Donnerstag, 16. März 2017

Berlinleben 021

Neue Museumslust

Das Neue Museum war auch das Zuhause der bekanntesten weiblichen Schönheit Berlins, der Pharaonin Nofretete und ihrer zauberhaften Büste, es geht hier um Kunst nicht um Brüste, ob es da klug war, sich dort mit einem irgenwie virtuellen Flirt zu treffen?

Wir kannten uns via Facebook, sie war eine echte Europäerin und dabei noch Wienerin und rothaarig - eine Kombination, die mir schon einmalig genug erschien und ich sollte mich nun zurückhalten, nicht mehr von ihr zu schwärmen, damit diese in vieler Hinsicht so einmalige Frau nicht aus versehen offenbar wird, im Schutz der Anonymität bleibt, den ich ihr mit huldvoller Verbeugung in Erinnerung manch schöner Schäferstündchen zu gern gewähre.

Es gab viel, was mich an ihr neugierig machte und als ich sie sah und erlebte, ihr übersprudelndes Temperament, ihre Leidenschaft, die roten Locken, ihre Bildung und ihr noch mädchenhafter Charme - eine Wienerin eben, ich war vom ersten Moment an bezaubert und das setzte sich beim Gang durch das gerade wieder eröffnete Neue Museum fort.

Liebe es ja, wenn Menschen hochdeutsch sprechen, weil ich sie meist besser verstehe und viele Dialekte eher wie Halskrankheiten oder Würgelaute mir vorkommen, es gebildeter doch klingt und meist ist, außer es sind Wienerinnen, da schmelze ich dahin, wenn sie mit der Färbung des Klangs spielen. So war ich schon vom ersten Moment an bezaubert, schon aus familiärer Tradition, schwärmte doch auch mein Vater seit seinen Studienzeiten dort von den Wienerinnen, auch wenn er angeblich seiner Bremerin treu blieb und zumindest immer noch mit ihr verheiratet ist, woraus ganz nebenbei wohl ich zumindest der Bremerin entsprang, warum ich nicht darüber klagen sollte. Wer von uns beiden dann tatsächlich mehr Wienerinnen näher kennenlernte, weiß ich nicht zu beurteilen, weil ich einerseits nicht wüsste, wie sich zwei noch näher kommen sollten als ich und jene Jahre später und ich andererseits nie mit meinem Herrn Papa Details dazu ausgetauscht habe, lassen wir es also dahinstehen.

So ging diesem ersten Treffen schon viel schwärmerische und humorvolle Begeisterung voraus und es hatte nach meinem Gefühl Jahre gedauert, bis wir uns zwischen ihren in Europa verstreuten Heimatorten endlich treffen konnten. Bis auf das wienerische in der Aussprache, dass sie übrigens auch nach Belieben abstellen konnte, schließlich hatte sie auch hier in Preußen mal studiert, was damals noch unter dem Namen West-Berlin lief, meine ich. Eigentlich war sie in ganz vielem, von der Haarfarbe, hier wie dort, bis zu Stil und Bildung wie der exquisiten Küche ohnehin, damit der ähnlich, die ich hatte und vernünftig betrachtet, hätte es keinen Grund für einen Ausflug oder Wechsel gegeben, wären wir in dieser Hinsicht je vernünftig und eigentlich passierte auch nahezu nichts. Zumindest nicht, solange ich in festen Händen war und überhaupt an diesem Tag.

Zu festen Händen könnte ich jetzt auch ein ganzes empörtes Essay schreiben von der Lüger der Besitzverhältnisse und der unerträglichen Leichtigkeit des Seins, von der Relativität der Werte, solange sie einen nicht selbst betreffen und der Größe der Kultur, die mit Liebe Eifersucht überwinder - aber ich erspare es mir hier, wo es doch mehr um ein faszinierendes Museum als die Liebe geht, insbesondere da auch unser späteres Verhältnis zwar immer wieder von intensiver, geradezu eruptiver Zuneigung geprägt war, aber nie eine Beziehung wurde, keine Missgunst kannte.

Aber, der Reihe nach. Von dem Museum und seiner vorsichtig genialen Restaurierung und Wiedererrichtung hatte ich manche Artikel gelesen und schöne interne Geschichten von einem der beteiligten Architekten gehört, der zufällig auch Papa an der Waldorfschule meiner Tochter war und dort in der Baugruppe schon vorher schwärmte. War also, als ich endlich tatsächlich dorthin kam, doppelt gespannt - auf die charmante, schöne Wienerin und das Museum - die beste Voraussetzung also dafür, dass alle völlig erhöhten Erwartungen enttäuscht würden, ich frustriert nach Hause wieder ginge und siehe da, das Gegenteil geschah.

Das Neue Museum, das im Krieg schwere Verwüstungen erlitt und an dem sich lange die Direktoren der Nachbarhäuser auch bedienten, es einfach als Magazin nutzten, gehört zum Weltkulturerbe Berliner Museumsinsel. Der Schüler Schinkels Friedrich August Stüler errichtete den Bau zwischen 1843 und 1855 und es gilt als Hauptwerk eines Architekten, der die Stadt vielfältig prägte - verantwortlich ist er auch für die verglichen geschmacklose Kuppel des Schlosses. Vor den ästhetischen Verbrechen des in jeder Hinsicht wenig bemittelten Wilhelm II. war er jedoch schon über zwanzig Jahre tot.. Das Museum wurde mit Kriegsbeginn 1939 geschlossen und blieb das bis zu seiner Wiedereröffnung am 16. Oktober 2009 noch 70 Jahre lang. Heute beherbergt diese Berliner Schatzkiste das Ägyptische Museum, mit seiner Papyrussammlung und der schönen Nofretete sowie das Museum für Vor- und Frühgeschichte, die beide vorher teilweise in Charlottenburg untergebracht oder sonst verstreut waren. Teilweise sich auch noch im Alten Museum befanden. Nun finden sich wieder die noch älteren Sachen im Neuen Museum, was ahnungslose Besucher verwirren kann, während die erfahrene Berlinerin natürlich weiß, das Alte Museum von Schinkel war einfach das ältere, von dem wir ja schon anlässlich der Gemäldegalerie ein wenig berichteten im Berlinleben erzählten, die dort zuerst auch noch war.

Es liegt westlich von der Alten Nationalgalerie, zwischen dem Pergamonmuseum und dem Alten Museum neben dem bald neuen Eingangsbereich inmitten Berlins schönster Insel der Kultur. Das Neue Museum war bei seiner Errichtung erst das zweite Museum auf der Insel, das erforderlich wurde, die in Schinkels Alten Museum nicht mehr unterzubringenden Schätze des Altertums aufzunehmen. Damals waren die Dinge in Preußen nooch wohl geordnet. Altes Museum und Neues Museum. Das Gebäude zählt in seiner Hinwendung zum Klassizismus zu den wohl bedeutendsten Museumsgebäuden des 19. Jahrhunderts und ist zugleich eines der wichtigsten Denkmäler der Konstruktions- und Technikgeschichte. Es war der erste Monumentalbau in Preußen, der massiv auch Eisenkonstruktionen einsetzte, wie sie erst durch die Industralisierung ermöglicht wurden. So kam schon auf der Baustelle erstmals eine Dampfmaschine mit enormen 5PS in Berlin zum Einsatz - “meine Damen, das ist eine Dampfmaschine” - mit der die nötigen Pfähle in den Inselboden gerammt werden sollten, um Halt im schlechten Baugrund zu finden.

Dies wissend, wurde dennoch eine U-Bahn entlang Unter den Linden bis zum Alexanderplatz, am Rathaus vorbei geplant, bei dem ich jetzt schon darauf wetten kann, wie lange die Fahrten des millionenschweren Stücks wohl dauern werden, bis sich erste Risse im grauenvollen Berliner Dom zeigen werden, der auch nur auf Eichenpfählen im Inselmatsch steht. So könnte diese völlig überflüssige U-Bahn uns doch die Freude bereiten das hässlichste Überbleibsel des grauenvollen Wilhelminismus einstürzen zu lassen und dann werde ich diese überflüssige U-Bahn Linie noch loben.

Das Neue Museum steht ebenfalls auf einem Gerüst von 2344 Gründungspfählen, die eine Länge zwischen 6m und 18m haben. Die Aufzüge zum Transport der Baumaschinen wie die Eisenbahn in der Baustelle wurden ebenfalls mit Dampfmaschinen betrieben und so kam modernste Technik auf der schnell fortschreitenden Baustelle zum Einsatz, die nur 1848 durch die Unruhen der Märzrevolution ein wenig verzögert wurden. Sobald einer der aufwendig gestalteten Räume vollendet war, wurde er eröffnet und so zog sich die Eröffnung von 1850 bis 1859 hin. An den besonders filigranen Wandfresken im Treppenhaus wurde sogar bis 1866 gearbeitet, was 23 Jahre sind und da beschwere sich noch einer über den Berliner Flughafen, auch wenn der kaum Weltkulturerbe außer als Baustelle je wird in funktionaler Hässlichkeit, die ich hoffentlich nie betreten muss.

Bei der Eröffnung befanden sich Ägyptische, Vaterländische und Ethnografische Sammlung im Erdgeschoss. Im ersten Obergeschoss standen Gipsabgüsse von der Antike bis zum Klassizismus also nahezu bis in die Gegenwart. Dafür teilten sich das zweite Obergeschoss das Kupferstichkabinett und die Kunstkammer. Die Gipsabdrücke wuchsen noch zur größten Sammlung davon überhaupt heran, die jedoch später nicht mehr wirklich wertgeschätzt wurde, warum sie 1919/20 der Berliner Universität übergeben wurde, wo sie im Zweiten Weltkrieg verbrannten.

Nach 1945 wurde das Museum eher vernachlässigt. 1986 begann noch zu DDR-Zeiten der Wiederaufbau, hier sollte wiederhergestellt werden, was allerdings erst nach der Wiedervereinigung und dann zwischen 1999 und 2009 unter großem Aufwand durchgeführt wurde. Dies stand im Rahmen des Masterplans für die Museumsinsel und kostete 295 Millionen Euro. Nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield, die sich eng an das Original hielten, wurden dabei der gänzlich zerstörte Nordwestflügel und der Südostrisalit wiederhergestellt. Das Neue Museum als beinahe rechteckiger Bau hat 105 Seitenlänge und ist 40m breit. Mit der erst später erstellten, aber von Stüler bereits vorgesehenen Nationalgalerie ist es durch Kolonnaden mit dorischen Säulen verknüpft.

Unter diesen Säulen war mir die Wienerin mit offenen Armen entgegen gekommen und so bekam unsere erste Begegnung auch noch den unglaublich romantischen Nachhall der Säulengänge dieses bezaubernden Museums Ensembles. Es war also eigentlich alles etwas viel und ziemlich kitschig und dennoch wurde es noch übertroffen von der Wirklichkeit im Museum. Das die Spuren voriger Gewalt und der Kriege neben dem teils mehr teil weniger sanierten Originalzustand sichtbar machen. Im Gegensatz zu Dresdens grauenvoll kitischiger Frauenkirche, die eben wie ein Marzipan Ei ins nicht ganz waschechte Sachsen passt, zeigt dies Berliner Museum die rauhen Spuren seines Vorlebens und glänzt nicht einfach schön und überpinselt, weil wir eine Geschichte haben, derer wir uns hier in Verantwortung bewusst sind, was in Sachsen nicht so sehr ausgeprägt zu sein scheint, wie auch der Umgang mit Denkmälern und Demokratie dort zeigt, sie sind eben etwas zurück  im fernen Osten der Republik, scheint es und den Polen und Ungarn näher.

Die Eisenkonstruktionen in den Decken der einzelnen Etagen ermöglichten es höher zu bauen als beim benachbarten Schinkelbau des Alten Museums und machten es auch leichter mit vielfältigen Deckenformen den jeweils ausgestellten Stil zwischen ägyptisch, griechisch und römisch zu imitieren. So liegt die Bedeutung des Baus und seiner inneren Konstruktion vor allem auch darin auf die Fortschritte der Industrialisierung hinzuweisen.

Stüler hielt sich bei den Fassaden um des Zusammenspiels mit dem Alten Museum wegen sehr zurück und diese bewusst schlicht.  Zwischen Beginn des Baus des Alten Museums und des Neuen Museums liegen nur 17 Jahre und doch stammen sie aus verschiedenen Jahrhunderten - während Schinkel beim Alten Museum noch auf die massive Bauweise des 18. Jahrhunderts zurückgreift, macht Stüler sich auf den Weg die neuen Chancen der Industrialisierung in der Leichtbauweise zu nutzen und mit großen Mengen an Eisen, so dass die Namen der beiden Häuser noch eine tiefere Bedeutung bekommen.

Die Gestaltung der Innenräume sollte die ausgestellten Gegenstände mit tragen und war doch für unseren heutigen Geschmack, der wir eher schlichte Präsentationen gewohnt sind, ein Museum für sich und Stüler zeigte hier seine große Neigung auch zur Kunst und mutig intensiven Farben. So nannten die Berliner die Innenräume bald ein Labyrinth der Symbolik. Die enge Verbindung die dadurch die Ausstellungsstücke mit den Räumen bekamen, erwies sich einer bald nötigen Erweiterung als hinderlich und war so zwar gut gedacht aber auch beschränkend - das Museum wurde weniger zum Ort der Präsentation von Kunst als selbst zum Kunstgegenstand. Auch heute balanciert es, wenn auch wesentlich zurückhaltender an dieser Grenze, wenn es die Besucher schon im Treppenhaus mehr staunen lässt und über die teils restaurierten Wände als über die ausgestellten Kunstwerke. Ob das gut oder schlecht ist, zu beurteilen, hängt sicher auch daran, wie mir gerade der Bau gefällt oder nicht und so ist ein solcher Bau stärker der Mode unterworfen als zeitlosere Bauten wie das Alte Museum Schinkels. Samuel Beckett etwa lästerte in den 20ern über das etwas überladene Drunter und drüber dieses Museums und nannte es “Higgledypiggledy”.

Es gäb über die einzelnen Säle und ihren Schmuck, ihre Bilder, welche die Ausstellungsstücke dort doch nur begleiten sollten, unendlich viel zu schreiben und wen das en Detail interessiert, der möge sich in entsprechende Bücher stürzen, um zu erfahren, wie es einmal war. Fand es ganz nett , aber auch etwas zuviel des Guten und da fehlte Stüler eben Schinkels geniale Zurückhaltung, wie sie dafür Chipperfield wieder in seiner Rekonstruktion zeigte, die nicht einfach nach Dresdner Zuckerbäckermanier wiederaufbaute, sondern gerade auch die Spuren des Schreckens, der Wandlung und der Umbrüche im Gebäude immer wieder vorsichtig sichtbar machte. Wir brauchen keine schlichte Wiederherstellung alter Architektur, die sieht dann eher nach Disney aus und wird peinlich stillos wie Dresden auch sonst oft. Der Entwurf wandelte dabei auf dem schmalen Grat, der den Ausstellungs Gegenständen, die für sich wirken sollen, Raum geben will und dem Wunsch auch das besondere Haus wirken und erzählen zu lassen. Hier wird nichts verkleidet oder verkitscht wie etwa in der Dresdner Frauenkirche, vom grauenvollen Berliner Dom lieber ganz zu schweigen, hier wird wirklich wiederhergestellt und Geschichte in all ihren Elementen begehbar gemacht.

Dabei sind immer wieder die Etagen durchbrochen und wir schauen durch eine genial eingefügte Konstruktion im Innenhof aus dem Untergeschoss auf wunderbare weil bruchstückhafte Wandgemälde. Es ist dies immer unvollendete, was unaufdringlich bleibt und die Dinge so wirken lässt, wie das Gebäude, die dieses Museum zu einer der genialsten Rekonstruktionen der Welt macht und hier zeigt, wie mit Baugeschichte verantwortlich umgegangen werden kann. Wie moderne Elemente sich bescheiden in vorhandenes einfügen, was geehrt aber eben nicht hochglanzpoliert angebetet wird, wie in manchen der Dresdner Zuckerbäckerekonstruktionen in ihrer ganzen Peinlichkeit.

Wir wandelten durch die Etagen und schwärmten über das, was wir sahen an Objekten wie Gebäude so sehr, dass ich unterwegs, gebannt vom Museum, die eigentlich unklare Leidenschaft wieder völlig vergaß, begeistert war und erst nach Stunden, als sie Erschöpfung deutlich zeigte, wieder feinfühliger wurde, sie und mich für den langen Marsch bis zu den ägyptischen Särgen in einem verborgenen Gang mit einem leidenschaftlichen Kuss entschädigte, den spürbar beide genossen.

Mehr wurde es diesmal nicht, sehen wir von dem etwas leidenschaftlicheren Abschiedskuss in der Friedrichstraße ab, bei der mir aber auch der vielleicht sogar beiderseits gewünschte Zugriff in tiefere Regionen außer in sekundenlanger Andeutung durch zahlreiche Passanten verwehrt war. So war die Leidenschaft geweckt und sollte irgendwann - so versprachen wir es uns - Erfüllung finden, nur eben nicht bei diesem Besuch und beim nächsten war ich dann ja schon so etwas wie Single und beim übernächsten ohnehin, zumindest konnte sie sich da immer auf ältere Rechte berufen. So ist das Neue Museum für mich immer mit doppelter Leidenschaft verbunden, was zum Bau passt, der ein preußisch zurückhaltendes Kunstwerk ist, das Geschichte erzählt von sich und wunderbar seine Schätze präsentiert, die dem Genießer mit der Zeit erst sich in aller Schönheit  offenbaren.
jens tuengerthal 16.3.2017

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