Freitag, 17. März 2017

Berlinleben 022

Sozi oder Bürger

In meiner Familie galt es als verpönt in eine Partei einzutreten. Die Vorfahren waren kaisertreu und gegen Hitler, der Großvater väterlicherseits wurde nach dem 20. Juli 1944 degradiert, weil er auf den Listen von Goerdeler stand, ein Nazi war er nie, die fand er peinlich, wie seinen Bruder den Pastor, der bei denen Karriere machte und die Urgroßeltern mütterlicherseits hatten im Krieg angeblich ein jüdisches Ehepaar versteckt, der andere Urgroßvater mütterlicherseits, den ich noch kennenlernte, wenn er wie der alte dicke Churchill mit seiner Zigarre im Sessel saß und mit seinen Schildkröten spielte, saß damals einen Tag im Knast, weil er seinen jüdischen Bankier freundlich auf der Straße grüßte, als ihn die SA abführte, war für ihn eine Ehrensache und nur seine Belegschaft hat ihn angeblich wieder aus der Haft gebrüllt. So jedenfalls die Gerüchte der Großmutter. Früher waren sie Nachbarn von Hindenburgs in Hannover gewesen und ähnliche Geschichten mehr bekam ich als Kind zu hören. Sie spielte mit Prinz Louis Ferdinand vierhändig Klavier und mit ihm und Prinzessin Kira zusammen Bridge, kannte die Queen noch als kleines Mädchen aus dem Nachbargarten in London. Wusste zwar nie so genau, wo bei meiner Großmutter die Phantasie anfing und wann sie mit ihr durchging. Auch die Geschichte, als sie mit ihrer besten Freundin als Schulmädchen am traditionellen Bremer Mädchengymnasium Kippenberg zum 1. Mai die schwarz-rot-goldene Fahne einzog und die kaiserliche schwarz-weiß-rote raushängte, erzählte sie immer wieder gern. Sie waren Deutschnational aber nie Nazis oder Sozen. Ähnlich der Großvater väterlicherseits, dessen Kontakte zum Widerstand aus seiner Zeit als Kadett in Lichterfelde resultieren. Er gab sich preußisch und frei. Historisch taugliche Belege für ihre Opposition habe ich nie gesucht, mir privat genügte die erklärte Haltung.

Doch hätten meine Großeltern wohl im Grab rotiert, wenn sie gehört hätten, dass ihr Enkel ein Soze geworden ist. Zum Glück ist niemand mehr nach dem Tod, erfährt nichts je dann und kann einem also egal sein eigentlich, wäre da nicht auch die Ehre der Familie, deren Name ich trage und die für gute Bildungsbürgerlichkeit steht aber nie für linke Opposition, noch leider als große Freiheitskämpfer bekannt wurden. Einmal erzählte mein Großvater mir, ein Vorfahre in Gotha oder irgendwo da hätte das von abgelegt zur Zeit der Revolution von 1848 - habe das eine zeitlang stolz geglaubt, bis ich in den Gotha schaute, das Lexikon des deutschen Adels, in dem keine Spur davon zu finden war. Zumindest aber bezogen sich Teile der Familie wie mein Großvater väterlicherseits, der später Diplomat in Paris und Brüssel für die NATO war und meine Großmutter mütterlicherseits gern auf die großbürgerlichen Vorfahren und die hohen Freunde, wuchs ich in manchem ähnlich auf, wie es noch in den Buddenbrooks geschildert wird, wenn auch um über hundert Jahre in der Zeit versetzt.

Mit den Buddenbrooks hatte ich mich schon beim ersten Lesen identifiziert und wie nah waren sie mir jedesmal an Weihnachten, was wir ganz ähnlich lange zelebrierten. Die Stelle an der Konsul Buddenbrook teilweise auf plattdeutsch zu den aufgeregten Arbeitern sprach und diese Darstellung der Revolution war mir sehr nah. Im Leistungskurs Geschichte noch, stritt ich mich gern mit meinem Lehrer einem überzeugten linken Sozi, der nach 1968 auf den Spuren von Brandt in die Partei eintrat. Da vertrat ich die bürgerlich liberale Position, wie ich sie aus der FAZ, die es bei uns zuhause natürlich gab, kannte.

Kurz gesagt, alles sprach dagegen, dass ausgerechnet ich in die als links geltende Berliner SPD eintrat und dennoch tat ich es, als ich irgendwann als junger Vater, nach verschiedenem mehr oder weniger missglückten Engagement in der Führung der Kinderläden meiner Tochter meinte, mich sozial mehr engagieren zu müssen, in der Stadt, in der meine Tochter aufwuchs, heimisch werden wollte und mir ganz nebenbei noch einen Job erhoffte, die doch so häufig gern im politischen Kontext in Berlin vergeben wurden, wie ich oft hörte.

Warum dann ausgerechnet die SPD, warum nicht die Grünen oder die FDP, vielleicht die CDU?

Die CDU kam für mich als Atheisten nicht infrage, unter Kohl groß geworden war der Verein für mich untragbar und eine Partei mit C kam ohnehin nicht infrage für einen, der sich für Laizismus in Europa einsetzte. Die FDP wurde damals noch von Westerwelle geführt und mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden, war peinlich, trat für noch mehr Liberalisierung ein als die Regierung Schröder/Fischer, die ich eigentlich gut fand. Die Grünen wollte ich nicht, auch wenn ich viele wie Joschka noch aus alten Frankfurter Zeiten kannte, von den Demos gegen die Startbahnwest und ähnlichen populistischen Veranstaltungen meiner Jugend voller Überzeugungen, zu denen du als normaler Jugendlicher im Rhein-Main-Gebiet, ich lebte ja als Kind in Schwanheim und später in Bad Vilbel, einfach gingst, ich eine zeitlang sogar bei Greenpeace engagiert war, weil sie mir zu religiös im ökologischen Sinne waren. Sie waren mir in ganz vielem sympathisch aber schienen mir auch eine ganzheitliche Glaubensgemeinschaft zu sein und vor so etwas lief ich schon immer lieber weg.

Wohnte damals umme Ecke vom Kollwitzplatz und Wolfgang Thierse, damals Bundestagspräsident, wohnte quasi über den Friedhof in meinem Rücken, wir kannten uns vom Sehen auf dem Markt - oder besser ich hatte ihn gesehen und erkannt, er mich vermutlich bis dahin nie wahrgenommen. Aber dieser Mann aus der DDR Opposition gefiel mir, dachte er wäre auch so ein evangelischer Pastor, welch Irrtum, er war katholisch. Er war der Grund warum ich online in die SPD eintrat und so schließlich zu einer Veranstaltung meiner Abteilung, wie die Ortsvereine in Berlin heißen, auf einem Spielplatz in der Nähe kam, zu der auch Thierse erwartet wurde.

Ahnte noch nicht, welche Kämpfe in Parteien unter der Oberfläche gären, wie viele sich benachteiligt fühlen und darum immer allen potentiellen Gegnern auflauern, es nichts dringenderes gibt, als sich unter Parteifreunden öffentlich zu schädigen, Misstrauen die sicherste innerparteiliche Währung ist. Fand es freundlich wie Thierse den neuen jungen Vorsitzenden begrüßte und erfuhr erst viel später, dass er zuvor alles getan hatte, was ihm möglich war, dessen Wahl im Bezirk Pankow zu verhindern und also zeigte sich, egal wie hoch einer in der Hierarchie der Partei sitzt, gibt es doch immer noch viele, die alles tun werden, ihm Grenzen aufzuzeigen. War das nun basisdemokratisch schön oder widerlicher Trotz, fragte ich mich?

Dafür lernte ich bald meinen späteren Freund M kennen, der mit Thierse offensichtlich befreundet war, wie dieser ein irgendwie Eingeborener des Prenzlauer Berg war, nur bei ihm tatsächlich, Thierse war ja erst nach der Flucht aus Schlesien über Thüringen später auf dem Berg angekommen, während M tatsächlich hier geboren und mit Blick auf die Mauer aufgewachsen war. Ein waschechter Ostberliner also. Als Kind aus Künstlerkreisen, selbst ein hochbegabter Zeichner hatte er viel für die Sozialdemokratie in Prenzlauer Berg getan in den letzten Jahren, mehr als die allermeisten der Zugereisten und blieb doch immer ein oppositioneller und Preuße in vielem dabei, schätzte den großen Otto Braun. Beide waren wir historisch interessiert, tranken gern guten Wein, er war sogar Mitgründer des besten Weinrestaurants hier am Berg. Es war ein günstiges Zusammentreffen, bei dem die Partei nicht störte und das sich vielfältig gut ergänzte.

Im Grunde ist es M zu verdanken, dass ich dann doch trotz steigendem inneren Widerwillen viele Jahre in der Partei blieb und mich wie er in der Kulturpolitik mit engagierte, in der er für den Bezirk an ganz vielen Fronten vorbildliche Arbeit leistete. Dass diese Partei nicht ihn irgendwann in den Bundestag oder ins Abgeordnetenhaus schickte, ist für mich das beste Zeichen einer fortgesetzten Vetternwirtschaft des Klientels der Flügel einer Partei, die sich intern bekämpfen und deren Methoden mit Stasi Gewohnheiten zu vergleichen, mir teilweise nicht zu hart erscheint, warum ich irgendwann doch unhaltbar die Flucht ergriff, es blieb mir diese Arbeiterpartei, die sich manchmal gerne sozialistisch nennt und dann auch Genosse der Bosse sein will, innerlich immer fremd.

Der Fairness halber sei aber klar gesagt, es gibt in dieser Partei, wie vermutlich in allen, bei denen ich es sonst nicht so gut beurteilen kann, sehr viele unheimlich engagierte Leute, die zum großen Teil ehrenamtlich mehr für ihre Umgebung tun, als diese ahnt. Nehme ich etwa den jetzigen Bundestagskandidaten für Pankow, der Wolfgang Thierse nachfolgte, Klaus Mindrup, mit dem ich auch Nächte plaudernd auf meinem Balkon noch verbrachte,  als es ihm gerade nicht so gut ging, kann ich sagen, ein menschlich 100% zuverlässiger Typ, der sich konsequent für das engagiert, an was er glaubt. Er steht für das, was er sagt und ich halte ihnen für einen absolut integren Mann, dennoch blieben mir seine linke Überzeugungen immer fremd und hätten mir schon früher zeigen können, dass ich vermutlich in der falschen Partei oder genauer eigentlich in einer Partei überhaupt immer falsch war. Betrachte ich, wie er sein Bundestagsmandat gegen Thierse erkämpfte, zeigte sich mir schon, dies war nicht mein Verein und genau daran wollte ich nie teilnehmen, die Notwendigkeiten der Parteipolitik und ihrer Seilschaften blieben mir fremd.

So zeigte sich in vielem in der Parteipolitik  großes auch soziales Engagement auf der einen Seite - was der Bezirk auch Klaus Mindrups Engagement und seiner jahrelangen Arbeit hier verdankt, ist sehr viel, aber im Detail zu langweilig als Geschichte erzählt zu werden. Wie überhaupt Politik immer viel Kleinarbeit ist und das Ringen um Kompromisse auf sehr formalen Weg, bei dem sich wohl in jeder Partei auch die Gräben persönlichen Interesses immer wieder öffnen, die dann zu kleinen oder größeren Intrigen beim Kampf um die Macht führen.

So war ich ein Sozi geworden und fühlte mich nie als ein solcher, wollte es nie sein, sondern blieb ein eher konservativer, realpolitischer Demokrat, der aus pragmatischen Gründen eben in der SPD war, in der er sich so wenig zuhause fühlte, wie es mir vermutlich in den meisten Parteien gegangen wäre, was ich mir zu probieren nun erspare. Die Demokratie braucht zur Meinungsbildung wohl Parteien und ich wüsste auch kein besseres System als die parlamentarische Demokratie, um ein Gemeinwesen vernünftig zu regieren, weil die Fähigkeit der großen Gruppe, ihre Kräfte zu bündeln und die besten an die Spitze zu  wählen, eben noch die größte Garantie gibt, dass sich ein optimales Ergebnis ergibt. Nur ich bin eben nicht parteikompatibel.

Die SPD ist eine Wiedergründung aus dem Jahre 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit ihrem Godesberger Programm von 1959 bezeichnet sie sich als linke Volkspartei. Als erste Vorläufer der Partei gelten der von Ferdinand Lassalle 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein sowie die 1869 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die sich 1875 dann zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammenschlossen. Ihren heutigen Namen gab sich die Partei 1890 nach Außerkrafttreten des bismarckschen Sozialistengesetzes und wird darum oft als die älteste Partei des Landes bezeichnet, was sie aber tatsächlich nicht waren, eine liberale Organisation kam ihnen zuvor. Auf dem Parteitag in Erfurt 1891 nachm sie das gleichnamige Programm an, in dem die von Kautsky und Bernstein entworfenen Leitlinien sich wieder stärker dem Marxismus annäherten. Die frühe SPD stand den Gewerkschaften nahe und war noch am revolutionären Marxismus ausgerichtet.

Spätestens nach dem Ende des Ersten Weltkrieges setzte sich dabei Bernsteins Revisionismustheorie gegen die mehrheitlich revolutionäre Parteibasis durch, nach der die angestrebte sozialistische Umwandlung der Gesellschaft durch Reformen nach der Erringung der demokratischen Mach in Wahlen erreicht werden sollte. Eine weitere wichtige Diskussion zu dieser Zeit war die Massenstreikdebatte insbesondere nach der russischen Revolution von 1905. Die Debatte wurde 1906 mit dem Einknicken vor den Gewerkschaften im Mannheimer Abkommen beendet. Durch die Verfolgung unter Bismarck entwickelte die Partei eine hohe Effizienz in ihrer Organisation. Nach dem Tod Bebels 1913, der noch als Vermittler zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel der SPD galt, übernahm der als deutlich gemäßigt geltende Friedrich Ebert die Führung der Partei, die er sich mit Hugo Haase teilte.

Nachdem die SPD erst Großdemonstrationen gegen den drohenden Ersten Weltkrieg organisieren wollte, stimmte die Reichstagsfraktion doch der Gewährung von Kriegsanleihen im Eifer des landesweiten Patriotismus zu, ließ sich von Wilhelm II. einwickeln, da sie einen Krieg für unvermeidlich nun hielt. Einzig Karl  Liebknecht, der Sohn des Gründers Wilhelm Liebknecht stimmte 1914 noch dagegen. Nach einer Antkriegsdemonstration wurde Liebknecht 1916 verhaftet und blieb dann bis kurz vor Kriegsende in Haft. Einige SPD Mitglieder, die gegen die Unterstützung des Krieges waren, gründeten in dieser Zeit die Unabhängige SPD oder USPD.

Der USPD schloss sich dann der von Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründete linksrevolutionäre Spartakusbund an und bildete in der USPD den linken Flügel. Zur USPD wanderten schließlich auch Kautsky und Bernstein ab. In der Weimarer Republik gründete sich das von der SPD dominierte überparteiliche Bündnis des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dass der Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde am linken und rechten Rand diente. In diesem war etwa der Vater des großen konservativen Publizisten Joachim Fest engagiert. Als mit Ende des Ersten Weltkrieges es zu Matrosenaufständen kam und der Krieg eigentlich schon verloren war, übergab Maximilian Prinz von Baden die Regierung an die Mehrheits SPD unter Friedrich Ebert, die wenig vorbereitet, sich den Ereignissen fügte. Ein Teil der USPD und die Spartakisten wollten die Räterepublik, die Liebknecht auch nach Scheidemanns Ausrufung der Republik etwas später noch am Schloss ausrufen ließ.

Um die von der Mehrheit der revolutionären Truppenteile gewünschte Vereinigung von USPD und MSPD wieder zu ermöglichen, gründeten Ebert und Haase den Rat der Volksbeauftragten. Doch schon Ende 1918 scheiterte die Koalition an der Frage des Militäreinsatzes gegen meuternde Matrosen. Die nun allein regierende MSPD fand das Vorgehen einzelner Räte als Verrat an den demokratischen Prinzipien der Arbeiterbewegung. Als während des Spartakusaufstandes dann die Volksbeauftragtenregierung angegriffen wurde, wendete sich die Regierung an die alte militärische Führung und die Freikorpsführer. Mit der blutigen Niederschlagung des Aufstandes setzte sich MSPD durch und der damalige Reichswehrminister Gustav Noske erhielt infolge den Beinamen Bluthund, den er durch eigene Äußerungen errang. Den Morden in dieser Zeit fielen auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Opfer, die bis heute als Heilige der Linken götzenartig verehrt werden.

Die USPD schloss sich später mit ihrem revolutionären Flügel der KPD an und wurde im übrigen zwischen SPD und KPD zerrieben. In der Weimarer Republik stellte die SPD mit Friedrich Ebert bis 1925 den Reichspräsidenten und war bis 1920 an allen Reichsregierungen beteiligt. Später war sie nur noch von 1928 bis 1930 im Kabinett Müller in der Großen Koalition an der Regierung beteiligt. In Preußen stellte sie dagegen mit Otto Braun, einem der verdientesten Sozialdemokraten, von 1920 bis 1932 fast durchgehend den Ministerpräsidenten.

Dem Aufstieg der NSDAP, deren Wähler sich vor allem aus Jung- und Nichtwählern rekrutierte, hatte die SPD wenig entgegenzusetzen, sie konzentrierte sich auf ihr gewerkschaftsnahes Klientel aus Facharbeitern. Während des Nationalsozialismus gehörten die Sozialdemokraten zu den ersten, die verfolgt wurden und der letzte große Akt des Widerstandes war die Ablehnung des Ermächtungsgesetzes, mit dem Hitler seine Macht undemokratisch ähnlich wie heute Erdogan ausdehnen wollte, durch die 88 noch nicht verhafteten Abgeordneten der SPD. Am 22. Juni wurde die SPD aufgrund eines Aufrufs der SPD-Führung zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes durch den Reichsinnenminister verboten. In den darauffolgenden Tagen lösten sich alle Parteien bis auf die NSDAP freiwillig auf. Gegen viele SPD Mitglieder erging ein Berufsverbot, zahlreiche kamen in sogenannte Schutzhaft oder landeten in Konzentrationslagern. Einzelne SPD Mitglieder wie Julius Leber, Adolf Reichwein und Wilhelm Leuschner waren an der Planung des Attentats vom 20. Juli 1944 beteiligt oder gehörten dem Kreisauer Kreis an.

Nach dem Krieg gründete Kurt Schumacher von Hannover aus die SPD wieder, gleichzeitig gründete ein Kreis um Otto Grotewohl die SPD in Berlin für die SBZ. Der Gründungsparteitag fand 1946 in Hannover in einem Saal der Hanomag statt. In der SBZ, also in Ostdeutschland erzwang die KPD den Zusammenschluss und wurde dabei durch Druck des sowjetischen Militärs unterstützt und so entstand dort im April 1946 durch Zwangshochzeit die SED als Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, deren auch finanzielle Erbin nach dem Untergang der DDR die heute sogenannte Linke wurde.

In der Bundesrepublik blieb die SPD bis 1966 in der Opposition. Wurde dann zunächst Partner einer großen Koalition unter Kiesinger mit dem vorher Bürgermeister von Berlin Willy Brandt als Außenminister. In dieser Zeit arbeiteten SPD Wirtschaftminister Karl Schiller und der Finanzminister von der CSU Franz Josef Strauß sehr effektiv zusammen und wurden als “Plisch und Plum” bekannt.

Darauf folgte die sozialliberale Koalition erst unter Bundeskanzler Willy Brandt und dann ab 1974, nachdem Brandt über seinen engen Mitarbeiter den DDR Spion Günter Guillaume stolperte oder freiwillig zurücktrat kam Helmut Schmidt der beste und beliebteste Bundeskanzler, der schließlich 1982 durch Helmut Kohl und die fahnenflüchtige FDP wieder gestürzt wurde. In die Zeit Brandts fiel die neue Ostpolitik der Öffnung und Verständigung sowie der Warschauer Kniefall. Helmut Schmidt hatte im Deutschen Herbst mit der RAF zu kämpfen, bei der er sich letztlich mit seiner harten Linie, dass mit Terroristen nicht verhandelt wird durchsetzte.

Von 1982 bis 1998 saß die SPD nun gegen Kohl in der Opposition und scheiterte mit verschiedensten Kandidaten zu denen auch Oskar Lafontaine zählte. Die Macht errang jedoche erst Gert Schröder wieder, der in einer Koalition mit den Grünen regierte, bis Angela Merkel ihn nach der von ihm durch ein verfälschtes Misstrauensvotum erzwungenen Neuwahl im September 2005 ablöste. Schröder leistete durch seine Reform der Sozialpolitik in der Agenda 2010 großes für das Land auch gegen Willen der Partei. Die SPD regierte zunächst in einer Großen Koalition ohne Schröder mit, saß dann von 2009 bis 2013 in der Opposition gegen die CDU FDP Koalition und ist seit 2013 wieder in einer großen Koalition unter Merkel als Juniorpartner geführt noch von Gabriel. Dabei ließ die SPD über den Koalitionsvertrag erstmals ein Mitgliedervotum durchführen, das im Ergebnis wie von Gabriel gewünscht zustimmte, nachdem er als Parteivorsitzender das bisher schlechteste Wahlergebnis eingefahren hatte, was er durch die Abstimmung geschickt vergessen ließ.

Ihre Wurzeln hat die SPD nach ihrer eigenen Überzeugung in Judentum, Christentum, Aufklärung, Humanismus, marxistischer Gesellschaftsanalyse, was schon vom Wort her bei mir immer inneren Widerstand auslöst, und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Derzeit regiert die SPD im Bund und in 13 Ländern mit, in 9 davon stellt sie auch den Regierungschef. Übernational ist die SPD Teil der SPE, der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Progressiven Allianz, dafür lässt sie ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationalen, der sie seit ihrer Gründung angehörte, seit Meinungsverschiedenheiten 2013 ruhen.

Nach den Prinzipien des Open Space finden sich in Parteien verschiedene Flügel  und Interessengruppen wieder, die versuchen ihre speziellen Interessen irgendwie durchzusetzen und werden dabei möglichst noch parteiintern durch ihre Gegner korrigiert, um ein möglichst optimales Ergebnis für die Gemeinschaft zu erreichen. So denke ich beispielsweise, der Kandidat der SPD Pankow ist schon der optimale, den sie finden konnte, auch wenn ich eher meinen lieben Freund M auf diesem Posten gesehen hätte, aber der hatte eben keine Mehrheit hier und nicht die Möglichkeit sie sich dafür zu organisieren. Doch mag ich mich ungern einer Mehrheit fügen, die nicht meine Meinung vertritt und mich dann noch nach außen hin etwa im Wahlkampf für sie engagieren, was zwar gute demokratische Tradition sein mag, bei der ich aber lieber als Beobachter daneben stehe.

Über die Arbeit in der Partei lernte ich einige sehr interessante Persönlichkeiten kennen, wie etwa Klaus Wowereit, den damals regierenden Bürgermeister, seinen Staatssekretär für Kultur André Schmitz oder seinen Nachfolger Müller, der mir vermutlich politisch in vielem näher stand und den ich auch ohne tieferes Wissen aufgrund persönlicher Empfindung und Erfahrung für einen absolut integren Mann halte, der auch schon manche Verwundung in den üblen Grabenkämpfen der Berliner Sozialdemokratie zwischen ihren Flügeln erlitt. Auch den früheren Bürgermeisters meines Bezirks, den ich einen integren, korrekten Beamten eher nennen würde als einen Politiker lernte ich bei meiner Arbeit kenne, die immer mehr persönlichen Überzeugungen folgte als einer Parteilinie oder erwartbaren Mehrheiten. Solches Verhalten ist für denjenigen, der irgendwie hofft vielleicht über die Partei einen Job zu finden, eher unklug.

Besser hätte ich mich angepasst und wäre im Strom der hier linken Mehrheit geschwommen, die eine Koalition mit der SED-Nachfolgeorganisation Linke befürwortete, sehnsüchtig von Lafontaine schwärmte, dem viele von ihnen noch zugejubelt hatten. Letzterer, der nun in der Linken seine neue Heimat fand, war für mich schon immer ein unerträglicher Demagoge, der gerne Massen populistisch bewegte und der sich nicht umsonst mit der an Aufmerksamkeit immer sehr interessierten, intelligenten und bildhübschen Linken Wagenknecht verband. Doch ich war ein naiver Überzeugungstäter auch in der Partei, der sich keine Netzwerke taktisch klug aufbaute, eher verschämt davon sprach eben in der SPD zu sein, auch wenn ich nicht ganz hinein passte in diese ehemalige Arbeiterpartei.

So wurde ich nie viel dort und meine Karriere hielt sich bis auf das Amt des Sprechers des Arbeitskreises Kultur in überschaubaren Grenzen. Dennoch besuchte ich zunächst möglichst alle Parteiversammlungen, diskutierte engagiert und aus Überzeugung und wurde bald in die passende Schublade gesteckt, hatte entschiedene Gegner und wäre ohne die Unterstützung des erfahrenen M vermutlich noch schneller vor die Wand gerannt, als ich es so schon tat.

Die Vereinsfragen langweilten mich unendlich und die organisatorischen Debatten, bei denen vor Wahlen immer politisch korrekt so lange gequotet wurde, bis alle gewünschten Teilnehmer ihren Posten hatten und sich keiner diskriminiert fühlen musste, fand ich geradezu  unerträglich, akzeptierte sie aber als den gesetzlich notwendigen Teil der Demokratie. Wie Churchill dachte ich oft, grauenhaft diese Demokratie aber immer noch das bestmögliche, was wir überhaupt haben können und so fügte ich mich eben in das, was für Parteimitglieder notwendig ist, nahm an den ewigen Wahlen von Kandidaten teil, bei denen immer die Formalien ein vielfaches der Zeit gegenüber der inhaltlichen Debatte einnahmen. Vielleicht sollte es umgekehrt sein, weil es Parteien doch um Inhalte und ihre Durchsetzung geht, dachte ich und machte zunehmend nur noch mit, was mir eher als Beschäftigungstherapie erschien.

Schaute ich mir dagegen an, wie Gabriel an der Spitze der Partei ihren neuen Kandidaten und vermutlich bald Vorsitzenden vorsetzte, wurde mir wieder klar, wie die Demokratie zwar scheinbar von unten durch Wahl organisiert ist, tatsächlich aber in den Parteien durch starke Führer zum gewünschten Ergebnis gebracht wird. Erstaunlich fand ich immer mit welcher Begeisterung das Fußvolk der Parteien diesen Vorgaben fast blind folgt. Der gerade Aufschwung um den Kandidaten Schulz scheint mir ein typisches Ergebnis dieser Volksverführung durch geschicktes Marketing, das einen neuen Führer ohne Diskussion erhält sondern nach einsamer Entscheidung vorgesetzt bekommt, für die der Entscheider dann noch in seiner vermeintlichen Bescheidenheit als besonders großer Demokrat gelobt wird.

Dieser Sigmar Gabriel war auch für mich Grund genug, aus der Partei, in der ich nie heimisch wurde, wieder auszutreten, lange bevor Schulz Kandidat wurde und mich aus der langweiligen Vereinsmeierei völlig zurückzuziehen, auch wenn diese im Detail so wichtiges bewirken konnte, es lag mir einfach nicht, mich zu verbiegen, um als Kompromiss irgendwelche Ziele zu erreichen, falls sich nicht zufällig die Parteifreunde gegen mich verbündeten und blockierten, was sachlich ihnen vielleicht auch notwendig erschien, sie aber aus taktischen Gründen nicht mittragen wollten. So funktioniert die  Parteiendemokratie eben und es gibt viele auch kluge Leute, die sich dem beugen, weil sie die Sache der Demokratie für wichtiger halten, als ihnen die dafür nötigen Kompromisse schwer fielen.

Es ist ehrenwert, sich dafür zu engagieren und dieser persönliche Bericht über meine Zeit in der SPD soll keinesfalls in Politikerschelte ausarten. Im Gegenteil habe ich die meisten Profis auf diesem Gebiet als sehr ehrenwerte und oft auch persönlich engagierte Menschen kennengelernt, die trotz der widrigen Umstände immer auch für Ideale kämpften, um etwas Größeres zu erreichen. Dies ist wichtig und mehr zu loben, als das immer Gemecker der Stammtische und Nörgler, wie sie sich in den Reihen der Pegiden so zahlreich finden, die aber selten von Ahnung über die tatsächlichen Notwendigkeiten im politischen Alltag geprägt ist. Etwas tun, ist besser als nichts tun und nur meckern.

Habe viel gelernt über das tatsächliche Funktionieren der Demokratie, ihre seltsam verwaltete Verwandte in Berlin und die Durchsetzung von Kompromissen, politischen Realismus und zugleich persönliche Auseinandersetzungen, die bei vielem wichtiger sind als die Sache an sich. So gesehen bin ich dankbar, auch gelernt zu haben, wie nötig es ist, sich Netzwerke aufzubauen, um Ziele zu erreichen, was mir noch völlig fremd blieb, der ich eher als Einzelkämpfer über Prinzipien diskutierte, statt erst zu erfühlen und genau zu recherchieren, was überhaupt machbar war, mich aus Prinzip und Überzeugung für Dinge einsetzte. Damit kommst du in Parteien nicht weit, sondern rennst gegen Wände, die mit der Zeit immer stärker werden und du spürst plötzlich, warum die Steigerung von Feind zu Erzfeind ihren Superlativ im Parteifreund findet.

Entsprechend folgte ich auch bei der Mitgründung eines konservativen Oppositionskreises in der Pankower SPD, der sich gegen die linke Mehrheit in Prenzlauer Berg und damit auch den dort gewählten Vorsitzenden wendete, meiner Überzeugung. Verstand erst hinterher, als die Sache als gescheitert aufgegeben wurde, weil alle Revolutionäre mit den Stimmen der Mehrheit wieder von den relevanten Posten verdrängt wurden, dass es immer zugleich um Mehrheiten in der Organisation geht und alle auch taktischen Interessen folgen. Viele der Teilnehmer dieses ehemals Schönhauser Kreises gehörten auch schon in der DDR der Opposition an, hatten sich in Wendezeiten verdient gemacht und einige waren Mitgründer der SDP in Schwante 1989. SDP nannte sich die SPD in der DDR bis 1. Januar 1990, als sie langfristig an Einigung und Aufgehen in der großen SPD interessiert, sich umbenannte, weil von den revolutionären Ereignissen überholt.

In dieser Zeit hatte ich auch die Chance mit einem der Veteranen von damals, einem Abgeordneten und Verleger, ein Buch zum Jubiläum der Wende zu erstellen, in dem Teilnehmer von damals berichteten, wie sie den 9. November 1990 erlebten. Ein für mich als Wessi unheimlich spannendes Projekt, in dem ich viele interessante Geschichten aus der Zeit des Umbruchs zu hören bekam und tolle Menschen kennenlernen durfte. Denke ich etwa an die atemberaubende Geschichte, die ein später Bauunternehmer und Abgeordneter über die Besetzung des Waffenlagers der Stasi in Weißensee erzählte, scheint mir der später um ihn inszenierte Skandal, in dem ihm Vorteilsannahme bei der Auftragsvergabe vorgeworfen wurde, als typisch kleinlich parteilich und ein weiterer Ausdruck  des Machtkampfes des linken Flügels gegen die inzwischen Minderheit der bürgerlicher oder doch konservativer denkenden Gründer der Pankower SPD.

So ist vieles aus der Nähe betrachtet oft kleinlicher und von persönlichen Abneigungen geprägt, als es sein sollte, warum ich immer mehr auch in der Partei in innere Opposition geriet und mich fragte, was wollte ich hier und was machte ich da noch. Wenn ich langfristig ein Amt wollte, müsste ich mich um Mehrheiten bemühen und mich fügen, was ich nicht vorhatte. Auch wurde mir manche Abneigung zu schnell persönlich und intrigenhaft böse, eben typisch politisch auch, als das sie meinen Überzeugungen je entsprechen konnte. Fand etwa den, dem linken Flügel zugehörigen Vorsitzenden, persönlich sehr sympathisch, auch wenn er mich vermutlich als Rechten in der linken SPD ganz furchtbar fand, was ich aber nie erfahren habe und so scheint mir vieles in den Parteien mehr von Zuordnung und Flügeln geprägt als von Überzeugung oder sachlich getragen.

Schaue ich etwa Angela Merkel an, halte ich sie für die beste und fähigste Kanzlerin, jedem Populismus abhold, persönlich unbestechlich erledigt sie ihre Arbeit zuverlässig und sehr  gut, zeigte, als es nötig war, große Menschlichkeit, steht für die Ideale der Aufklärung und übernimmt da Führung und Verantwortung, wo es nötig ist. Vergleiche ich sie mit einem Schulz, scheint mir der Gegensatz zu der erfahrenen Kanzlerin in schwierigen Zeiten noch größer, ohne auf dessen private Defizite oder bisherigen Verfehlungen in seiner Karriere als politischer Millionär weiter eingehen zu wollen.. Dennoch fühle ich innerlich eine große Abneigung je die CDU zu wählen, auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass sie die bestmögliche in diesem Fall ist. So werde ich mich noch bis zur Wahl mit dieser Frage ein wenig quälen als verantwortungsbewusster Bürger und bin froh in keiner Partei mehr zu sein und lieber meine politische Meinung schriftlich zu äußern statt parteilicher Kompromisse.
jens tuengerthal 17.3.2017

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