Sonntag, 19. März 2017

Berlinleben 024

Neue Liebe?

Es ist Sonntag und es regnet, beste Gelegenheit ins Museum zu gehen, denken viele Berliner, wenn sie sich nicht lieber über den ins Wasser gefallenen Ausflug ins Grüne klagend ärgern. Wie die Märker klagen können, wusste schon der aus Neuruppin zugereiste Berliner Fontane zu gut, vor allem zeigt sich dabei ihre Fähigkeit aus nahezu nichts ein wahres Weltwunder zu machen, sobald es sie betrifft. Die Grundsätze des alten Moltke, viel leisten und wenig dabei in Erscheinung treten, passten eher in dessen mecklenburgische Heimat, denn nach Preußen oder Berlin, auch wenn es sich mit viel soldatischem Drill seit dem in Kriegsfragen eher zurückhaltenden Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. immer gerne zeigte, nur war das wie beim Vater des Alten Fritz eher viel Lärm um Nichts.

Wenn also die alten Märker, was die Berliner ja auch mal waren, wie die Neu-Berliner nicht nur am Meckern sind, werden sie gern ins Museum gehen, auch - wieder so ein Wermutstropfen - dies die nächsten vermutlich mindestens drei Jahre dort nicht tun können, wo ich heute in meinen Erinnerung aus dem Berliner Leben flanieren will. Möchte lieber nicht darüber nachdenken, ob die Neue Nationalgalerie und ihre Sanierung ein Flughafen oder eine Elbphilharmonie werden, manches klappt ja auch hier und so schreibe ich für alle, die sich erinnern können und mehr noch für jene, die gerade nicht können, weil geschlossen.

Während die Alte Nationalgalerie mit den Impressionisten in der Ersten Etage das Licht im eigentlich dunklen Bau hat, der an antike Zeiten anknüpft, ist es bei der Neuen Nationalgalerie eher umgekehrt. Der Bau ein Traum aus Licht und einer der schönsten Klassiker der Moderne, was drinnen hängt eben die klassische Moderne, einiges nett, zu viel Expressionismus, weniger überragendes und mitreißendes als in der Sammlung Berggruen, sehe ich mal von dem grandiosen Max Ernst am Eingang ab, der mich immer wieder lachen lässt über dessen Humor und aus Freude an dem freien Genie. Am schönsten fand ich sie, als dort die Impressionisten aus dem Metropolitan in New York zu Gast waren und die hellen Räume mit ihrem Tanz ums Licht erfüllten. Das ging, wenig erstaunlich, vielen so, nie war der auffällig geniale Bau besser besucht mit Kunstfreunden aus aller Welt.

Es wird auch meist mehr über den Bau der Neuen Nationalgalerie und die dort stattfindenden Sonderausstellungen erzählt, die als kulturelle Mega-Events zelebriert werden und auch entsprechende Zahlen bringen, als über die ständige Sammlung dort, die  manche gar nicht kennen, weil sie nur zu den großen Festen dort verkehren.

Eine schlichte, filigrane Schönheit von Ludwig Mies van der Rohe, dem größten und wohl einflussreichsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts, die er in den 60er Jahren bauen ließ und deren Vollendung er gerade noch ein Jahr vor seinem Tod miterleben durfte, wenn er auch bei der Einweihung schon zu krank war, konnte er doch seinen Plan realisieren und wusste darum. Eingerahmt von Philharmonie, Staatsbibliothek und Kulturforum steht die Neue Nationalgalerie unweit des Potsdamer Platzes zumindest direkt umgeben von großen Sternen der Architektur, die sogar den Potsdamer Platz in seiner immer zu gewollten Art eines Einkaufszentrums aus Castrop Rauxel oder Bielefeld ertragen lassen. Das dem Fujiyama ähnliche Dach über den Sony-Center ist zumindest ein amüsanter Hingucker an einer Stelle, an der die vielen Dörfer Berlin gerne Großstadt spielen wollen und doch ungewöhnlich durchschnittlich dabei bleiben, was die Museumsinsel zum Weltkulturerbe noch machte, mit einer Bebauung verspielen, bei der die Versiegelung des Bodens die größte Rolle scheinbar spielt und der Rest kaum der Rede wert ist. Dies Dach des Sony-Centers ist übrigens bezeichnend für die hohle fremde Formensprache dieses Areals. Seine Wirkung erhält es vor allem durch seine Beleuchtung, weniger durch die Architektur an sich, unter der sich wenig bemerkenswertes dafür desto mehr gewöhnliches verbirgt, was eher piefig und vorstädtisch anmutet, nirgendwo den Geist von Berlin trägt, der an vielen anderen Stellen noch von Freiheit und Aufbruch kündet, Dinge vorlebt, die der Rest der Republik erst Jahre später nachmacht.

Wie anders dagegen die Neue Nationalgalerie, die ich allerdings, wenn ich mit der U-Bahn kam, immer vom Potsdamer Platz aus zu Fuß erreichte, was den hier beschriebenen Kontrast zwischen Gebrauchsarchitektur, bei der jeder Aldi irgendwo im märkischen Sand mehr Charme hat, und städtebaulichen Meisterwerken auch mir halbblinden Ahnungslosen in Fragen der Architektur schlicht offenbarte. Gelegen an einer sechsspurigen Straße, eigentlich der Bundesstraße 1, die an verschiedenen Stellen der Stadt, die sie quert unterschiedliche Namen trägt - bei mir umme Ecke heißt sie Greifswalder Straße, dann ein kleines Stück verdienstvoll  Otto Braun Straße und so geht es im munteren Wechsel auf der immer gleichen Verkehrstrasse weiter, die kein Boulevard sondern ein Ort der Fortbewegung ist. Von dort geht der Besucher in den lichten oft völlig leeren Bau, durch den er die Umgebung in wechselndem Licht und mit neuer Perspektive sehen kann.

Fahre ich mit dem Rad, was ich lieber noch tue, wenn es das Wetter zulässt, komme ich von hinten, was hier nur für den Weg besonders schön ist. Aus dem grünen Tiergarten kommend, an Philharmonie und Kulturforum vorbei, lande ich vor der hohen grauen Rückwand des Skulpturengartens, den ich erst von oben wahrnehmen kann oder wenn ich ihn aus den Ausstellungsräumen betrete. Der lichte filigrane Charakter des Gebäudes entgeht denjenigen, die zuerst von unten schauen auch, sie sehen beim Ankommen zuerst hohe graue Wände, die abschirmen und nicht die Kunst der Welt eröffnen. Ein völlig falscher Eindruck, der mich die ersten mal täuschte, kam auch mit dem Auto von unten auf der Suche nach einem Parkplatz und das Kunstwerk ist eben dieser nur von leichtem Metall gerahmte Glasbau, der über der eigentlichen Galerie steht.

Die Neue Nationalgalerie ist das einzige Gebäude, das Mies van der Rohe nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Deutschland umsetzte. Als er den Auftrag 1962 erhielt war Mies bereits 76 Jahre, zum Zeitpunkt der Vollendung also 82. Er griff dabei auf zwei vorher nicht realisierte Entwürfe, unter anderem für Bacardi in Jamaica zurück. Diese Entwürfe haben gemeinsam, dass sie von einem auf nur vier Stützen ruhenden Dach über einem völlig freien Innenraum ausgehen. Der Bau begann 1965 und wurde dann plangemäß bis 1968 vollendet, wobei die Umsetzung durch Mies Enkel Dirk  Lohan erfolgte.

Damals  war die Neue Nationalgalerie noch das erste Museum und Kulturgebäude am langsam entstehenden Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz, der seit 1961 ja hinter der Mauer in Ostberlin lag oder der SBZ, wie es im Westen vielfach noch hieß, bevor die DDR anerkannt wurde. Das Gebäude realisierte Mies Idee vom Universalraum erstmals in einem Museum. Auf die 105 mal 110 Meter großen Granitterasse, die den leichten Abhang am Ufer des Landwehrkanals ausgleicht, wurde ein quadratischer Stahl-Glas-Pavillon aufgesetzt. Das den ganzen Bau dominierende ebenfalls quadratische Stahldach wurde als Ganzes in neun Stunden von 24 synchron gesteuerten Hebern über die acht Stahlstützen gehoben und von dort auf den vier Seiten auf je zwei Stahlstützen montiet. Der Raum darunter bildet die große völlig stützenfreie Haupthalle, die nur von zwei Versorgungskernen und zwei Treppen ins Untergeschoss strukturiert wird.

Mies lichte Lösung ist die moderne Vergegenwärtigung des antiken Podiumstempels, die  der durch Schinkel geprägten Bautradition entspricht, nur machte er das alte Preußen plötzlich durchsichtig und gab einen beliebig nutzbar großen Raum zur wechselnden Bespielung, neben den Räumen der Sammlung im quasi Untergeschoss unter der großen Granitfläche gelegen. Es ähnelt damit einerseits der Alten Nationalgalerie und ist doch andererseits als offener und frei schwebender Raum deren genaues Gegenteil.

Die Neue Nationalgalerie ist Heimat der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin in den Bereichen Malerei, Skulptur  und Plastik. Sie reicht von der klassischen Moderne bis zur Kunst der 60er Jahre. Sie knüpft ausdrücklich an die Tradition an, die Ludwig Justi noch von 1919 bis 1937 im Kronprinzenpalais als Neue Abteilung begründete und setzt diese Sammlung fort, die von den Nationalsozialisten mit der Aktion Entartete Kunst zerstört wurde. Hier gingen auch viele Werke der Sammlung unwiederbringlich verloren, die bis heute etwa beim Blauen Reiter und anderen Gruppen eher spärlich denn repräsentativ ausgestattet ist.

Wer war dieser Architekt, von dem nun schon mehr die Rede war, als von der Kunst, die  in seinem Gebäude ausgestellt werden sollte?

Ludwig Mies van der Rohe hieß eigentlich Maria Ludwig Michael Mies und kam aus der Nähe von Aachen, wo der Vater einen Steinmetzbetrieb hatte. Er gilt bis heute als einer der bedeutendsten Architekten der Moderne und sein Ziel war es die Mittel der technischen Zivilisation architektonisch umzusetzen. Seine Baukunst drückt konstruktive Logik in klassischer Form aus. Dazu entwickelte er neue Stahlkonstruktionen, die eine hohe Variabilität bei gleichzeitig größtmöglicher Verglasung ermöglichten. Die Mauern wurden durchbrochen und das Licht sollte in die Gebäude kommen. Dieses rationale Konzept war so universal einsetzbar, dass es auf viele Architekten auf der ganzen Welt großen Einfluss ausübte, der bis heute sichtbar ist und den je technischen Innovationen entsprechend weiterentwickelt wurde.

Ob die Glashäuser den Menschen in ihnen gut taten, genug Rückzugsraum boten, wäre eine eher psychologische als ästhetische Frage, die aber eine immer größere Rolle für viele spielte, die sich wieder nach ihren Hobbit-Höhlen sehnten, den Autor dieser Zeilen eingeschlossen, der lieber im Altbau als im lichten Glaskasten noch lebt.

Berühmt wurde Mies van der Rohe, der sich nach dem Geburtsnamen seiner Mutter und dem niederländischen Namenspräfix ‘van der’ selbst seinen Namen gab, was verständlich war, denn welcher Architekt wollte schon Mies heißen oder sein, als Vertreter des Minimalismus in der Architektur, die er unter Formel “Weniger ist mehr” zusammenfasste, was zu einer nicht endenden Debatte zwischen sich für modern haltenden Minimalisten und barocken Wesen wie etwa auch dem Autor dieser nicht minimalistischen Zeilen führte, ob nicht auch mehr einfach mal wunderbar sein könne, sich daran zu freuen. Der Minimalismus ging über die Mode in alle Lebensbereich, verstärkte das Problem der Magersucht bei vielen vor allem jungen Frauen und führte in manchem auch zu einer Reduktion, die sich manch kostbarer Schätze als Zierrat entledigte, wenn etwa Jugendstil abgeschlagen wurde, um klaren Linien Raum zu geben, als sei die Linie ein Wert an sich.

Zu fragen ob das Bedürfnis nach weniger mit Mies Aufwachsen in einfachen katholischen Verhältnissen im Raum Aachen zusammenhängt, aus dem übrigens auch die neue trockengelegte Kultfigur der Sozis Schulz stammt, wäre mir zu psychoanalytisch und liegt mir als eher religiös daher völlig fern. Als Kontrapunkt zur Enge ist die Weite zumindest auch etwas Schönes - manche fühlen sich in Höhlen geborgen wohl, andere beengt und streben in die Weite - wer dabei glücklicher ist, wüsste ich nicht zu entscheiden. Auffällig ist nur mit wieviel weniger sich die Höhlenmenschen wohl fühlen können an einem Ort. Sie bewahren an ihren Ressourcen orientiert, eher was sie haben, während andere lieber ausbrechen wollen, gern in die Ferne streben, auch wenn das Gute so nahe liegt.

Habe seltsamerweise noch nie eine Höhlenbewohnerin als Partnerin gehabt oder die einzige, die es eigentlich war, lebte es als Architektin anders und blieb irgendwie unnahbar, mir ein Rätsel, bei dem ich nicht zwischen Konvention und Neigung so genau unterscheiden konnte. Aber bevor ich mich hier in solch völlig abseitigen persönlichen Betrachtungen verliere zurück zum Meisterarchitekten Ludwig Mies.

Ab seinem 13. Lebensjahr kam er in Aachen auf die Berufsschule, die heute nach ihm heißt und machte eine Maurerlehre. Seine erste Anstellung erhielt er als Zeichner von Stuckornamenten, schon im elterlichen Betrieb war sein Zeichentalent aufgefallen. Mit 17 wechselte er dann als Zeichner zu einem Aachener Architekten, wo er von einem Berliner Kollegen entdeckt wurde, der ihm riet, doch lieber nach Berlin zu kommen, wer wollte schon damals in Aachen oder in Würselen bleiben.

In Berlin begann Mies bei Bruno Paul zu arbeiten, wo er auch erste Möbel entwarf, für die er später so berühmt wurde. Nebenbei besuchte er Vorlesungen an der Kunstgewerbeschule und der Hochschule für bildende Künste in Berlin. So begegnete er dem Ehepaar Riehl, die sich ein neues Haus errichten lassen wollten und dafür nach einem Nachwuchstalent suchten. Den Zuschlag bekam Mies und baute so einen Erstling das Haus Riehl in Babelsberg, das im Reformstil der Münchner Schule errichtet wurde und das aus heutiger Sicht eher nett und konventionell aber sehr niedlich aussieht aber schöner als vieles, was heute an Glaspalästen in Fertigbauweise die Siedlungen wie Industriegebiete ohne Namen aussehen lässt. Der obige Stil war die Richtung seines damaligen Lehrers und Professors Paul, der den begabten Schüler auch vermittelte und förderte. Vor Baubeginn hatten die Bauherren Riehl, die später enge Freunde wurden, Mies noch eine sechswöchige Studienreise nach Italien ermöglicht, damit das Talent in Florenz, Rom und Vicenza sah, was im Villenbau möglich und denkbar war.

Den Garten des Riehlschen Hauses gestaltete übrigens Karls Foerster, der berühmte Gartereformer, der in der Ahornallee im Westend groß wurde und später in Bornim bei Potsdam sein Staudenreich begründete, der NSDAP-Mitglied war und später Träger verschiedener Staatspreise als Unternehmer der DDR, der aber nichts mit der Neuen Nationalgalerie zu tun hat, den ich nur erwähne, weil es gerade so gut passte und ich an einen Freund in der Ahornallee dachte, der dies lesend, lächeln könnte, mit dem und seinem Vater ich aber mehrfach die Neue Nationalgalerie besuchte und manches von den großen Kunstkennern lernte.

Über die Beziehung zu seinem Bauherren lernte der fleißige Mies später auch seine erste Frau Ada Bruhn kennen, die in der bekannten Gartenstadt Hellerau bei Dresden wohnte, welche er dadurch auch näher kennenlernte und als Ort häufiger besuchte. Wem nun der Spruch mit Sachsens Frauen und den Bäumen nur einfällt, möge bedenken, es war erst die erste Ehe, zumindest hat die Reformsiedlung den späteren Reformarchitekten nicht abgeschreckt. Vermutlich auch über Hellerau entstanden auch seine Kontakte zum Mont Verita in der Schweiz, der Wiege der Alternativbewegung der Moderne, in der sich Spinner wie Aleister Crowley mit etwas seriöseren wie Hermann Hesse und anderen teils Nackttänzern trafen, um die Welt neu zu  denken. Auch Rudolf Steiner lebte hier eine zeitlang sehr ausgelassen.

Ab 1908 wechselte der sich vielseitig bildende Mies zum Büro von Peter Behrens, der als Avantgardist galt und wo er sich an Großprojekten weiterentwickeln konnte, was wohl einer der Gründe war, warum auch Walter Gropius dort tätig war. Exkursionen zu Schinkels Bauten und eine Ausstellung über Frank Lloyd Wright hinterließen einen bleibenden Eindruck bei ihm. Es folgten dann Bauten in Zehlendorf und den Niederlanden, bei dem sie ihn seinem Chef vorzogen, warum er spätestens dann Behrens wieder verlassen musste, auch wenn aus dem großen Auftrag dann doch nichts wurde.

Wieder in Berlin heiratete er seine Freundin Ada Bruhns, die Frabrikantentochter und Tänzerin. Vor und während des Ersten Weltkrieges bekam seine Frau drei Töchter, er selbst war als Bausoldat in die Nähe von Frankfurt geschickt worden, blieb bis 1918 im Dienst, entging aber der Front. Wieder zurück in Berlin ab 1919 gerieten Mies Ehe und die deutsche Wirtschaft parallel in die Krise und er trennte sich 1921, nannte sich ab dann nach seiner Mutter Mies van der Rohe, als die Weimarer Republik eigentlich alle Titel überwunden glaubte.

Nach dem Weltkrieg begann mit der Absetzung des geschmacklosen Kaisers Wilhelm endlich der Aufbruch in die Moderne, dem sich auch Mies stellte. In den folgenden Jahren entwickelte er die ersten Hochhäuser mit seiner Haut-Knochen-Architektur, die ein Stahlgerüst mit einer Glashülle versahen. Mies nahm intensiv an den Debatten in Zeitungen der Architektur teil, favorisierte die Neue Sachlichkeit, ohne sich jedoch einer Gruppe klar zuzuordnen. Ab 1923 baute er die ersten Häuser in der neuen Formensprache. Von 1923 bis 1926 war Mies Mitglied im Bund Deutscher Architekten, BDA, den er nach Auseinandersetzungen über Konventionen wieder verließ. Dafür arbeitete er seit 1925 verstärkt im Deutschen Werkbund, DWB, mit denen er etwa die Weißenhofsiedlung am Stuttgarter Killesberg realisierte, die heute zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Darüber kam Mies wiederum in Kontakt mit Le Corbusier, mit dem er später regen Austausch pflegte, Zugleich lernte er bei einer Ausstellung zur Inneneinrichtung in Stuttgart seine zweite Frau Lilly Reich kennen, die diese Ausstellung als Innenarchitektin leitete.

Aufgrund ihres großen Erfolges wurden Mies und Reich mit der Errichtung des Pavillons auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 beauftragt. Dieser fast völlig zweckfreie Repräsentationsbau wurde zur Hauptattraktion der Weltausstellung überhaupt und eröffnete eine ganz neue Debatte, die zeigte, dieser Bau war einer der wichtigsten der modernen Architektur überhaupt und veränderte den Blick auf das Bauen völlig. Mit Bauten leben wir täglich und viel was Mies vordachte, so seltsam es uns heute auch manchmal scheint, wurde lange Zeit zum Maßstab, aus dem sich die Postmoderne noch ohne ein Konzept erst mühsam befreien muss und darum so oft nur unklar herumeiert zwischen kitschigem Historismus wie in Dresden und gesichtsloser Moderne hinter Glaskästen.

Weltkulturerbe wurde auch Mies Haus Tugendhat in Brünn, das 1930 fertiggestellt wurde und indem er wieder die Innenarchitektur gemeinsam mit Lilly Reich schuf. Für Weißensee, Barcelona und Tugendhat entwarf Mies auch eine Reihe von Möbeln, die selbst zu Klassikern der Moderne wurden, etwa die Freischwinger, die Barcelona Sessel, der Brünn-Stuhl und der Tugendhat-Sessel oder die Palisanderliege mit der Nackenrolle, dabei immer auch von Lilly Reich beraten.

Nach der Unsicherheit der Weltwirtschaftskrise von 1929 nahm Mies den Ruf zum Direktor des Bauhauses in Dessau an. So wurde der von Gropius errichtete Bau, der zu DDR Zeiten durch Vorziehung der Fußböden an die Glasfront aus Sicherheitsgründen zum Treibhaus totsaniert wurde, für kurze Zeit seine Wirkungsstätte bis ihn 1932 die Mehrheit der Nazis im Gemeinderat von Dessau wieder absetzte und das Bauhaus aus politischen Gründen schloss. Er versuchte das Dessauer Bauhaus dann noch als Privat Hochschule in Berlin weiterzuführen, was jedoch nach der Machtübernahme der NSDAP spätestens scheiterte. Mies passte sich zunächst dem neuen System an und unterstützte Hitler formal. Jedoch drängten ihn die Nazis bald aus der Preußischen Akademie der Künste.

Spätestens ab 1936 erhielt er Angebote aus Harvard und Chicago, mit denen er 1937 letztlich einig wurde. Damit siedelte er 1938 in die USA über und wurde 1944 auch amerikanischer Staatsbürger. Am Armour Institut wurde Mies Lehrer und arbeitete nebenbei in seinemm Architekturbüro. Ab 1946 lernte Mies noch den Projektentwickler Greenwald kennen mit dem er bis 1969 allein sechs Wohnhochhausanlagen realisierte, neben den anderen öffentlichen und sonstigen Aufträgen. Mit 83 Jahren verstarb der Architekt und Bauhausmeister hochbetagt und hatte mit seinem Enkel auch einen Nachfolger in seinem Büro.

Der Gang in die Neue Nationalgalerie, die gefühlt im Keller unter der riesigen Granitfläche liegt, als ginge es in ein Grab, ist zugleich erstaunlich und erhebend. Öffnen sich doch neben den relativ kleinen Welten der Ausstellungsfläche im Untergeschoss, zumindest im Verhältnis zur sonstigen Fläche geradezu winzig und doch für die bescheidene Sammlung der klassischen Moderne genau richtig groß, ganz neue Welten, wenn der Besucher sich plötzlich wieder zu ebener Erde sieht, sich die großen Glaswände hin zum Skulpturengarten öffnen und offenbaren wie licht auch dies vermeintliche Untergeschoss ist, über dem der sichtbarste Teil der berühmten Neuen Nationalgalerie schwebt.

Es gäbe noch manche Geschichte zu einzelnen Bildern zu erzählen, gerade dem großartigen Max Ernst zur Begrüßung, doch im Verhältnis zu dieser großartigen Architektur verblassen viele Werke dieser etwas schwachbrüstigen Moderne. Anders wirken die Räume bei großen Ausstellungen, die verzauberten Welten von Klee oder so schön wie nie als die schönsten Franzosen aus New York nach Berlin kamen und das impressionistische Licht in diesen Klassiker der Moderne trugen, neben dem die meiste Kunst blass wird. Vielleicht könnten noch die Alten Meister der Gemäldegalerie dort glänzen, weil zeitlos schön, aber die Zeitgenossen des Architekten wirken kaum, zumal es nicht die großen Werke der Sammlung Berggruen sind, auch bedingt durch die Verluste nach der Aktion gegen die entartete Kunst ab 1933 von den unkultivierten Nazi-Idioten, die ihren beschränkten Horizont in alle Bereiche Deutschlands ausdehnten.

Ein großer Bau für grandiose Wechselausstellungen, der zur Zeit wegen Sanierung für Jahre geschlossen ist, sollte in manchem neu nachdenken lassen über die festgefahrenen Konzepte um das Kulturforum und die Museumsinsel, denn aus beiden Standorten ließ sich in harmonischer Nähe mehr machen. Ob die nur mittelklassige Sammlung der klassischen Moderne diakektisch in einem älteren Bau besser wirkte, während es für große Bilder egal ist, wo sie hängen, sollte gut überlegt werden, statt sich zu schnell, zu eng, zu fest zu legen - mit diesem Gebäude des großen Ludwig Mies van der Rohe hat Berlin einen riesigen Schatz, es sollte ihn nur angemessener nutzen als beiden mit der nur mäßigen Sammlung seiner Zeitgenossen keinen Gefallen zu tun. Lieber mehr gewagte Dialektik oder mehr mutige Sonderausstellungen dort und dafür mehr moderne Klassiker ins Kulturforum. Wagen wir die Dinge in der Kunst neu zu denken behält sie ihre Spannung und belebt die Gesellschaft nachhaltiger als sie es bisher konnte.
jens tuengerthal 19.3.2017

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