Samstag, 18. März 2017

Berlinleben 023

Alte Liebe

Zwischen Sonne und Wolken im Hinterhof, den zwischenzeitlich Schauer völlig verdunkeln, wird der Frühling spürbar. Das Licht kehrt zurück in die große Stadt und ihre vielen Höfe, scheint auch wieder einige Stunden hell in meine Küche im 3. Stock, zeigt mir wie dringend, wenn mal einen Tag am Stück die Sonne scheint, meine Scheiben nun geputzt werden müssen und weckt verborgene Frühlingsgefühle auch im Mann in Schwarz, der bei seinem Tee sitzt und sich am Licht freut.

Eine lange Zeit von November bis März ist Berlin vielfach grau und die gute Beleuchtung innen wird immer wichtiger, um die dunkle Zeit hier zu überstehen - dabei gibt es einen Ort in der Stadt an dem man das ganze Jahr, außer Montags, im Licht baden kann. Dem Glück das die französischen und deutschen Impressionisten in der Natur entdeckten, in die sie sich zum Malen begaben. Ein Ort der Ruhe und Einkehr, der zugleich voller Lust und Sehnsucht die Lebenskräfte in uns weckt, wenn wir nur als Betrachter geruhsam durch die Räume schleichen.

Natürlich gibt es dort nicht nur Impressionisten sondern die ganze Kunst des 19. Jahrhunderts von dunkler deutscher Romantik, die gern im Kitsch fast schmierig erstickt und doch handwerklich meisterhaft ist, bis zu ersten Versuchen des Expressionismus, die nicht alle der Schönheit förderlich waren, selten in dieser Richtung überhaupt, warum sie hier eher vernachlässigt seien und dann gibt es den Realismus eines Menzel, der Berlin malte oder auch mal nicht malte, wo er sich über den König ärgerte und auch diese Spuren uns sichtbar erhielt. Den antikisierenden Marmor von Schadow und anderen voller Gefühl behauen und poliert - Friederike und Luise zur Begrüßung, preußischstes Prinzessinnendoppel vom einst obotritischen Stamm der Mecklenburger, die in Darmstadt zu Damen wurden, vom frommen Witwer einst als zu erotisch versteckt, stehen sie für das preußische Arkardien, dass jene vergaßen, die es aus rein politischem Entsetzen über den völlig unpreußischen Österreicher einst auflösten als Alliierte mit dem ersten Kontrollratsbeschluss, was aber wieder eine andere Geschichte wäre.

Dieser Ort ist die Alte Nationalgalerie, auf der Museumsinsel gelegen, Teil des Weltkulturerbes, Nachbarin des Neuen Museums, ein Tempel der Kunst nach antikem Vorbild, ähnelt dem für Friedrich den Großen noch einst monumental angedachten Denkmal von Form und Konzept und passt doch als Musentempel viel besser zu diesem vielseitig begabten Genie, der sich eine solche Kultstätte zu Lebzeiten gewisse verbeten hätte, lieber in Ruhe neben seinen Hunden auf dem Weinberg ohne Sorgen liegen wollte.

Zwischen 1867 und 1876 wurde das Gebäude von Stüler geplant und von Strack vollendet. Es steht stilistisch zwischen dem ausgehenden Spätklassizismus  und der beginnenden Neorenaissance, zwei Zeiten also, die sich lieber auf das antike Erbe und seine Schönheit noch besannen als die Welt zweifelhaft neu erfinden zu wollen. Das Äußere des Museums blieb bis heute so erhalten wie von Stüler geplant, dafür kam es im Inneren zu zahlreichen Umbauten und Anpassungen.

Das Gebäude selbst vereinigt in sich architektonische Merkmale ganz verschiedener Gebäudetypen. So sind die Giebelfassade und die umlaufenden Halbsäulen dem Vorbild antiker Tempel entlehnt. Die monumentalen Treppen dagegen einem Schloss oder Theater und die angehängte halbrunde Apsis kommt aus der Kirchenbaukunst. Früher konnte die Nationalgalerie ebenerdig durch die Kutschendurchfahrt erreicht werden, dem heute noch Eingang nur ohne Kutschen oder die große Freitreppe auf der sich das riesige bronzene Reiterstandbild von Friedrich Wilhelm IV. befindet, der das Museum mit plante und entwarf, dass dann sein Bruder Wilhelm I. eröffnen sollte - beide übrigens waren Söhne der Kultfigur Königin Louise, die wenig tun musste, ewig verehrt zu werden, auch weil es keine andere dazu gab.

Zu diesem Denkmal mit ihren irgendwie künstlerischen Sockelfiguren habe ich nicht viel zu sagen. Sind halt da, stören meist nicht zu sehr, die wunderbar lichte Kunst innen entschädigt auch für diesen kurzen Anblick preußischer Staatskunst ohne höheren ästhetischen Wert.

Fassade und Treppen bestehen übrigens aus Nebraer Sandstein, der dem Trias entstammt. Dagegen sind die Kolonnaden aus schlesischem Sandstein und Elbsandstein gefertigt worden, die beide aus der deutlich jüngeren Kreidezeit stammen.

Den antiken Tempel als Denkmal für Friedrich den Großen an dieser Stelle hatte der Lehrer Schinkels mit Namen Gilly schon geplant. Eine Art Akropolis im märkischen Sand. Schinkel und er träumten davon Berlin durch verschiedene tempelartige Bauten nach antikem Vorbild zu verschönern, die fehlende tatsächliche Geschichte durch die nachgebaute zu ersetzen. Friedrich Wilhelm IV. wiederum, der Architekturschüler und Gesprächspartner Schinkels fertigte einige Zeichungen an, die zur Grundlage des Entwurfs von Stüler wurden.

Verschiedene Ideen und Pläne für eine nationale Galerie gab es schon Anfang des 19. Jahrhunderts, die jedoch erfolgreich versandeten, wie so vieles in Berlin bis heute. Als dan 1861 schließlich der Bankier Wagener verstarb und dem König seine umfangreiche Gemäldesammlung mit dem Wunsch schenkte, die Sammlung solle ungetrennt behalten werden und in Berlin ausgestellt werden, wurde es Zeit für konkrete Planungen. Die Sammlung wurde der Grundstock der späteren Nationalgalerie.

Nun ließ Wilhelm I. den Schüler Schinkels Stüler an den Plänen für die neue Galerie arbeiten und stellte die Bilder bis dahin in der Akademie der Künste in Unter den Linden aus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1865 entwickelte Stüler nun den Plan der künftigen Galerie, der kurz vorher noch in der dritten Version schließlich genehmigt und dann von seinem Schüler Busse gemeinsam mit Strack vollendet wurde, den sozusagen Schinkel Enkeln. Stüler und später Strack achteten bei ihrer Planung sehr genau auf viele feine Details wie etwa die Verteilung von Licht und deren Wirkung am Gebäude. Die Detailfreude zeigte sich auch bei den von Etage zu Etage variierenden Türen, die alle gesondert gefertigt wurden und zeigten, es wurden keine Mühen für die Kunst der Nation gescheut.

Die schließlich Eröffnung des Gebäudes fand am 22. März 1876 im Beisein des Kaisers statt - es nähert sich also bald wieder ein Geburtstag, der jeden Licht suchenden Berliner zum Besuch verführen wollte. Das Gebäude galt als besonders feuersicher und die neue Dachverglasung in der so nahezu von außen unsichtbaren dritten Etage zeigte den höchsten Stand der damaligen Technik im Bau.

Gründungsdirektor der Nationalgalerie war ab 1874 Max Jordan, der noch eine relativ bescheidene Sammlung zu verwalten hatte. die hauptsächlich aus den 262 Gemälden der Sammlung Wagener bestand. Der Auftrag der Galerie war nun moderne und zunächst hauptsächlich preußische Kunst zu sammeln, da Berlin noch kein Museum für zeitgenössische Kunst besaß. Ab 1896 übernahm dan Hugo von Tschudi das Amt des Museumsdirektors von Jordan. Dieser erwarb und schätzte auch Impressionisten, auch wenn er damit den Konflikt mit dem Kaiser riskierte, der sich auf deutsche Kunst in der Nationalgalerie, nomen est omen, beschränken wollte, dem modernen Zeugs eher abgeneigt war und wir sehen ja immer noch die grausamen Spuren des Geschmacks von Wilhem II. in der entstellten Stadt und ihres abrisswürdigen Berliner Doms.

Die Impressionisten kamen und blieben, bilden heute den größten Schatz und der große Berliner Impressionist Liebermann wurde von Tschudi noch besonders gefördert und gewürdigt. Sein Nachfolger Ludwig Justi ab 1909 wandte sich dann sogar den Expressionisten zu, die Liebermann und ich ja weniger schätzten. Nach der Novemberrevolution von 1918 stellte Justi dann die moderne Kunst im Kronprinzenpalais Unter den Linden aus.

Die Nazis setzten den umtriebigen Justi ab und schickten dafür bis 1937 Eberhard Hanfstaengl auf den Posten, der weitere Umbauten plante. Sein Nachfolger wollte noch weiter planen und bewegte weniger in der Zeit, die ihm bis 1950 blieb, war das Museum doch ab 1939 kriegsbedingt für zehn Jahre geschlossen. Ab 1949 wurden erste Schauräume wieder geöffnet. Die Wiederherstellung zog sich nach kriegsbedingten Schäden bis 1955 hin.

Während Berlin und Deutschland geteilt waren, wurde auch die Sammlung der Nationalgalerie aufgeteilt und hing zu ihrem einen Teil in Schloss Charlottenburg und zum in der SBZ verbliebenen Teil im Gebäude der Nationalgalerie. Dabei wurde auch zeigenössische Kunst der DDR, was deren Führung eben so dafür hielt, ausgestellt, an der besonders ihre Nähe zum Stalinismus und künstlerisch zum Nationalsozialismus interessant ist.

Nach der Wiedervereinigung, ob nun mit Mantel der Geschichte oder nicht, wurden die Sammlungen wieder zusammengeführt und hängen nun gemeinsam auf der Insel, dem schönsten Weltkulturerbe Berlins. Ab 1992 wurden die notwendigen Sanierungsarbeiten am Gebäude vorgenommen, die von der DDR Führung nur seit 1980 zentral geplant wurde, ohne etwas zu tun. Neben einem neu gestalteten Eingangsbereich wurden dann auch zwei eigene Säle für Caspar David Friedrich und die Gemälde Schinkels vorgesehen.  Von 1998 bis 2001 war das Museum wegen der dringend nötigen Arbeiten dann geschlossen.

Wer das Museum über die sehr mondäne Marmortreppe hinter dem fast bescheiden wirkenden Eingang in der Kutschdurchfahrt betreten hat, sieht gleich nach dem ersten Aufstieg schon Louise und Friederike vor sich, muss nur dann leider noch nach rechts abbiegen, um die nötigen Eintrittskarten zu erwerben, außer er besitzt den wunderbaren Luxus einer Jahreskarte, die nur eingescannt sofortigen Zutritt zu den Skulpturen im quasi Vorraum der Gemäldesammlung auf dieser Etage, dem Hochparterre der Nationalgalerie, in dem verschiedene Wege des Realismus gezeigt werden, von Schadows Figuren über Menzels ach so preußische Bilder und Courbets Gemälde ohne den Ursprung der Welt, hin zu Constables Wolken, in denen sich auch weniger romantische Gemüter als der Autor dieser Zeilen schnell im Nichts der Sehnsucht verlieren können. Ein wunderbarer Auftakt, bevor es eine Etage höher ins Bad geht. Ganz berühmt dort sind auch das Flötenkonzert Friedrichs des Großen und das Eisenwalzwerk Menzels, es gibt andere dieses Berliner Meisters, die ich vorzöge ohne dieses darum gering schätzen zu wollen.

In der zweiten Etage werden die schönsten Räume des Impressionismus von den teilweise geschmacklich mehr als grenzwertigen Werken der Romantik und des Realismus umgeben. Kann sich der Besucher ansehen, ist nötig für einen vollständigen Überblick, wenn auch vom Erlebniswert als Betrachter nicht wesentlich weiterführend meist als ein Wimmelbuch, ein Stück Kunstgeschichte halt. Dagegen ist das Bad im Licht des Impressionismus ein Moment tiefen Glücks, der einen die Wärme Frankreichs oder auch Berlins bei Liebermann spüren lässt. Es sind diese Bilder eine sinnliche Erfahrung, nicht nur durch das Betrachten der Betrachter, die so oft glückselig versunken dort stehen, als hätten sie gerade einen Orgasmus hinter sich, noch mehr in der anziehenden Wirkung des Lichts und der Farben - bei Monet, Manet, Renoir, Cezanne, Degas und immer wieder auch Liebermann. Damit werden auch die Spitzwegs, Feuerbachs und Böcklins erträglich, schön muss sie ja keiner mehr finden, nett sind sie oft und von der Sonne des Impressionismus aufgetankt, kann ich immer wieder über sie lächeln. Es war eben auch der Geist der Zeit.

Das dritte Ausstellungsgeschoss am oberen Ende unter dem Glasdach zeigt Werke der Goethezeit und der Romantik, einige sehr schöne Werke von Caspar David Friedrich, wie sein genialer Mönch am Meer, der Turner vorwegnimmt oder auch manches kitschiges aber sehr preußisch exaktes Gemälde von Schinkel. Die Nazarener bemühe ich mich in härtester Konsequenz zu ignorieren. Diese nach Rom abgetriebenen religiösen Eiferer und ihre peinliche Kunstform, die nur nachahmen wollte und nie etwas eigenes außer geistlos und eben religiös wurde. Sehenswert noch das von Schadow geschaffene Grabmal für den Grafen Alexander von der Mark, den unehelichen Sohn Friedrich Wilhelms II., des Dicken und der Encke, die er zur Gräfin Lichtenau erleuchten ließ.

Die erfolgreichste Schau, die je in der Alten Nationalgalerie gezeigt wurde, war die Ausstellung Impressionismus - Expressionismus Kunstwende mit 245.694 Besuchern, bei denen ich zu den allerletzten 10 Besuchern zählte und mich wieder wunderbar bestätigt sah in meiner tiefen Liebe zum Impressionismus, während ich den Expressionismus eher für einen Schrei nach Hilfe und Harmonie halte, der mehr Mitleid als Begeisterung erregen kann und diese Sicht mit Liebermann teile, aber die Deutschen haben diese auch typisch deutsche Kunst für wichtig erklärt und so wurde sie eben auch dort gefeiert. Es gab auch ganz nette und bedeutend wichtige Werke dieser Gattung, die sonst eher unter der Neuen Nationalgalerie, dem Mies van der Rohe Bau im alten Westen, zuhause sind.

Wer durch alle drei Etagen gewandelt ist und erschöpft von Eindrücken wieder im Erdgeschoss anlangt, dem sei dringend der Besuch im Museumsshop im Untergeschoss angeraten, nicht nur der dort gelegenen Örtlichkeiten wegen, so etwas kann ja sehr entspannen, sondern vielmehr, um in einem immer gut preußisch und künstlerisch bestückten Buchladen zu stöbern, dort in den kleinen Erkern und Ecken hervorragenden Tee oder Kuchen zu genießen, auch der Kaffee, habe ich mir sagen lassen, sei mehr als gut, einer der besten in Berliner Museen überhaupt und so bildet die mindestens halbe Stunde am Ende dort stöbernd und genießend für mich den sinnlich schönsten Abschluss eines Gangs durch die Alte Nationalgalerie - selten nur schaffe ich es mit ganz leeren Händen von dort zu gehen, wenn ich noch wie im Rausch in die Kunst verliebt dort unten ankomme und mit vollem Herzen denke, was war das wieder schön.
jens tuengerthal 18.3.2017

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