Dienstag, 21. März 2017

Berlinleben 026

Bodes Welten

Fahre ich auf die Museumsinsel und nähere mich ihr von vorne, was einen ganz besonderen Reiz hat, die Spree hinauf also, geht mir immer das Herz auf, wenn ich die von den Fluten umgebene Spitze sehe, auf der doppelt bebrückt das Bode Museum steht. Dies Museum beherbergt nicht nur einige der schönsten Schätze der Weltstadt, es tut dies auch im denkbar schönsten Ambiente im gelungensten Gebäude der Insel, sehen wir von Schinkels Altem Museum in seiner Klarheit mal ab, was eben schlicht und eckig nur ist, während sich dies Haus Fluß und Inselspitze anpasst, eins mit ihr wird, Teil der Natur hier ist.

Vom Pergamon Museum durch die Eisenbahn getrennt ist es ein Solitär, der groß zum Eintritt aufmacht, mit dem großen Kurfürst gegossen auf Marmor überlebensgroß reitend, danach schlicht beeindruckt, um im Aufstieg großes Theater um Friedrich zu bieten, für alle die lieber nur geradeaus gehen. Lieber aber biege ich vor dem Theater schon nach rechts ab in die italienische Renaissance, die erst den Hokuspokus der Gotik auf der anderen Seite rein ästhetisch erträglich macht, mit einem Lächeln eben, die menschlich sinnlich ist und nicht wie Gotik und Byzanz noch erfundenes übersinnliches für allein bedeutend hält.

Was ist nicht alles heute Weltkulturerbe, dachte ich manches mal, wenn die Zeche Zollverein neben dem alten Weimar steht oder andere Provinz irgendwo neben der Berliner Museumsinsel, dem wohl schönsten Ensemble an Museen auf so engem Raum in der Welt. Einmalige Sammlungen, die von der Frühzeit bis in die Gegenwart reichen, wenn erst das Humboldt Forum hinter der Fassade des Schlosses vollendet ist. Es findet jeder dort seine Epoche und bei Bode im hinteren westlichen Flügel kommen sogar die Münzsammler noch auf ihre Kosten, zu denen ich mich nie zählte, auch wenn das alte Geld sicher schöne Geschichten aus untergegangenen Welten erzählen kann, von vergangenem Glanz kündet, Welten eröffnet.

Doch bevor ich mich nun ins Detail verliebe, gehe ich nochmal mit den Besuchern vielleicht vom Schiffbauerdamm aus, wo noch eine letzte Saison Peymann das Brecht Theater BE bespaßt, bis er auch seinem Alter gemäß endlich gehen darf. Wann die Zeit zum Abschied gekommen ist oder wäre, was stattdesse noch kam, kann noch eine andere Geschichte werden, wenn ich vom Sommerfest dort erzählen werde. Heute aber ist dies nicht völlig unbedeutende Theater nur Dekoration des Weges zum Bode Museum, das ursprünglich Kaiser Friedrich Museum hieß, wie auch die Spree und ihre Uferpromenade mit ihren vielen Schönheiten, architektonisch und immer wieder ganz natürlich, auch direkt gegenüber von Bode, wo nicht nur im Hochsommer unter freiem Himmel Tango getanzt wird, die mir sonst immer einen Blick oder eine sinnliche Anekdote gern wert sind - mit wem saß ich nicht schon alles in der hier Strandbar - nur begleitendes Geplätscher auf dem Weg in die baulich schönste Welt der Berliner Museen sein darf.

Ein Halbrund inmitten des Flusses öffnet sich zwischen Säulen an schmalest möglicher Stelle, der Spitze eben, zu dem erst die Brücke den gehörigen schmalen Vorplatz schafft. Auch direkt davor ist dies Museum schön und beeindruckend doch wirklich großartig wird die Vorfreude, wenn wir uns ihm, dem Fluß folgend von der Friedrichstraße aus zu Fuß nähern, denn gerade die Lage macht viel vom Charme dieses Hauses aus, von dessen Fenstern du immer ins Wasser schaust, das den Bau an beiden Seiten weit umspült. Wie ein Leuchtturm oder der letzte Ort, steht es an der Spitze mit seiner zweckfreien Kuppel und der gerundeten Empore in dessen Spitze sich das Museums Café mit der allerbesten Lage theoretisch befindet, wenn es diese nur zu nutzen wüsste. Aber das Café möchte ich begleitet von den interessierten Besucherinnen erst im Anschluss besuchen, in dieses stolpern wir dann aus dem Museumsladen.

Zuvor heißt es Karten kaufen am wunderbar fast antik wirkenden Kassenhäuschen mit den Holzfenstern. Durch hohe hölzerne Türen kommen wir zu dem riesigen im kitschigen Stil des 19. Jahrhunderts errichteten Reiterdenkmal für den großen Kurfürsten, dem Urgroßvater des Alten Fritz. Was könnte in dieser gigantischen Halle, die nur der künstlerisch eher sehr zweitrangigen Reiterfigur Obdach bietet nicht an schöner Kunst inszeniert werden, auch wenn sie ein Abguss einer Figur von Schlüter sein mag, passt sie nicht ins Haus - sie dient bis heute der Inszenierung der Hohenzollern, denen wir dies Museum verdanken. Sehenswerter als dieser große Gaul mit kurfürstlichem Reiter im antiken Stil, der galvanoplastisch von WMF hergestellt wurde, die sich besser auf schlichte Töpfe beschränkten, sind dagegen die wirklich sehr schönen Toiletten vor dem Eingang in die Kamecke-Halle, noch rechts und links in Männlein und Weiblein ohne drittes Geschlecht oder ähnliche genderkorrekte Wunder getrennt.

Die Kamecke-Halle heißt nach den dort ausgestellten, sehr viel zarteren Figuren Schlüters, die ursprünglich das Dach des letzten von diesem erbauten Hauses in der Dorotheenstraße zierten. Die Villa-Karmecke in der Dorotheenstraße 74, an deren Stelle heute das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung steht, wurde von Schlüter zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Lustgarten in der Dorotheenstadt in der damals Letzten Straße gebaut für Ernst Boglislav von Kamecke. Dieser einem alten pommerschen Geschlecht entstammende Junker war preußischer Staatsminister und Generalpostdirektor, der anfänglich erfolgreich die Schatulle von König Friedrich I. verwaltete, ab 1717 aber in Intrigen geriet, was schließlich 1719 zu seiner Entlassung in Ungnade führte, warum er noch acht Jahre bis zu seinem Tod die schlüterschen Figürlein in Ruhe genießen konnte. Diese Villa wurde ab 1779 der Sitz der Freimaurergroßloge Royal York, in die Friedrich der Große eingeweiht worden war und deren Rituale er in anfänglichem Interesse noch mit prägte. Später zog sich Friedrich wie auch Lessing mehr aus diesem doch nur Verein gelangweilt zurück, was der Autor aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann, auch wenn er damals noch wirklich revolutionäres Potenzial teilweise hatte, etwa bei der Boston Tea Party oder dem Ballhausschwur des Bruders des Grand Orient Graf Mirabeau. Jedoch blieb das Haus bis 1935 im Eigentum der Großloge, als die Nationalsozialisten alle Freimauerlogen auflösten und deren Eigentum konfiszierten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus von Bomben getroffen und brannte völlig aus. Vor der Sprengung nach dem Krieg wurden noch Schlüters Figuren abgenommen und stehen seitdem in der Karmenke-Halle, einige plastische Überreste kamen ins märkische Museum, am anderen Ende der Insel ein Stück die Spree hinauf, immer einen Besuch wert und irgendwann auch noch eine Geschichte hier. An Nachbargebäuden lassen sich noch Spuren der etwas zurückgesetzten Villa erkennen, die ansonsten verschwand.

Vor der nun Kapelle im Stil der italienischen Renaissance, die auch manches aus dieser Epoche offenbart, von Medici Wappen bis zur sakralen Kunst ist es für den erfahrenen Besucher an der Zeit nach rechts abzubiegen, statt sich von sakraler Kunst berauschen zu lassen, sich lieber der menschlicheren Kunst der italienischen Renaissance zuzuwenden. Auch hier findet sich natürlich mancher Altar oder eine Kirchenbank, ein Papstkopf dort, doch in allem überwiegt bereits der humanistische Geist der Renaissance, der nach der Natur sucht und aus ihr seine Freude empfängt, den Menschen als Wesen in der Natur begreift und sein lässt, nicht nur im Schatten des übermächtigen Aberglauben.

Durch diese Räume zu schlendern und zu sehen, wie in den Zentren der italienischen Renaissance ein neues Menschenbild entstand, statt alberner Marien- und Christusbilder plötzlich der Mensch im Mittelpunkt stand, auch wenn dies ‘plötzlich’ einige Jahrhunderte dauert und ein langsamer Prozess der Distanzierung und Entfremdung von einer immer dreister werdenden Kirche war. Der Beginn der Renaissance, die nach dem Ideal der Antike suchte, das sie wieder gebären wollte, ist schwer exakt zu terminieren.

Stephen Greenblatt hat es in seinem großartigen Buch die Wende, wie die Renaissance begann auf die Wiederentdeckung des rerum natura, von den Dingen der Natur, von Lukrez durch Poggio gelegt, was sich deutlich nachweisbar in der Kunst und Philosophie auswirkte. Gute These, die den atheistischen Geist der Renaissance auch betont, die eben auf die Natur und den Menschen mehr schaut als auf die erfundenen Götter, wie es Lukrez in seinem Text nahelegt, den Rom bald wieder verbieten ließ, wie sie ihn jahrhundertelang hinter Klostermauern hatten verschwinden lassen. Dieser Text, der viele Denker bis heute beeinflusst, sollte nicht unterschätzt werden, doch denke ich inzwischen, der Geist der Renaissance zeigte sich schon weit früher, eben in der Suche nach solchen Texten, kommt genau das neue Denken zum Ausdruck, das sich auf das antike Erbe bezieht. Jacob Burckhardt lässt es ungenauer und erwähnt auch die erotischen spöttischen Geschichten aus dem Italien des 13./14. Jahrhunderts, in denen sich der Freigeist zeigt, die auch Poggio, der Sekretär des römischen Papstes war, der auf dem Konzil zu Konstanz zugunsten des aus Avignon gemeinsam mit dem spanischen abgesetzt wurde, mit aller Deftigkeit veröffentlichte und schon vor seiner Entdeckung schrieb, weil sie ein gängiges Genre waren, Bestseller einer Zeit vor Erfindung der Druckerpresse. Wer durch die Räume des Bode zur Renaissance lustwandelt - selten passt dies Wort besser in seiner ganzen sinnlichen Schönheit als hier - wird genau dies feststellen, insbesondere wenn er sich danach in die Untiefen des dunklen Mittelalters der Gotik oder des byzantinischen Aberglaubens begibt.

Die Gotik gab grandiosen Handwerkern wie einem Riemenschneider eine Plattform, die meisterhaft, geradezu übermenschlich aus Holz Figuren formten, zur Verehrung Gottes und im ganzen Wesen dem höheren Ideal folgend, an dem nichts menschliches war, wie es sich so deutlich in den erotischen italienischen Geschichten des 14. und 15. Jahrhunderts schon zeigte, wo Pfaffen und Aberglaube verspottet werden. Warum nur kam, als Italien in der Renaissance zu den Vorfahren aus Rom und Griechenland aufbrach als Reaktion aus dem Reich kein Aufbruch sondern nur die Reformation eines antisemitischen Mönchs namens Luther, was wäre aus Europa geworden, wäre es in einer Kirche weiter zur Freiheit gegangen, um sich als ganzes zu befreien, statt sich gegenseitig um des wahren Glaubens willen den Schädel einzuschlagen?

War die Reformation nur die kleingeistig deutsche Antwort auf die Renaissance, die einzig zurück zum wahren Glauben wollte, statt sich in der Renaissance vom Aberglauben zu befreien?

Das 1904 als Kaiser Friedrich Museum eröffnete heutige Bode Museum, zum Gedenken an den legendären Direktor der Gemäldegalerie, der den Bau veranlasste, beherbergt die Skulpturensammlung, das Museum für byzantinische Kunst und das schon erwähnte Münzkabinett, von dem aus der Blick aufs Wasser aber sehr schön ist, besonders am Wochenende, wenn am anderen Ufer Flohmarkt ist. Seit Oktober 2006 dürfen wir Berliner uns wieder an unserem schönsten Museumsbau erfreuen, dem einzigen Haus, das so zärtlich mit seiner Umgebung spielt, sie aufnimmt und einbezieht in seine architektonische Konzeption.

Bis 1945 stand eine protzige Reiterstatue auch noch vor dem Museum zur Verehrung von Kaiser Friedrich III., dem 99 Tage Kaiser und Vater des peinlichen Wilhelm II., der sich noch als Kronprinz ab 1871 massiv für das Kunstmuseum eingesetzt hatte. Konkrete Vorschläge dazu kamen vom Kunsthistoriker Bode, ab 1914 bitte von Bode, dessen Ideen der kaiserliche Hofarchitekt Ernst von Ihne zwischen 1897 und 1904 in den heutigen Bau umsetzte. Bode ließ noch die auf die Kunstsammlung der Kurfürsten zurückgehende Sammlung mit Skulpturen und Gemälden zusammen präsentieren, was einen besseren Eindruck des Geistes der Zeit gab als die heutige strenge Trennung der Kunstwelten, die doch so eng zusammengehören. Aber noch gibt es Hoffnung auf den Masterplan, der für die Museumsinsel Bodes Idee der Einheit wieder umsetzen will.

Der Bau im Stil des Neobarock errichtet, der sonst selten Schönes war, steht auf einem 6000m² großen Grundstück, das ein unregelmäßiges Dreieck bildet. Von 1824 bis 1897 stand hier noch das Berliner Mehlhaus, sowie seit 1876 die Kunstbaracke in der regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Künstler stattfanden. Trotz der unregelmäßigen Grundfläche auf der gebaut wurde, haben es die Architekten geschafft, den Eindruck völliger Symmetrie zu erwecken. Der Bau wurde mit schlesischem Sandstein aus der Kreidezeit verkleidet. Teile des Gebäudes steigen wie die Schaumgeborene direkt aus der Spree und geben damit dem Kunstpalast seinen ganz besonderen Charme.

Gesättigt und erfüllt vom Geist der italienischen Renaissance, ihrer immer auch Erotik und Lebensfreude, wende ich mich dann der Basilika zu, die deutsche Gotik und Byzanz von der menschlichen Schönheit der Italiener trennt. Der langgestreckte Mittelraum zwischen den beiden Flügeln des Hauses zeigt in Seitenkapellen religiöse Bildwerke und farbige Terrakotten mit teils religiöser Motivik. Eine Kirche mit vielen Altären ohne Apsis und Götzendienste, dem Wissen und der Kunst gewidmet.

Den Abschluss des Mittelschiffs des Museums bildete nach den großen Türen aus der Basilika, die immerhin den religiösen Zeitgeschmack der Renaissance als zentral betont und nicht die wesensmäßig düstere deutsche Gotik und also auch im Zentrum Geschmack bewies, die kleine Kuppelhalle im Rokokostil mit pompöser Marmortreppe, die von Friedrichs preußischen Generälen umstanden wird, auch der König selbst findet sich allerdings bescheiden im Erdgeschoss, gemeinsam mit den Venus und Merkurstatuen von Pigalle, die ursprünglich den Auftakt der Weinbergstreppe in Sanssouci bildeten. Die sechs Generäle Friedrichs standen früher am Wilhelmsplatz und wurden inzwischen museal. In dieser repräsentativen Flucht zwischen großer Halle und kleiner Halle fanden auch Empfänge statt, bei denen die Hofgesellschaft wohlhabende Bürgerliche als Mäzene lud, sie in angemessener Umgebung zu schröpfen.

In den Ausstellungsräumen selbst hatte Bode noch Ensemble aus Gemälden, Skulpturen und kunstgewerblichen Objekten dicht gedrängt aufgestellt, es muss ein intensives Erlebnis auf engem Raum gewesen sein, der die Kunst der Epochen vorführte. Dabei wurde den ersten großen Mäzenen Thiem und Simon der Gefallen erwiesen ihre geschenkten Sammlungen geschlossen nach ihrem Spender zu präsentieren, statt entsprechend der Epochen. Mit vielen zusätzlichen vor allem in Italien zusammen gekauften innenarchitektonischen Details wollte Bode das Erlebnis der Besucher möglichst authentisch gestalten. So verfolgte er mit seinen Stilräumen ein neues museumspädagogisches Konzept, was lange belächelt wurde, auch wenn es erstaunliche Wirkung zeigte und den Gang durch die Geschichte zum kulturellen Erlebnisse machte.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus glücklicherweise relativ wenig beschädigt und nach der Herstellung eines Notdaches gab Johannes R. Becher, der damalige Kulturminister der DDR dem Museum am 1. März 1956 den neuen Namen Bode-Museum, nachdem es zunächst in der SBZ Museum am Kupfergraben genannt wurde, um den kaiserlichen Namen aus der Welt zu tilgen, der nicht zum Arbeiter und Bauern Staat passte. Dennoch zog sich in der DDR die schrittweise Wiederherstellung des Gebäudes bis zum Stadtjubiläum 1987 hin. Jedoch stellen sich ab 1990 immer mehr Mängel der vorigen Arbeit heraus, warum ab 1997/98 die Generalinstandsetzung in Angriff genommen wurde. Sie erforderte die denkmalgerechte Wiederherstellung des Gebäudes, zu der auch die Wiederherstellung des Tiepolo Kabinetts gehörte, in dem 22 Fresken Tiepolos in spätbarocker Umgebung passend inszeniert wurden. Der während des Weltkrieges völlig zerstörte Raum, dessen Bilder glücklicherweise ausgelagert worden waren, konnte nach einem alten Schwarzweiß Foto originalgetreu wiederhergestellt werden.

Im Rahmen des Masterplans der Museumsinsel, der noch manch schönes vorsieht, was derzeit noch im kleingeistigen Geiz sich zu verlieren droht, ist schon der Übergang zum Pergamon-Museum vorgesehen. Die Werkstätten und die Sicherheitstechnik wurde auf den neuesten Stand gebracht. Auf dem Weg zurück zum Original wurden auch manche nachträgliche Einbauten wieder beseitigt und ursprüngliche Farbfassungen wiederhegestellt.

Heute stehen die Kunstobjekte eher locker gruppiert, relativ frei  im Raum, eröffnen gelegentlich überraschende Perspektiven, entsprechen jedenfalls aktuellen Sehgewohnheiten eher als Bodes historisierende Kabinette, die vielleicht eine zu hohe Dichte aufwiesen, auch um noch heutigen Anforderungen an die Sicherheit gerecht zu werden. Der ganze Spaß kostete 152 Millionen Euro und wurde vollständig aus Bundesmitteln finanziert, was im Verhältnis zum Ergebnis verschwindend wenig noch scheint, wo ist ein mit solchen Schätzen bestückter Gang durch unsere Geschichte sonst auf der Welt noch möglich?

So hat die wunderbare Sanierung dieses Museums auch wohl entscheidenden Anteil an der Stellung als Weltkulturerbe, auch wenn dazu im ästhetischen Vergleich zur Zeche Zollverein etwa vermutlich sogar der grässliche Berliner Dom genügt hätte, der besser abgerissen und durch Schinkels schlichten Vorgänger ersetzt würde. Bei der Sanierung zeigte sich, dass die Räumlichkeiten der von den Direktoren Eisenhauer und Parzinger geplanten Verlegung der Gemäldegalerie und die gemeinsame Präsentation, nicht genügen würde. Darum wurde ein schöner Neubau auf dem anderen Ufer der Spree geplant, der durch einen Gang verbunden werden sollte.

Zur Zeit ruht dieses Projekt jedoch aus Kostengründen. Der Optimismus Parzingers ist wohl etwas gebremst, aber noch ist nicht aller Tage Abend und sollten keine größeren Krisen bevorstehen, spricht wenig dagegen langfristig die zusammengehörigen Sammlungen auch räumlich wieder zu vereinen, um die Kulturgeschichte Europas hier ganzheitlich zu präsentieren, wie sie schöner kaum irgendwo je zusammenfand. Dann würde Bodes Plan in zeitgemäßer Form ein wunderbares Staunen realisieren.

Im oberen Geschoss finden sich auf der einen Seite großartige Figuren und Schnitzereien, teilweise aus Elfenbein und Ritterheilige aus der Zeit der Dreißigjährigen Krieges, die teilweise uralte numismatische Sammlung, gehört zu den frühesten Kollektionen im Besitz der brandenburgischen Kurfürsten und ist auf ihrem Gebiet eine der größten und wichtigsten Sammlungen der Welt, wen immer das wirklich mal interessiert hat. Es lässt sich anhand des Geldes aber sicher viel Kulturgeschichte nachvollziehen und manches, was dem Laien nur ein unwichtiges Detail oder schlichter Schmutz zu sein scheint, ist dem Fachmann die Spur zur Rätseln der Geschichte, die uns oft unsere Zeit erst verstehen lassen. Es ist also sicher sehr verdienstvoll und wichtig, sich auch für die Numismatik zu interessieren und zu begeistern, nur ich, aufgrund meiner beschränkten geistigen Fähigkeiten und der relativ geringen Aufnahmekapazität meines zugegeben sehr löchrigen Gedächtnisses habe diesen Teil bisher jenseits des gerade noch Pflichtbewusstseins mal da gewesen zu sein, eher sträflich ignoriert.

Zwar lehrten schon die Römer, dass Geld nicht stinken würde, pecunia non olet hieß das bei ihnen, wobei es eher um Latrinengebühren als um Münzen ging, meine ich, doch nehme ich mir bisher meist die Freiheit eher der Leidenschaft für die schöne Kunst zu folgen und dann am Ende schönster und teilweise auch hocherotischer Elfenbeinschnitzereien, bei denen teilweise, mehrfach verschlungene Paare beim Gruppensex sich auf sehr elegante Art oral befriedigen und, was auf Facebook vermutlich zur Löschung des Account eher führte denn Hass-Propaganda, steht hier im schönsten deutschen Museum jugendfrei zur Unterhaltung aller Besucher herum, die merken, wie vielfältig lustvoll doch die Kunst sein kann, was wir fürs Leben von ihr lernen und wie viel Spaß Menschen auch schon vor mehreren hundert Jahren am Sex hatten, den sie sich als kostbares Kunstobjekt schnitzen ließen.

Von den schönsten Elfenbeinschnitzereien gelange ich in den Museumsshop voller schöner Bücher, der allerdings, seltsamerweise weniger verführerisch dekoriert ist als der im Keller der Alten Nationalgalerie und mich darum meist ohne Folgen wieder in das auf ihn folgende Café entließ. Eine traumhafte Lage, an der Spitze der Insel, Blick theoretisch rundherum, leider nur theoretisch, ist dies Café im schönsten Museum Berlins viel besser gelegen, als es ist und nutzt sein Potential bisher leider nicht wirklich, was mir noch unverständlich blieb. Dort treffen sich immer wieder elegante Gäste mit referierenden Kunsthistorikern und wichtigen Entscheidern mit mehr oder weniger viel sachlicher Ahnung, die angeregt debattieren und sich dabei sehr wichtig nehmen. Diese deutsche Ernsthaftigkeit gebührt der schönsten Gotik Riemenschneiders und den Schätzen aus tausend Jahren byzantinischer Kultur hier ohne Frage - es geht ja um Weltkulturerbe, eine ernste Sache - doch vollkommen schön würde es an diesem aus vielen Gründen geliebten Ort erst, wenn auch im Café die Leichtigkeit und Menschlichkeit voller Lebenslust aus den Räumen der italienischen Renaissance einzöge. Das Mittelalter ist tot, die Religion ein Treppenwitz der Geschichte,  bäumt sich in letzten Kämpfen geistig lächerlich auf, die Kunst ist es, die unsere Kultur trägt, genießen wir sie aus vollem Herzen dort und nehmen wir uns viel Zeit dafür.
jens tuengerthal 21.3.2017

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