Freitag, 3. März 2017

Berlinleben 009

März - November 2001

Geschwängert

Das erstmal wichtigste am Schwanger werden ist das Schwängern. Wenn der Samen nicht zum Ei kommt, passiert nichts und beide verenden mit ihrem halben Chromosomensatz meist in irgendwelchen Abflüssen, was im übrigen mit den meisten noch nicht mal halben Menschen so geschieht nach dem Sex.

Wie das war, nämlich wunderbar, genau gleichzeitig gekommen und tatsächlich von Mann so gefühlt, die wir ja sonst eher in dem Ruf stehen, dabei nicht viel mehr mitzubekommen als Rein-Raus-Rein, habe ich schon beschrieben. Sex ist immer irgendwie nett, aber groß und toll, wirklich erinnerungswert wird er erst, wenn du auch zusammen kommst, was alle bestätigen werden, die es kennen und die übrigen für völlig überschätzt halten, warum sich hier jede Diskussion erübrigt - die keine Ahnung haben, sollen einfach mit denen haben, was sie schon Sex nennen, und die Genießer sollen den richtigen Sex miteinander genießen, der nicht nur Vorspiel mit Erledigung ist. Alles andere ist müßig und verlorene Liebesmüh.

Unsere später Tochter wurde genau so gezeugt, wie wir es beide mochten, konnten und genossen und es war perfekt. Einige Wochen später bestätigte das Pinkelpapier genannt B-Test die bisher nur irrationale Ahnung des ungeplanten Vaters.

Ungeplant nicht, weil wir es nicht wollten, im Gegenteil, wir waren offen dafür, aber rechneten nicht mehr damit, weil die großen Wahrsager der Gegenwart, die Gynäkologen ihr schon vor zehn Jahren prophezeit hatten, daraus würde wohl nichts mehr, wenn sie es nicht sofort täte, auch wenn sie bereits wusste, dass sie schon schwanger werden konnte, sogar praktisch und über den Rest decken wir den dezenten Mantel des Schweigens, weil ich davon auch nur aus Erzählungen weiß.

Gerechnet hatten wir nicht wirklich mehr damit, sie zumindest nicht, verhütet haben wir aber auch nie, es darauf ankommen lassen und dann kam es auch genau so, wie es eben so kommt, wenn es einem so zusammen kam, wie uns da. Was sich schon wieder anhört als redete ich wirr und ohne Kenntnis der Natur, da es dazu nur auf die Kontraktion des nervus pudendus ankommt und seines Gegenstückes, nicht auf die zufällige Reifung der Eizelle und der Moment der Reife der Eizelle im Zyklus der Frau ist nicht immer der Zeitpunkt, an dem die Lust auch am größten ist. Bei uns passte aber gerade zufällig alles, noch dazu war Wochenende, A also nicht irgendwo in Deutschland zum Arbeiten unterwegs.

Ob das männliche Sperma auch einer Art Zyklus unterliegt und es mal mehr  Triebkraft zur Zelle hat, dann wieder weniger, weiß ich nicht so genau, von verschiedener Konsistenz ist es zumindest im Laufe des Monats, genau wie der Scheidenschleim der Frau, an dem der Genießer schon schmecken oder fühlen kann, an welchen Tagen sie fruchtbar ist.

Vertrauen auf die Natur und ihre genaue Kenntnis ist sicher das beste und natürlichste Verhütungsmittel, wären wir dabei immer noch vernünftig und bedacht, da wir das aber selten sind, würde ich unerfahren Menschen vernünftigerweise zu anderen Methoden raten, sage nur heute, alles Mist, die Pille versaut das Körpergefühl der Frauen, Kondome das der Männer, auch wenn sie in vielen Fällen lebensnotwendig längst sind, frage ich mich inzwischen eher, ob weniger und richtig nicht mehr lohnt. Sich darauf einlassen den Körper des anderen gut genug zu kennen, um zu fühlen oder zu schmecken, an welchem Zeitpunkt im Zyklus der andere gerade ist, halte ich dennoch für lohnender als den meisten schnellen Sex von dem selten viel bleibt.

Sich ganz nah sein, heißt eben auch, sich ganz aufeinander einlassen, sich verstehen wollen und nicht nur Schwanz rein, ruckel-ruckel, fertig. Der ruckel-ruckel-Sex mal eben interessiert mich schon lange nicht mehr und macht mich eher impotent. Will spüren, wie die Vagina der Frau vor Lust kontrahiert, mich nach innen zieht und damit meine Erektion auslöst, was, wenn vorne nichts passiert, auch hinten noch leichter gehen kann, sofern beide unnatürliche Hemmungen diesbezüglich ablegen. Im übrigen ist anal ohnehin das beste Verhütungsmittel nach der Natur für diejenigen, die sich aufeinander einlassen und nur dann lohnt sich Sex wirklich, den Rest kann sich jeder auch selbst schneller machen mit weniger Enttäuschung am Ende.

Wir waren uns jedenfalls ganz nah, es passierte und die Pinkelpapierprobe bestätigte, was die Frauenärztin noch wiederholte aber wir waren schon vorher wild entschlossen, unser Kind zu wollen, wenn es denn kommen solle. A war sich da, trotz ihres Alters ganz sicher, es würde alles gut gehen, ließ sich zwar, wie ich auch, immer wieder von Ärzten und ihrem Bedürfnis alles zu untersuchen, nervös machen gelegentlich und so nahmen wir alles wahr, was gut und denkbar war, worüber ich heute milde lächeln würde. Sie war private Chef-Patientin auch in der Charité, die noch mehr auffuhr, was gerade machbar war - vom dreidimensionalen Ultraschall bis zur Fruchtwasserprobe, für etwaige genetische Schäden, was ja bei fortgeschrittenem Alter der Mutter nicht ausgeschlossen werden konnte.

War eine innerlich aufregende Zeit und ich nahm, auch wenn als Mann natürlich nicht schwanger, an allem sehr teil, ließ auch meinen Bauch dank viel gutem Essen und noch mehr Keksen und Schokolade im Bett mitwachsen und wir debattierten die ethischen und moralischen Fragen, die sich nun stellten sehr tief, einerseits philosophisch und andererseits auch psychologisch. Hier fanden wir uns in ganz vielem sehr gut zusammen. A vertraute zwar im Kern noch ihrer weiblichen Intuition, dass alles gut sei und gut ginge, zu der ich als ohne eine solche lebender Mann nicht viel sagen konnte, doch stellte sie sich wie mir auch vor solchen Untersuchungen die Frage und was machen wir, wenn der Befund negativ ist?

Berlins Charité ist der beste Ort zur Rettung von Frühgeburten, hier retten sie Kinder, die andernorts noch im Abfluss möglicherweise gelandet wären. Zugleich und auf der gleichen Etage ist es aber auch eines der renomiertesten Zentren in Europa für Spätabtreibungen, die bis einen Tag vor der Geburt stattfinden können, sofern ein Arzt die Gefährdung der Mutter glaubhaft indiziert.

Möchte als Mann nicht darüber urteilen müssen, ob eine Frau sich der immer Lebensgefährdung einer Schwangerschaft aussetzt. Es muss ihre Entscheidung und ihre Freiheit sein, finde ich, weil ich die Freiheit der Frau hier für wichtiger halte als die des ungeborenen Lebens. Aber das ist eine bloß willkürliche Setzung, die keinen sachlichen Grund hat als ein Empfinden für Freiheit.

Sofern ich nämlich sage, auch das ungeborene Leben sei Leben, müsste ich auch dieses absolut schützen und wäre jede Tötung strafbar. Wenn ich nun betrachte, dass Kinder schon ab dem 6. Monat oder früher fast gerettet werden können, die Profis sprechen da von Schwangerschaftswochen, ein solcher bin ich nicht, so will ich nicht erscheinen, sondern bleibe bei den mir gewohnten 9 Monaten, auch wenn ich währenddessen natürlich auch nur von der xx. KW sprach, fragt sich, warum das Frühgeborene im Brutkasten ein anderes Wesen sein soll, dessen Tötung ein Mord meist wäre, da vollkommen hilf- und wehrlos, als jenes, das noch zufällig bis zum richtigen Termin an der Nabelschnur hängt und bei der richtigen Diagnose bis zu einen Tag vor der Geburt abgetrieben werden darf.

Es ist nicht logisch zu begründen und auch über diese Frage diskutierten wir zwischen Bergen von Schokolade, Keksen und sauren Gurken sehr viel. Was sagt das Gewissen dazu  und wie könnte solches allgemein und verantwortlich geregelt werden. Es gibt da nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, weil der Gesetzgeber keinen vernünftigen Kompromiß fand, eine relativ soziale Fristenlösung, nach der unser Staat die Abtreibung zulässt, sofern sich die Frau vorher ergebnisoffen zum Wohle des Kindes hat beraten lassen.

Halte diese Lösung für das bestmögliche, was momentan ein Gesetzgeber dazu regeln kann und für einen sehr menschlichen Kompromiss, von der typischen Weisheit des obersten deutschen Gerichtes getragen, eine Art salomonisches Urteil der Gegenwart. Dies ist die soziologische Betrachtung.

Juristisch halte ich es für totalen Mist, unausgegoren und inkonsequent. Wenn es Leben ist, muss es wie jedes Leben geschützt werden, dies nicht zu tun, ist systematisch nicht begründbar, immer nur ein schlechter Kompromiss, der nicht ins System passt und den Wert der Strafe für andere Tötungen relativiert, das Unwerturteil über die Tötung an sich aufhebt im Sinne der strafrechtlichen Systematik.

Philosophisch sehe ich es auch im historischen Kontext der Emanzipationsbewegung der 70er, in der besonders mit der Kampagne mein Bauch gehört mir, mit der sich damals noch die heute Bild Kommentatorin Alice Schwarzer sehr verdient machte. Die leidenden unter einer juristischen Konsequenz und Logik, wie sie der Vatikan lange vertrat und teilweise immer noch vertritt, waren immer die Frauen und da besonders die armen Frauen. So kann etwas logisch richtig sein und dennoch zu falschen Ergebnissen führen, so paradox dies dem Gläubigen des Rechtsstaates scheint.

Der Bereich ist nach meiner tiefsten Überzeugung auch heute als Vater einer schon ganz großen Tochter nicht regelbar. Wir müssen die Freiheit der Frau anerkennen und auch wenn ich gleichzeitig das Leben der Ungeborenen schützenswert finde, es ist Leben und es einfach töten, nicht richtig sein kann. Es gibt einige solche Fälle, bei denen die Juristen sagen, es kollidierten Rechtsgüter, die zu einem nicht lösbaren Konflikt führen. Beispiel ist immer, darf ein Mensch einen Zug umleiten, auch wenn er damit riskiert, einen Menschen zu töten, aber andererseits mehr Menschen mit dem Tod weniger retten könnte. Wir stellten uns diese Frage nach dem 11. September 2001 in den USA verstärkt auch bei uns, ob etwa ein Verkehrsflugzeug, dass als Bombe auf ein AKW eingesetzt werden soll oder könnte, abgeschossen werden darf, auch wenn damit das Leben der Insassen nicht nur gefährdet, sondern diese hingerichtet würden, was bei uns völlig verboten ist.

So etwas ist rechtlich nicht regelbar, da Leben nicht gegen Leben aufgewogen werden kann. Die Entscheidung ist eine Gewissensentscheidung, letztlich auch der Piloten in den Abfangjägern, die im schlimmsten Fall gezwungen sein könnte die eigene Familie abzuschießen, da sie wiederum nur ein Werkzeug ihrer Befehlshaber dann wären. Aber so wenig in einem solchen Extremfall die Verweigerung des Befehls strafbar wohl wäre, letztlich könnte keiner der Entscheider, der töten ließ, um zu retten, belangt werden.

Wenn ich die Freiheit der Frau anerkenne, die mit einem Kind lebenslängliche Verantwortung und das zu häufig noch allein übernimmt, muss ich ihr denklogisch auch die Freiheit lassen, über ihre Lebensgefährdung, egal wie bloß hypothetisch diese auch ist, selbst und allein entscheiden zu können. Von daher würde ich sagen, bildet die Frauen so gut wie möglich aus, klärt Jungen und Mädchen vernünftig auf, um ungewollte Schwangerschaften möglichst zu vermeiden, aber wenn es so ist und Frau aus ihrer Sicht meint, es geht nicht, steht es keinem zu, sie dazu zu zwingen.

Auch diese meine Entscheidung dazu wäre nicht systemlogischer als die des Bundesverfassungsgerichts, nur etwas konsequenter als dieser im Ergebnis irgendwie taugliche Kompromiss zwischen verlogenen Christen und bedrängten Frauen, der bis heute Fristenlösung heißt und zu dem sich nun noch die Pille danach gesellte.

Manche halten diese schon für Abtreibung, weil ihr katholischer Aberglaube jede Schwangerschaft als gottgewollt sieht. Dies ist natürlich keine Begründung, weil eben nur alberner Aberglaube aber noch eine gesellschaftlich relativ starke Position. Juristisch ist da wieder nicht viel zu wollen - wenn Leben mit der Befruchtung der Eizelle geschieht, ist die rezeptfreie Pille eine Tötung und müsste logisch strafbar sein. Es wird dann aber schnell lächerlich, will der Staat dann auch das männliche Onanieren bestrafen, was zumindest potentielle halbe Kinder sterben lässt? Was ist mit den Frauen, die keine ihrer Eizellen je befruchten lassen?

Aber, um diesen kurzen Ausflug über ein Thema, das während der Schwangerschaft bei uns eine große Rolle spielte, wieder zu beenden - es zeigt sich in diesem Bereich, dass der Staat einfach nicht alles regeln kann und sollte. Gut und schön wäre es, wenn Menschen mehr Chancen bekämen, die Kinder zu kriegen, die sie wollen und mit ihnen glücklich ohne Armut zu leben. Gute Kitas und mehr Gleichberechtigung auch im Job gehören zu solchen Lösungen für die Zukunft und die CDU hat, erstaunlicherweise, dabei unter Merkel und von der Leyen mehr angestoßen als die verkrustete SPD, deren Frauenkreise sich immer noch zum Eierwärmer stricken treffen, sich nur über Chauvis aufregen aber faktisch wenig ändern oder bewegen.

Ob es sinnvoll und gut ist, viele Kinder in die Welt zu setzen oder wir eher eine Schrumpfung der Bevölkerung brauchen, weil Raum und Ressourcen begrenzt sind, würde jetzt eine ewige Diskussion eröffnen, zumindest den Raum und meine Ressourcen hier sprengen. Auch darüber haben A und ich in diesen neun gemeinsamen Monaten diskutiert, wie eigentlich über alles, was uns einfiel, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.

Gut ist, wenn sich gebildete Menschen, die es sich leisten können, vermehren und ihre Bildung voller sozialer Verantwortung an die Kinder weitergeben. Bei anderen fragt sich vielleicht, ob der soziale Wert ihrer vielen Kinder für die Gemeinschaft wirklich den durch sie verursachten faktischen Schaden je übertrifft. Doch wer wollte dies bewerten, hier Richter sein dürfen über Leben und Tod oder erwünschte oder unerwünschte Schwangerschaft?

Denke, dies steht keinem Gesetzgeber der Welt zu und sollten Paare möglichst frei und geschützt miteinander entscheiden dürfen. Frauen dabei mehr Schutz und Freiheit zu geben, ist das beste, was der Staat tun kann, wenn er das ungeborene Leben auch schützen will. Verbote führen, wie bei der Prostitution nur die falschen Opfer in einen unhygienischen und gefährlichen Untergrund, sind also immer falsch und ändern nichts.

Wir wollten und genossen die Zeit, wenn auch mit einigem auf und ab, auch durch den zwischendurch Versuch der Mènage á Trois bedingt. Als ich im Sommer auf der Hochzeit eines meiner besten Freunde war, äußerte er völliges Unverständnis für meine Situation, meinte Kinder bräuchten Klarheit und so etwas tauge nichts. Machte ihn dennoch zum Paten unserer Tochter später, als wir uns entschieden hatten und alles klar war, die letzten 12 Wochen vor der Geburt.

Wie es dazu kam, passt zu der gerade Abschweifung mit der Abtreibung, denn eigentlich tat ich nichts dafür, im Gegenteil, ich ließ es laufen, relativ offen für alles und versuchte nichts, während die andere A versuchte, meine A mit nicht ganz netten Methoden mir gegenüber zu gewinnen, was letztlich meine Position stärkte, weil A einen hohen Gerechtigkeitssinn hat, wie sie sagte. Ob dies tatsächlich der einzige Grund war oder die Natur in Gestalt der Hormone noch mitwirkte, weiß ich nicht zu beurteilen, wer wäre ich, zu meinen, ich verstünde eine Frau oder wagte zu bezweifeln, was sie meint, vor allem, wenn es um Gefühle für mich geht?

Durch nichts tun und abwarten eine Entscheidung herbeiführen lag mir und es dauerte, bis ich wirklich die Genialität der Kanzlerin in dieser Beziehung erkannte - damals war ja auch noch Gert Schröder Kanzler, der Chauvi, der sich gern als Macher gab aus der immer nur alibiemanzipierten SPD, den ich aber schätzte.

Ähnlich sollte es auch beim Nachnamen meiner Tochter werden, die meinen trägt und nicht den vorher ehelichen der A. Hätte ich mit den besten Argumenten darum gekämpft, nie hätte ich irgendwas dabei erreicht, sie hätte auf ihren bestanden und sich, da wir nicht verheiratet waren, das hatte sie ja schon hinter sich, wie sie gerne scherzte, damit leicht durchsetzen können. Ließ sie, war da und so liebevoll wie möglich und so kam es, wie es kam, ohne zu sagen, ich hätte etwas dafür getan, als nichts zu tun.

Vielleicht wäre mir vieles im Leben leichter gefallen, hätte ich dies Prinzip wirklich verinnerlicht, denn wie oft, auch noch danach, wollte ich Dinge erzwingen und erreichte nichts als Kämpfe ohne Ende, wie sie irgendwann auch zu unserer Trennung führten, die eigentlich überflüssig war, da wir uns geistig so gut verstanden, wie zumindest da noch theoretisch im Bett und praktisch auch die seltenen male, die es am Ende noch vorkam, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Ihr Bauch wuchs und ich verwöhnte sie, so sehr ich konnte. Es war eine wunderschöne Zeit, die wir ausgiebig bis zum letzten Tag genossen, an dem wir noch sehr feines Entrecotes gekocht hatten und sie irgendwann in der Nacht auf die Idee kam noch Wäsche zu waschen - gepackt hatte sie nichts, sie war ohnehin ständig auf Reisen gewesen, hasste packen inzwischen und wusste, dafür reichte die letzte Minute, die dann nicht mehr blieb, als sie plötzlich, nach meinen Berechnungen vier Wochen zu früh, nach denen der Ärzte, die ihren Standard annahmen, aber keine Ahnung hatten, vor allem natürlich nicht dabei waren, nur drei, bemerkte, dass ihre Fruchtblase geplatzt war.

War aufgeregter als sie und bemühte mich dennoch so professionell ruhig zu bleiben, wie es meine jahrelange Erfahrung im Krankenhaus gebot. Rief als erstes meinen Vater an, was wir nun tun sollten, der erfahrener und vorsichtiger Arzt, der er ist, natürlich zum Liegendtransport riet, um nichts zu riskieren. A fand das übertrieben, sie hatte ja noch keine Wehen, fand alles nicht so schlimm, wies mich an, was ich packen sollte und irgendwann riefen wir ein Taxi und landeten mit diesem kurz vor Mitternacht in der Notfallambulanz der Charité, die sich direkt unter der Geburtsstation befand.

Es war Sonntagabend und dennoch viel Andrang und so dauerte es etwas bis wir rein kamen und sie A Bett zuwiesen. Die Ärzte kontrollierten alles, beklebten den Bauch mit den üblichen Insignien der Gebärenden der Moderne - vom Wehenschreiber bis zu den Elektroden, die den Herzschlag des Kindes und was sich sonst noch so kontrollieren ließ  maßen. Noch immer war A erstaunlich cool, worüber die Ärzte sehr staunten, weil der Wehenschreiber voll ausschlug, aber sie meinte nur, verglichen mit dem, was sie an Regelschmerzen kannte, wäre das noch harmlos.

Die Station war modern und zugleich sehr menschlich eingerichtet, hatte Zimmer mit riesigen Badewannen zum Gebären, was bei uns nicht geplant war - eigentlich sollte es ein Kaiserschnitt werden mit Rückenmarksnarkose - alles vorher geplant und gut überlegt gehabt und ich fand ihre Entscheidung auch sehr weise, gerade in Anbetracht ihres Knicks oder der Verengung im Scheidenkanal, die ich beim Sex so liebte, schien ein schneller Schnitt doch angemessen und wäre in der Folge auch nicht so dramatisch.

Doch dann kam, ich meine sogar am späten Sonntag noch, ihr behandelnder und sehr erfahrender Chefarzt herein und plädierte für eine natürliche Geburt, da doch alles schön sei und der Weg der Natur doch für alle immer am besten wäre, ich wagte nicht zu widersprechen und auch A fügte sich mit den Worten, wenn es die Natur will, dann soll es so sein.

Dann ging es ans Warten. Wir warteten und warten. Stunden über Stunden. Der Wehenschreiber schlug zwischendurch schubweise immer stärker aus aber A biß höchstens die Zähne zusammen und blieb doch noch völlig gelassen. Wir warteten weiter aber unsere Tochter machte trotz der geplatzten Fruchtblase keine Anstalten in der Nacht auf die Welt zu kommen.

Dies Warten war eine wunderschöne aber auch sehr aufregende Zeit. Hatte zu lange im Krankenhaus gearbeitet, um nicht ständig auch an mögliche Zwischenfälle besorgt zu denken und war doch immer bemüht A zu beruhigen, die mir aber im Ganzen weniger aufgeregt schien, als ich es war. Holte noch ein wenig Frühstück beim Bäcker nebenan, ansonsten wurden wir beide in der Klinik versorgt und es passierte nichts - zwischendurch wollten wir noch einige Stunden schlafen, aber wenn ich mich richtig erinnere, war das auch ein eher vergebenes Bemühen.

Es wurde Vormittag, der Chefarzt kam nochmal vorbei und meinte ganz gelassen, die ließe sich aber gut Zeit, er müsse jetzt nochmal ins Virchow zur Vorlesung wäre aber bestimmt rechtzeitig zurück. Es wären aber ja immer genug Ärzte da und es vertrat ihn ausgerechnet der Kollege und spätere Stationsarzt, den A eigentlich nicht ausstehen konnte und von dem sie auf keinen Fall behandelt werden wollte vorher.

Plötzlich begann die Aufregung als eine der Hebammen eine Auffälligkeit bei der Messung der Herzfrequenz feststellte. Sofort waren mehrere Ärzte zur Stelle und der junge Stationsarzt, eben genau jener, entschied in Abstimmung mit den Kollegen, sie müssten das Kind jetzt sofort in einer Not-Sektio holen, weil der Herzschlag zwischendurch aussetzte. Argumentierte noch, dass doch nur der Aufkleber verrutscht sein könnte - aber sie ließen da nicht groß mit sich verhandeln. Ärzte eben. Es bestand das Risiko eines Notfalls, dann musste das Kind sofort geholt werden und durfte nicht auf den Chef gewartet werden.

Wollte natürlich dabei sein und sie brauchten fast Gewalt, mich daran zu hindern - bei Not-Sektio war die Anwesenheit der Väter unerwünscht - die Hebamme wollte es mir ganz ruhig erklären, der Bauch würde aufgerissen, dann hätten die Väter den Impuls ihrer Frau zu helfen, das ginge nicht, es sei eben ein Notfall. Erklärte ihnen bei wie vielen OPs ich als Springer dabei war, dass es mir nichts ausmachte, ich das kannte. Es half nichts, ich wurde ausgesperrt und tigerte die längsten zehn Minuten meines Lebens auf dem Krankenhausflur herum, kurz davor cholerisch zu werden oder sonst auszurasten, wusste nichts, mit mir anzufangen und wäre ich gläubig, hätte ich vermutlich sogar gebetet - so hoffte ich nur, es würde alles gut gehen und war doch voller Angst, dass doch was passiert war, unsere Tochter sich vielleicht mit der Nabelschnur erwürgt hatte.

Es schossen gleichzeitig schönste und schrecklichste Gedanken durch meinen Kopf, ich war wie in Trance, während A kaum im Saal die Maske aufs Gesicht bekam und wegdämmerte, gerade noch spürte wie die Ärzte oder eine Hebamme ihr blitzschnell die wunderbaren roten Schamhaare abrasierten, die ja später zum Glück wieder nachwuchsen. Konnte nichts tun und wäre am liebsten in den OP gestürzt, um dabei zu sein, mein Kind zu sehen, es zu retten, dabei zu sein und musste nun nur abwarten und nicht verrückt werden. Vermutlich hatten sie Recht und es war vernünftig so. Hätte nur am Kopf stehen dürfen, damit ich nicht sehe, wie die Chirurgen den Bauch aufreißen. Es gäbe da Reflexe bei jedem Mann, sie würden dann eingreifen, egal wie erfahren sie seien - was für ein Blödsinn dachte ich, der genug offene Menschen gesehen hatte und musste mich doch gegen die Übermacht in Weiß fügen, wollte auch nicht ungerecht gegen die Hebamme sein, die nichts dafür konnte.

Auch A meinte, bevor sie im Saal verschwand, es sei ok so. Fügte mich, stand dort allein zwischen lauter klinischen Apparaturen, die an schlimmstes denken ließen und war so von meinen Hormonen aufgeputscht, dass ich kaum zu einem klaren Gedanken fähig war. Tigerte, grübelte, konnte nicht denken, war völlig übermüdet und erschöpft, dachte ich drehe gleich durch und dann auch noch der Arzt, den sie auf keinen Fall wollte, das durfte doch nicht wahr sein, was würde er mit ihr tun, würde er sich rächen, dass die Privatpatientin ihn abgelehnt hatte einst.

Dann kam die Hebamme strahlend aus dem Kreißsaal, unsere Tochter auf dem Arm, die sie mir sofort in die Arme legte, es war keine Viertelstunde vergangen - unser Kind war da und gesund, ich war Papi geworden und fühlte mich von einer Sekunde auf die andere wie ein König. Hielt das süßeste Baby der Welt, die noch ganz klein war, sie gehörte wirklich zu den winzigen Babys und hätten die Ärzte, die immer alles besser wissen, meinem Wissen mehr getraut als ihrer nur Norm, hätte die Süße wohl in den Brutkasten gemusst, doch überstand sie es auch so und hat heute ihre Mutter längst überholt.

Hielt mein Kind im Arm und warm durchfloss mich die große Liebe, was für ein wunderbarer  Moment, so etwas erleben zu dürfen, Vater zu sein, nun für ein Kind zu leben. Natürlich war das alles völlig normal, erlebten tausende Väter das am gleichen Tag, viele sogar noch im gleichen Haus, aber dies war mein Kind, ich war Vater und es war alles in Ordnung, die Lütte lag friedlich in meinem Arm, ich hielt sie vorsichtiger als jedes Porzellanpüppchen und war von einem Moment zum anderen vom aufgeregetesten und empörtesten zum glücklichsten Menschen der Welt geworden. Es war mir plötzlich egal, ob ich dabei war oder nicht, es hatte geklappt, alles war gut.

Fragte die Hebamme nur noch, was mit A ist - sie beruhigte mich, alles in Ordnung, reine Routine, kein Problem, sie müssten sie jetzt nur in Ruhe und ordentlich wieder zunähen und würden sie dann zum Aufwachen in diesen Raum schieben, ich sollte in Ruhe mit dem Kind warten, lächelte und verschwand zum nächsten Kind, kümmerte sich um andere Mütter und Väter, die das noch vor sich hatten. Nun konnte kommen, was wollte, ich lebte in der besten aller Welten, das Leben war wunderbar, ich war Vater und gerade der glücklichste Mensch Welt - was war dieser 19. November 2001 für ein wunderschöner Tag.

Später wurde A in den Saal geschoben, in dem ich mit unserem Kind auf dem Arm wartete. Es dauerte noch etwas, bis sie zu sich kam, dann lächelte auch sie, ich hielt ihr unser Kind hin und es gibt, glaube ich, wenige Momente im Leben, an denen Menschen so glücklich sein können, wie wenn sie unerwartet schnell nach großen Ängsten ein ungeplantes Wunschkind im Arm halten dürfen. War voller Liebe, wollte die ganze Welt umarmen, jubeln und schrein, hätte am liebsten getanzt oder andere verrückte Dinge getan - nun musste ich mich erstmal um A kümmern und dann begann unsere Tochter das erste mal zu quäken.

Na dann stillen sie doch mal, meinte die Hebamme ganz locker, hatte gleich wieder Bedenken, der Narkose wegen, ob das nicht gefährlich für das Kind wäre. Aber die Hebamme winkte ab und Antje stillte erstmals unser Kind an ihrem süßen kleinen Busen, der allerdings seit dem 5. Februar, als ich ihn zum ersten mal sehen durfte, etwas größer geworden war, sie hatte sogar BHs tragen können, was mir, der diese so sehr zu öffnen liebt gut gefallen hatte.

Irgendwann, ich weiß nicht wieviele Stunden oder Minuten später landeten wir dann auf der Station, endlich einen Moment alleine im Zimmer, mit dem schönsten Baby der Welt, das im Zimmer schon war, nicht in den Brutkasten musste, gut getrunken hatte und wollte am liebsten der ganzen Welt mein Glück mitteilen, doch 2001 waren Mobiltelefone im Krankenhaus noch völlig verboten und so geduldete ich mich und wir genossen, erschöpft und übermüdet die ersten Stunden des Daseins als Eltern.

Dann hatte eine Schwester ein Einsehen und schlug mir vor, doch nach Hause zu gehen, meine Frau müsse doch jetzt ausruhen, ich sei bestimmt auch müde und morgen sei doch auch noch ein Tag, es sei doch jetzt alles gut. Wehrte mich nicht zu sehr gegen diese Ansage, lief los, bei noch schönstem Wetter und ging zuerst zu einer Juwelierin in der Linienstraße bei der ich für A zur Geburt ein Paar Ohrringe mit ihren liebsten Steinen machen lassen wollte, was diese auch, meine übernächtigte Freude registrierend sofort zu erledigen versprach.

Lief den Weg von Mitte zum Kollwitzplatz zu Fuß, wir waren ja mit dem Taxi gekommen und hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich müsste die ganze Welt umarmen, teilte mich allen mit, die ich traf, so auch dem Nachbar K, der über uns in seinem etwas chaotischen aber genial ausgebauten Dachgeschoss als ewiger Architekturstudent und leichter Messi sein gelassenes Leben oft auf der schönsten Dachterrasse der Stadt voller Pflanzen lebte. Mit ihm und den Nachbarn über uns, die aus Bayern zu Besuch waren, begossen wir dann die Geburt standesgemäß mit einem Sekt.

Nun war ich Vater, A würde noch eine Woche in der Klinik verbringen und ich natürlich so viel Zeit wie nur möglich mit ihr und unserer Tochter, die ich einige Tage später noch mit ihren drei Namen und meinem Nachnamen, wie A es nun wollte, auf dem Standesamt in Mitte anmeldete, damit alles seine gute preußische Ordnung hatte, wir waren Eltern, etwas mehr als neun Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten und es war gut so.
jens tuengerthal 3.3.2017

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