Aktion, dass ich lieber gleich zahlte, um weiter zu kommen -  ihr Flieger landete gleich und ich wollte doch mit meiem Arm voller Rosen romantisch dastehen und sie abholen und nicht erst irgendwann später kommen, weil die Polizei mich festhielt. Achtete nicht mal darauf, ob ich eine Quittung bekam oder sonst eine Bestätigung für das amtliche Handeln. Sie kassierten und ich fuhr weiter, hatte es ja eilig.

Dumm gelaufen und reingefallen, sag ich heute, doch ich hatte es ja eilig und ich frage mich wie viele Berliner in so einem Fall wohl schon zahlten, weil sie es eilig hatten, kein Verfahren wollten, von autoritären Beamten mit fast faschistoiden Auftreten eingeschüchtert waren - kam mir Momente lang wie ein Schwerverbrecher vor und hatte nur eventuell im schlimmsten Fall den Blinker beim Spurwechsel nicht gesetzt.

Alle späteren Begegnungen mit Polizisten waren sehr angenehm, die Herren oder Damen meist höflich, gut ausgebildet, verhielten sich ordnungsgemäß und ich, der bloß keinen Ärger wollte, verhielt mich so gesetzestreu wie möglich. Kann nicht mehr über die Polizei klagen, erlebte sie auch bei Demos oder wenn genervte Nachbarn sie vor irgendeiner Kneipe oder hier am Platz mal wieder riefen, meist als ausgesprochen höflich, gut geschult und dabei noch relativ locker. Kann nichts negatives über die Berliner Polizei sagen, bis auf diesen einen Fall.

Solche Geschichten aber kennt jeder hier irgendwie. Es ist nicht nur der eine Fall sondern scheint auch der normale Wahnsinn zu sein, zumindest reagierten alle, denen ich es erzählte, darauf nur lachend mit einem, ja, kenn ich und schön blöd, dass du auch noch gezahlt hast. So auch meine Liebste, die sich wunderte warum ich als doch irgendwie Jurist mir keine Quittung von den Kerlen hab geben lassen - als ich dann sagte, weil ich so schnell wie möglich zu dir wollte, um dich pünktlich abzuholen, wurde aber,  so habe ich es dunkel in Erinnerung, die Dummheit wieder vergessen und verziehen - war ja gut gemeint.

Abgesehen von den kleinen Ausreißern läuft es immer sehr korrekt hier. Auch und gerade in den Ämtern und das ganze noch um ein vielfaches potenziert im Osten gegenüber dem Westen, wie ich immer wieder erstaunt feststellte. Die eine Zeitlang von ein paar Flüchtlingen völlig überforderte Verwaltung hat neuerding sich angewöhnt Termine mit Monaten Vorlauf zu vergeben und einen irgendwohin in der großen Stadt zu schicken, außer in ganz dringenden Fällen. Fand noch nichts von dem, was ich seitdem zu erledigen hatte, wirklich dringend und so reiste ich schon mehrmals durch die halbe Stadt, um einen Ausweis mit meiner Tochter abzuholen oder zu beantragen, statt keine 500m vom Platz zum benachbarten Bezirksamt zu gehen und dachte jedesmal, ob ich das nächste mal nicht doch dringlich bin. Vielleicht müsste ich mich, wichtiger nehmen, um erfolgreich zu sein auch bei Berliner Behörden und doch gelingt es mir nicht all dies zu ernst zu nehmen. Dett is halt Berlin.

Der erste wichtige Termin in der Verwaltung wurde ähnlich frustrierend wie das Erlebnis am Landwehrkanal im Miami Vice Stil nur eben ohne Drama. Als wir bei einer Beamtin, bei der ich sehr hoch wetten würde, dass sie schon in der DDR ihre Beamtenkarriere mit Parteibuch begonnen hat, unsere Tochter vorab anmelden wollten, wies sie meine Partnerin, obwohl wir wiederholt vom gemeinsamen Sorgerecht gesprochen hatten, immer wieder darauf hin, dass sie es nicht so müsse, dass bei unverheirateten unüblich sei und sie verpflichtet sei meine Partnerin auf ihre Rechte hinzuweisen. Als ich ihr daraufhin genervt erklärte, wir hätten doch gesagt, was wir wollten und welchen Grund es gäbe einer klaren Aussage zu widersprechen und mir damit Misstrauen entgegenzubringen, bekam ich empört zu hören, sie tue nur ihre Pflicht und sie habe die Mütter darauf hinzuweisen, dass es keine Pflicht zur gemeinsamen Sorge gäbe, es in vielen Fällen besser wäre für sie ohne.

Zum Glück waren wir uns einig, wollten es beide und widerstanden dem Aufklärungsdrang über die Schlechtigkeit der Männer, den diese Beamtin in ihrem muffigen Büro verbreitete erfolgreich und verließen das Amt kopfschüttelnd. Eine autoritäre Amtsperson, die einen trotz gegenteiligen ausdrücklichen Wunsches eines besseren belehren will, war schon sehr frech, fand ich. Dann aber doch zu egal, darob eine Beschwerde einzureichen und als ich später in der Politik lernte welch männerfeindlich feministische Positionen auch in der Pankower Sozialdemokratie teilweise vertreten wurden, als normal galten, auch wenn sie einem kritisch denkenden Menschen absurd vorkommen mussten, wunderte ich mich weniger über diese sehr seltsame Beamtin, die vermutlich ohnehin den alten Kadern angehörte, auf mich wirkte, wie ich mir immer eine DDR Funktionärin vorgestellt hatte.

Dies ist eine Täuschung und ein Rechtsirrtum der Beamtin im übrigen, da der Staat kein Interesse an nur einem Sorgeberechtigten normalerweise hat, da dieser dann einspringen muss, falls die eine allein Verantwortliche ausfällt mit allen Kosten und allem Drama. Darüber habe ich aber nicht mit der Beamtin diskutiert, weil ich ja etwas von ihr wollte, keinen Ärger mag und lieber Frieden als  unnötige Konflikte suche. Die Aussage der Beamtin war daher nicht nur falsch, sie war auch nicht im staatlichen Interesse, schürte grundgesetzwidrig Konflikte, wo ein Paar fröhlich, einig und mit besten Absichten kam. Denke ich heute darüber nach, hätte ich daraus einen Skandal machen sollen, aber so wichtig war es mir dann auch nicht und so vergaß ich es lieber und lachte darüber, Ostberlin halt, Hauptstadt der DDR...

Es gab solche Momente in denen ich mit dem Osten, in dem ich sonst gerne lebte, fremdelte, dies war so einer und nicht der letzte, in dem ich das Gefühl hatte, manche Beamte sehen sich immer noch als Ausführungsorgan einer totalitären Staatsmacht und nicht als Diener einer Demokratie, in der das Volk  der Souverän ist.

Aber auch diese etwas unangenehme Dame war wie die beiden Polizisten eine Ausnahme. Die Beamtin etwa beim Standesamt Mitte, bei der ich dann die lebende Tochter mit ihren Namen auf meinen Namen anmeldete, war so süß, dass ich sie am liebsten geknutscht hätte und so verständnisvoll offen, dass ich mir wünschte nie in einem anderen Amt gewesen zu sein, wäre ich nicht gerade glücklich mit meiner Liebsten Vater geworden, glatt hätte ich dieser noch vor Ort einen Antrag gemacht, so bezaubernd erledigte sie alles und dabei immer lächelnd.

Auch im Bezirksamt Pankow lernte ich in den zahlreichen Gebäuden des ehemaligen Krankenhauses auf dem Gelände zur Fröbelstraße ganz bezaubernde Beamtinnen kennen und die Situation wie mit der Dame beim Standesamt Pankow war die große Ausnahme, bis auf eine wieder entscheidende Rolle bei einer vermeintlichen Schlichterin, die eine Auseinandersetzung mit der Mutter meiner Tochter erst zum Verfahren provozierte durch ihr ungeschicktes und formelles Auftreten. Sie blieb streng formal, wies mir im Gütetermin nur Schuld zu und tat so alles, den Streit weiter eskalieren zu lassen, als wäre ihre Handlungsanweisung alle Männer sind Schweine und verdienten es nicht anders und schien sich in diesem Moment mit der Mutter auch einig, was im Konflikt aus Sicht meiner Partnerin noch verständlich mir scheinen kann heute, ist für eine Beamtin ein Witz.

Kenne aus diesem Bereich auch inzwischen einige Geschichten von anderen Männern, deren Frauen von Beamtinnen oder Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Pankow zur Anzeige motiviert wurde und damit Konflikte eskalieren ließen, die besser intern und friedlich gelöst wurden. Die Erteilung von Bannkreisen ist unter dem Einfluss dieser Damen wohl in Pankow inflationär gestiegen, wie mir meine spätere Anwältin verriet und ganz Berlin schüttele schon den Kopf über diese einseitige Politik und Betrachtung, die viele Konflikte erst schürt, die dann in der nächsten Instanz mühsam wieder entschärft werden müssten, weil beide Seiten, gerade wenn Kinder da sind, doch miteinander klar kommen müssen, eine Eskalation nur den Staat beschäftigt, den die Konflikte meist nichts angehen. Es kostet alle Beteiligten am Ende viel Geld, beschäftigt den Staat unnötig und ist häufig auf ein polarisierendes Fehlverhalten beteiligter Beamten zurückzuführen.

Zum Glück sitzen Strafgerichte in Berlin in Moabit und unterliegen nicht dem Bezirksamt Pankow, warum ein Fall Kachelmann hier eher unwahrscheinlich ist, trotz der regelmäßig dramatischen Eskalationen durch Damen und Ämter aus dem etwas entrückten Bezirk Pankow, in dem einige übrig gebliebene damit scheinbar den Feminismus der DDR hochhalten wollen und dabei eher vom Klassenkampf gegen die Männer geprägt sind als von abwägender Vernunft, wie ich sie von einer preußischen Behörde erwarten würde.

Doch überall, wo Ämter einfach ihre Arbeit tun, keine politische Motivation hinter ihrem Handeln zu entdecken ist, bin ich auf sehr freundliche, geradezu zuvorkommende und bemühte Beamte getroffen und würde auch vermuten, dass weit über 90% der Beamten sogar im seltsamen Bezirk Pankow konstruktiv sind, rechtsstaatlich denken, bestmöglichen Service bieten und manchmal geradezu zum verlieben süß sind. Zumindest dachte ich das bei einigen Beamtinnen schon mehrfach und habe auch von Freundinnen gehört, dass es da doch manchen mehr als süßen Typen gäbe, was natürlich bei einem preußischen Beamten im Dienst keiner denkt. Aber manche hätte ich doch gerne mals außer Dienst getroffen, dachte ich, wenn ich gut gelaunt das Amt verließ, was aber grau wie alle amtliche Theorie blieb. Einzig eine leidenschaftliche Finanzbeamtin aus einem noch östlicheren Bezirk durfte ich mal näher kennen lernen und habe keines dieser positiven Vorurteile danach widerrufen.

Es gibt also zum allergrößten Teil sehr freundliche, geradezu süße, hochmotivierte super korrekte Beamte, die ihre Arbeit so schnell wie möglich erledigen und dem Bürger das Gefühl geben, bei ihnen sei der Kunde König, sie seien Dienstleister und nicht, was sie ja tatsächlich sind, Vollstreckungsorgane staatlicher Macht. Letzteres muss dafür der kleine unsympathische Teil um so stärker heraushängen lassen, bei denen sich die Bürger als Unterworfene vor der Bauernbefreiung fühlen.

Die Bauernbefreiung noch durch vom Stein, bevor Hardenberg auf Napoleons Druck an die Stelle des genialen Reformers trat, ist in Preußen über 200 Jahre her, zwar gibt es Preußen nicht mehr, aber die DDR zum Glück auch nicht mehr und so täte es Berlin gut, wenn es zum Wohle der meisten hervorragenden Beamten eine Art Controlling durch die Nutzer der Ämter einführte, die Bürger Rückmeldungen gäben, damit die eigentlich positive Entwicklung von der Behörde zum öffentlichen Dienstleister weitergeht.

Natürlich hätte ich mich über die Beamten beschweren können, die mich wie einen Schwerverbrecher aus dem Verkehr zogen, als ich einmal den Blinker vergaß, was vermutlich so war - aber wer tut so etwas, wenn es nicht eine einfache Möglichkeit dazu gibt, die heute online sein sollte, was auch die Auswertung erleichterte. Natürlich gibt es diejenigen, die immer meckern, auch ordnungsgemäß und bemüht arbeitende Beamte für Dinge kritisieren, die nicht in ihre Macht liegen, doch wäre die quasi automatische Rückmeldung ein gutes Zeichen, dass eine Verbesserung der Prozesse angestrebt wird, die Ämter auch den extremistischen Ausreißern, die es noch gibt, auf der Spur sind.

Die geistige Gratwanderung zwischen der Stellung eines Beamten als unbestechliches und neutrales Vollzugsorgan staatlicher Aufgaben und seiner beruflichen Realität als Dienstleister für Bürger ist nicht immer einfach. Dennoch gibt es nach meiner zugegeben geringen Erfahrung eine große Mehrheit, die es gut und hochmotiviert macht, sogar in Berlin freundlich ist, wo schon der ganz normale neutrale Ton einem Fremden wie eine üble Beschimpfung vorkommen kann, fühlte ich mich von den meisten sehr freundlich und gut behandelt, während einige wenige sich auf ihr Amt und ihre Autorität zurückzogen und als solche Führer im Amt die Bürger anweisen wollten, was sie zu tun hätten. Die eingeborenen Freunde, also jene die von hier stammten, teilweise im Bezirk groß wurden, meinten immer nur, ach das sind halt Berliner, musste nicht so ernst nehmen, meint ja keiner so. An dieser Haltung, es nicht weiter ernst zu nehmen, müsste ich wohl noch arbeiten, sobald ich erkenne, es ist überflüssig hier etwas ändern zu wollen, weil sie einfach so sind - noch hält sich meine Motivation dazu in überschaubaren Grenzen.

Dies kann bei denen eine Ausnahme sein, weil er oder sie ihre Tage hatten, schlecht gelaunt war, wir uns nicht riechen konnten, sie so hergezogene Wessis wie mich noch nie leiden konnten, einfach echte Berliner waren und es doch nett meinten - der Gründe gibt es da wohl unendlich viele, wie auch die Lösungen im Einzelfall variieren, wichtig wäre nur die Stadt als Dienstleister für seine Bürger im Bewusstsein aller zu verankern. Es würde durch eine Art Controlling der Bürger, die auch beamtisches Handeln bewerten könnten oder sich ganz leicht auch anonym beschweren könnten, leichter, denen zu helfen, die noch Nachhilfe auf ihrem Weg zum Dienstleister bräuchten.

So etwas würde das Vertrauen in einen zum allergrößten Teil sehr rechtsstaatlich und hervorragend funktionierenden Staat und seine Verwaltung stärken und sollte darum im höchsten Interesse liegen, denn die Beamten sind die Repräsentanten eines Gemeinwesens nach außen und in Zeiten in denen Fake-News zum Problem werden und Populisten, die Lügen verkünden, Mehrheiten erringen, ist es noch wichtiger das Vertrauen in den Staat und seine Organe als zuverlässig weiter zu stärken.

Andererseits wird mir zugegeben beim Begriff Controlling auch schon wieder so schlecht, dass ich denke, besser es gibt Ausreißer, damit die Berliner noch so sein können, wie sie eben sind und Leute wie ich Geschichten darüber erzählen können, denn eigentlich ist doch alles nicht so schlimm, lassen wir es halt so, läuft doch und so werd ich wohl zum Berliner und lass die Dinge laufen, wie sie sind, um davon zu erzählen.
jens tuengerthal 24.3.2017

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