Sonntag, 12. März 2017

Berlinleben 0017

Scharf-Gerstenberg-Erotik

Wir kannten uns noch nicht und hatten ein Blind-Date, vermittelt durch eine gemeinsame Freundin von ihr, Bekannte von mir, die 650km weiter weg im Südwesten der Republik wohnte, aber fand, es passte eigentlich gut zusammen. Sie wohnte in Charlottenburg, also dem anderen Ende der Stadt, tief im Westen und so machte ich mich auf den Weg, zu sehen, was vielleicht würde.

Wenn du dich zum ersten mal siehst und nicht weißt, was wird, kann es auf Kleinigkeiten ankommen. Später verabredete ich mich möglichst nur noch in der Nähe meiner Wohnung, weite Wege zu vermeiden und damit ich wüsste, wie die ausgewählten Cafés waren, es kein Reinfall wurde, was aus so vielen anderen unabsehbaren Gründen dennoch immer passieren kann, warum es desto wichtiger ist, zumindest die kalkulierbaren Möglichkeiten von Liebe und Lust so weit zu optimieren wie möglich. In meiner Nähe, war es nicht weit zu mir, falls das Gefallen groß genug war, miteinander in die Horizontale zu wandern.

Charlottenburg kannte ich eher nicht, fand es eigentlich langweilig und die Frauen dort oft zu sehr geschminkt, auch wenn ich dieses Vorurteil nach mehr als drei Liebsten aus diesem Bezirk inzwischen wohl widerrufen müsste, zu geschminkt war kaume eine von denen, es ist eben nicht alles Ku’damm, war die Gegend doch fremdes Terrain. Der Weg war weit, die Aussichten ungewiss und auch alles weitere, falls wir uns gefielen, völlig unklar. Damals gerade von einem Fehlversuch mit einer migränigen Zicke aus München frustriert zurückgekehrt, wenige Wochen vorher noch im Dezember von mal wieder einer vermeintlich großen Liebe zu größter Verzweiflung verlassen worden, doch weitergelebt irgendwie, noch kein Jahr nach der Trennung von meiner längsten Liebe, war ich mitten im Februar bereit für ein neues Glück, dachte ich oder zumindest mal wieder guten Sex, in völliger Verkennung der Umstände, hatte zumindest Lust und ließ mich darauf ein.

Nach vielen Jahren Erfahrung im Online-Blind-Daten würde ich eine Verabredung wie die an diesem Tag, wohl nicht mehr so schnell treffen, denke ich heute, wenn auch die Argumente sehr gut waren, die mich die Sammlung Scharf-Gerstenberg hatten wählen lassen. Kannte das Museum, das im anderen Stülerbau, dem geliebten Museum Berggruen gegenüber lag, liebte diese teilweise sehr erotischen Bilder, wenn es nichts würde, war zumindest der Besuch lohnend und ich war nicht einfach irgendwo tief im Westen in einem langweiligen Café ohne Sex.

Ein Date im Museum ist für Museumsliebhaber wie mich eigentlich das schönste, was es gibt. Könnte über Kunst plaudern, als verstünde ich etwas davon, was bei einem kleinen Vokabular der üblichen Termini auch ohne Ahnung möglich war. Die Bilder sprachen dort für sich, erzeugten Lust und die gewünschte Spannung - wo sonst sollte ich sie treffen wollen, wenn es schon Charlottenburg beim ersten mal sein musste und es mangelte mir damals noch an Geschick, Erfahrung und Dreistigkeit die Damen genau dorthin zu bitten, wo ich sie gern haben wollte, beziehungsweise der Gelassenheit, sie für entbehrlich zu halten, wenn sie das nicht wollten. Dachte mir, wenn schon fremder Bezirk, dann doch zumindest ein Heimspiel im Museum, was mir auch inhaltlich gut in die Karten spielte.

Die Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt mitten an der schönsten Ecke Charlottenburgs, gegenüber dem Schloss seit 2008 Kunst von der Romantik bis zum Surrealismus. Spielt mit den Blicken, verführt auf vielfältige Weise zu neuen Sichtweisen, lässt manchmal auch Lachen, ist ein Ort für Genießer. Das Café im Artrium des Eingangsbereichs oder bei warmem Wetter auch auf der Terrasse davor, war eines der besten in den Berliner Museen, anziehender jedenfalls als die kühle Mensa im Kulturforum, die den Charme von Schnellimbiß mit deutscher Behörde konsequent jenseits aller Ästhetik mischt.

Die Sammlung, die der Stiftung Dieter Scharf zum Gedenken an Otto Gerstenberg gehört, wie sie offiziell heißt, ist für zunächst zehn Jahre in den Räumen des ehemaligen Ägyptischen Museums zu Berlin beheimatet und damit Teil der Nationalgalerie Berlin. Otto  Gerstenberg selbst war Anfang des 20. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Kunstsammler Berlins. Teile seiner Sammlung wurden jedoch leider im Krieg zerstört.

Wenn Menschen sich im Krieg totschießen, ist das bedauerlich und unnötig aber wohl seit Menschengedenken Teil der menschlichen Geschichte, in manchem waren auch die Kriege wohl Paten späterer Weiterentwicklungen der Menschheit, um den Krieg nicht mit Clausewitz als Vater aller Dinge zu bezeichnen. Wo aber die Kunst als Ausdruck von Freiheit und Schönheit diesem Irrsinn zum Opfer fällt, bleibt wenig übrig, was den Menschen ausmacht und es zeigen sich die echten Banausen immer in der Zerstörung der vorigen Kulturen. Das versucht der IS derzeit, es taten die Nazis, am erfolgreichsten jedoch schaffte dies das Christentum in Europa, das nahezu alle Kultur vorher negierte und zerstörte, es sei denn, sie war zu groß, wie etwa Stonenhenge oder die Menhire in der Bretagne. Nahezu nichts wussten wir lange noch und von dem wenigen, was endlich wieder ausgegraben wurde, können mühsam nur kulturelle Spuren gesucht werden.

Im Gegensatz etwa zu Syrien oder dem Irak ist Europa ohne Wurzeln, die ein fundamentalistischer Aberglaube einst kappte, um seine Lehrart herrschen zu lassen. Viele meinen erst das Christentum hätte die Kultur nach Europa gebracht, doch welch Irrtum liegt hier vor. Die jüdische Sekte heftete sich dienstbereit an ein geschwächtes Kaisertum, das um Christi Geburt herum bereits die alte römische Republik vernichtet hatte und breitete sich weiter nach Norden aus mit fatalen Folgen für die Spuren aller vorigen Kulturen, die vernichtet und über Jahrhunderte geleugnet wurden. Die atheistischen, zumindest rein naturalistischen Werke eines Lukrez oder Epikurs waren unerwünscht, sie wurden ausradiert, mit schlichten Versen aus dem Märchenbuch des Aberglaubens überschrieben. Die 4000 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra etwa beweist, wie gut die Menschen sogar im rückständigen Brandenburg oder Sachsen-Anhalt schon den Himmel in der Bronzezeit beobachteten und kannten, es dort bevor die Römer oder Griechen groß wurden eine Hochkultur gab, an die von den Christen nicht erinnert werden sollte, deren Spuren sie konsequent ausradierten, warum wir alle noch in der Schule die Sage von den ungebildeten Wilden ohne Schrift und Kultur hörten, nur weil sie sich nicht dem später Aberglauben unterworfen hatten.

Die Erinnerung an diese frühen Spuren passte als kleiner Einschub so gut in dies Museum, in dem noch ein wunderbares Tor aus der ägyptischen Sammlung verblieb, da es zum Transport zunächst zu groß war. Dies begrüßt und verwirrt den Besucher gleich am Eingang und schafft so auf seine Art auch surreale Welten zwischen den Zeiten, was zum Thema dieses Museum nur zu gut passt, das unser Denken hinterfragt und die Gewohnheiten durchbricht.

Wusste auch nicht so genau, was mich erwartete bei meinem Date im Museum, wo es hinführen würde, auch wenn die Telefonate und Mails vorab schon auf eine Anziehung hindeuteten, wir vorsichtig so viel Interesse wie möglich bekundet hatten. Dies ganz seriös, ohne es auf nur Sex reduzieren zu wollen, auch wenn dieser ja ein Wert an sich wäre, trafen sich dort zwei, die auch geistiges Interesse aneinander hatten, sich aufeinander einlassen wollten, um zu sehen, was sein könnte. Wir waren hoffnungsvoll ahnungslos und irgendwie bereit, als wir uns einander an der Kasse noch etwas schüchtern vorstellten. Eine kurze Umarmung zweier real noch Unbekannter fühlte sich gut an, ich konnte sie riechen.

Mit meiner Jahreskarte und ihrem Ticket fanden wir schließlich, von der Torhüterin ordnungsgemäß eingescannt Einlass in die heiligen Hallen der Kunst, gespannt was uns erwartete und mit uns dort geschehen würde, freute ich mich auf den Rundgang in schöner, kluger Begleitung. Sie war eine der Schönheiten auf den zweiten Blick, die nicht sofort auffällt, sich aber beim Kennenlernen als immer schöner zeigte, auch wenn ich damals noch irrtümlich dachte, ich stände nicht so auf Brünette oder dunkelhaarige Frauen, welche Verwirrung in bloß durchschnittlicher Konvention.

Neulich fragte mich eine liebe Freundin im Café, die mit ihrem leichten bayerischen Akzent und ihrer Art alles staunend zu fragen, naiv wirken könne, was sie vermutlich nie war, ob es stimmt, dass Männer immer auf blond stehen und ich war über die Frage einer Brünetten und die ihr innewohnende Reduktion erst so perplex, dass ich noch ein wenig stotterte, bis ich eine vernünftige Antwort fand.

Männer stehen auf Frauen, die sie toll finden und das tun sie meist, wenn Frau sich auch toll findet - Ausnahmen bestätigen diese Regel nur. Dies ist unabhängig von der Haarfarbe, der Figur, dem Charakter und nie an etwas allein fest zu machen, wäre eine vernünftige Antwort gewesen, die mir natürlich überrascht nicht einfiel, stattdessen stotterte ich was von, früher stand ich auch auf Blondinen, und immer auf Rothaarige, heute eher Brunette, aber eigentlich ist es mir egal und es passt, wie es kommt, wenn es sich richtig anfühlt. Gibt kein Schema.

Liebe und begehre Frauen, denen ich mich nah fühle, die mir schön scheinen, weil sie Geist haben, ich mit ihnen reden kann und sie mit mir eine eigene Welt finden. Den größten Teil finde ich inzwischen nach wenigen Sätzen langweilig und beschäftige mich statt ihnen lieber mit einem guten Buch oder schreibend. Es ist mir egal, was sie für ein Typ sind, auch wenn ich irgendwie auf damenhaft, schöne Wäsche und gleichzeitig stark und schüchtern stehe, es zum ersten Blick, mit dem ja alles meist anfängt, eher reizt als sportlich oder tussihaft, ist alles egal, wenn sie nur Bücher liebt oder ich mit ihr gut reden kann. Wir wussten ja schon ein wenig übereinander, hatten uns hierher verabredet, waren von einer Dritten für gut befunden worden, da war, was sie trug und wie sie erschien, fast zweitrangig und sie gefiel mir nicht schlecht, machte mich neugierig, ohne mich in riesige Begeisterungsstürme zu stürzen wie jene bildschöne Blondine in Bayern, die sich real als ein solcher Reinfall entpuppte und so ließ ich es ohne die ganz große Leidenschaft gelassen angehen, was immer am besten ist und weiter führt, als die größte Schwärmerei.

Wenn Frau sich sicher ist, den Betreffenden zu haben, spielt sie auch gern noch ein wenig, schiebt moralische Gründe vor und lässt Mann zappeln - nicht jede und nicht immer aber nur sehr wenige machen es nie, die dafür häufiger das Problem haben, dass Mann sie dafür dann nicht so begehrenswert findet, weil sie ja schon breitbeinig vor ihm liegen. Diese Dialektik funktioniert immer und es ist erstaunlich, was sich beide Seiten antun, nur um sich reizvoll zu finden und so gefunden zu werden. Diese Unvernunft, die am Anfang der meisten Lieben steht, lässt sich auch nicht im Gespräch überwinden. Sie scheint in uns unterschiedlich stark immer angelegt und wo es daran fehlt, meinen wir, es fehlt an Spannung oder die Luft sei raus.

So denken beide einvernehmlich, wann legt er oder sie denn endlich los, lässt mich ran oder packt zu und würde doch den direkten Angriff meist empört abwehren, um noch ein wenig um den heißen Brei herum zu eiern. So setzen wir uns irreale Ziele, schwärmen von Ablenkungen, statt uns am Konkreten zu freuen und machen uns Probleme, wo es doch eigentlich ganz einfach ist, beide wissen, was sie wollen und die Natur für den Rest sorgen möchte. Doch was ist hier wirkliche Natur, was nur lächerliches soziales Spiel?

Wenn eine Frau mich in der Bar anspräche, einfach sagte, du gefällst mir, ich habe Lust auf dich, lass uns vögeln, verlöre sie damit vermutlich jeden Reiz für mich und müsste schon wahnsinnig toll sein, um infolge nicht ignoriert zu werden. Ein Mann, der Frau so direkt triebhaft anspräche, würde ignoriert, keines Blickes gewürdigt, auch wenn ihr Schoss schon, bevor er zu reden anfing, vor Lust zu zuckte, als er nur zu ihr sah, sich alles noch in der Phantasie abspielte. Sex ist Theater und braucht Theater wohl, um Wert zu bekommen, wenn wir uns bloß zum Ficken nur verabreden, verliert dieses alle Erotik, ist nur noch Gymnastik und so begannen wir auch in der Sammlung Scharf-Gerstenberg nicht gleich über Sex zu reden, auch wenn es natürlich innerlich beiden nur darum ging, was jeder von uns natürlich auf Nachfrage vermutlich sogar von sich überzeugt geleugnet hätte.

Einer der beiden Namensgeber, Otto Gerstenberg, war ein erfolgreicher Unternehmer der Gründerzeit, geboren 1848 in Pyritz in Westpommern, das heute zu Polen gehört, verstarb er im Jahr 1935 in Berlin als gemachter Mann. Unter seiner Leitung stieg die Victoria Versicherung zur führenden Lebensversicherung auf und zu seinen besonderen Leistungen gehört die Einführung der Lebensversicherung als Volksversicherung, wer immer das als eine Leistung ansehen möchte. Als wohlhabender Mann ließ er sich in der damals neuen Kolonie Dahlem, die heute zu Schmargendorf gehört, eine Jugendstilvilla errichten, das Palais Gerstenberg, dem er später noch einen Gallerieflügel für die Kunstsammlung hinzufügte. Heute wird die ehemalige Villa als Park-Sanatorium Dahlem genutzt.

Schwerpunkt seiner bedeutenden Kunstsammlung waren Grafiken und Gemälde des 19. Jahrhunderts. Vor allem seine große Sammlung an französischen Impressionisten war zum Zeitpunkt des Erwerbs umstritten und wurde von der kaiserlichen Seite und der offiziellen Kunstpolitik als bedeutungslos und oberflächlich bezeichnet. Gerstenberg verlieh aber immer auch Werke, die er nicht bei Händlern in Berlin sondern direkt in Paris bei den Künstlern oder ihren direkten Händlern erwarb und öffnete sein Haus auch für Studenten und Interessierte.

Die grafische Sammlung spannte sich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert und umfasste Werke von Dürer bis Rembrandt aber auch Zeitgenossen wie Menzel, Liebermann und Max Klinger, wobei schon damals der Schwerpunkt auf Goyas Werk lag. Dazu kamen noch grafische Meisterwerke von Toulouse-Lautrec und Honoré Daumier.

Die Gemäldesammlung begann er mit britischer Landschaftsmalerei wie etwa Constable, später kamen Reynoulds, El Greco und Goya wie einige bekannte Niederländer hinzu. Wirklich berühmt aber wurde die Sammlung durch die Franzosen des 19. Jahrhunderts - hier gab es beginnend bei Delacroix und der Schule von Barbizon über Courbet hin zu den berühmten Impressionisten von Monet, Manet, Renoir, Sisley, Toulouse-Lautrec und Renoir eine unglaubliche Vielzahl von Meisterwerken, die heute der Stolz jedes Museums wären.

Gerstenberg trennte sich zu Lebzeiten von kaum einem seiner Werke, nur die grafische Sammlung gab er irgendwann auf. Bei seinem Tod 1935 erbte seine Tochter Margarete Scharf alles. Da die Tochter in einem kleineren eigenen, von Hans Scharoun errichteten, Gebäude im Park der Villa lebte, lagerte sie einen Teil der Bilder aus und ließ sie im Magazin der Victoria Versicherung deponieren. Dort wurden sie im Krieg Opfer der Bomben und verbrannten vollständig. Den Rest der Sammlung gab sie in die Obhut der Gemäldegalerie, die ihrerseits in den als sicher geltenden Bunkern Friedrichshain und Zoo versteckte, wo sie von den Russen entdeckt und mitgenommen wurde und darum bis heute als Raubkunst in Petersburg hängen.

Den verbleibenden kleineren  Rest transportierte sie während des Krieges und kurz nach dessen Ende nach Oberstdorf in Bayern, wo die Familie auch ein Anwesen besaß. Ein Teil der Sammlung musste aus Gründen wirtschaftlicher Not nach dem Krieg veräußert werden, den Rest aber brachte Otto Gerstenbergs Enkel Dieter Scharf in die Stiftung ein, die er kurz vor seinem Tod 2001 gründete, ergänzt noch durch einige moderne Arbeiten im Geist der Sammlung. Hierzu gehören Grafiken von Piranesi, Goya, Victor Hugo, Manet und Max Klinger.

Beide Stülerbauten gegenüber dem Schloss Charlottenburg gehen noch auf Entwürfe von Friedrich Wilhelm IV. zurück, die von 1851-1859 vom Architekten Stüler umgesetzt wurden und waren ursprünglich Offizierskasernen des Garde dus Corps Regiments. An den östlichen Stülerbau, also die heutige Heimat der Sammlung Scharf-Gerstenberg, schließt sich noch das von Drewitz errichtete Mastall Gebäude an. Von 1967 bis 2005 diente der östliche Stülerbau als Heimstatt des ägyptischen Museums mit Berlins schöner Nofretete. Nach dem Auszug der Ägypter, nicht zu verwechseln mit dem Auszug aus Ägypten, wurde der Bau für 10 Millionen für die neue Nutzung umgebaut.

Die bereits erwähnten grafischen Werke der Sammlung dienten Dieter Scharf als Basis zum Aufbau einer Sammlung des Symbolismus und Surrealismus. Neben Salvador Dali, gehören zu der Sammlung Werke von Max Ernst, Moreau, Redon, Henri Rousseau, Hans Bellmer, James Ensor, Giacometti, George Grosz, Horst Jansen, Paul Klee, Joan Miró, Edvard Munch, Picasso, Schwitters und viele mehr. So überschneiden sich die beiden benachbarten Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg in Teilen und ergänzen sich darum nur zu gut. Der Besucher der einen erwirbt zugleich den Eintritt in die andere mit, wer kann sollte sich darum für beide Zeit nehmen, um ganz zu genießen.

Kannte zum Glück die wunderbare Sammlung schon, hatte vor vielen der Bilder schon lange gestanden und gestaunt und musste auch nicht unbedingt beide Häuse am Tag des Dates noch sehen, auch wenn ich insofern für alles offen war, da Kunst und Lust gemeinsam zu haben, der schönste Genuss schon immer war. Wir kamen bis zum zweiten Raum, als ich ihr vor einem eindrucksvollen auch sinnlichen Aquarell von Frantisek Kupka, dem trinkenden halben Skelett mit gefüllter Gebärmutter und langem Schwanz, etwas auf diesem Bild zeigen wollte, mit dem Arm hinter ihr stehend, über ihre Schulter ging und sie sich dann nach erstem Erschrecken doch angenehm berührt in einer Andeutung anlehnte, ich ihr den Kopf zuwandte und die Rede über die Kunst unterbrach, um sie leidenschaftlich zu küssen.

Erzählte ihr nicht mehr, dass Kupka dies Gemälde bereits 1907 in Paris lebend malte, dass dieses freche, freie und starke Bild voller Phantasie und Traum, der in den Alb fast fällt, auch das Lieblingsbild der hiesigen Direktorin war. Es zog in unserer Mitte und also uns endlich zueinander. Dabei ist es so passend, wie dieses Bild gleich dem Museum auch aus einem ägyptischen Schrein herausgewachsen scheint, der unten am Bildrand sich andeutet in einigen Figuren und wie es die Bezüge zur Realität mehrfach verschoben irreal aufhebt.

Es ist eine schöpferische Kraft, die in dem riesigen Embryo sichtbar wird und die zugleich durch die nur Prothese des Gliedes, mehr blieb nicht von der großen Lust, ironisch wieder gebrochen wird zur real existierenden Impotenz. Ein wunderbares Bild in dem die erotische Spannung mit der sinnlichen Schönheit tanzt und ihre Brechung zugleich wird. Ein Bild voller Lust und Witz, es ist eines der besten Beispiele für den Geist des Surrealismus, der Grenzen aufhebt, mit ihnen spielt, Tabus bricht und unsere Sehgewohnheiten mal eben provokativ auf den Kopf stellt, ohne sich vor der Sexualität zu fürchten.

So war meine Vermutung richtig gewesen, die Erotik des Surrealismus wirkte von alleine, was wunderbar für diese Kunst spricht, die uns sehr schnell voller Leidenschaft gemeinsam die Horizontale anstreben ließ. Wir schlenderten noch ein wenig durch die Räume, uns zärtlich berührend und doch war die Vorfreude aufeinander zu groß, als dass diese wunderbare Kunst noch eine Rolle spielen konnte.

Wir verließen bald das Museum, gingen üben den Klausener Platz an dessen Seite sie irgendwo wohnte, kamen in ihre Wohnung, die mir voller Bilder und Bücher so sehr gefiel und verschlangen uns voller Lust auf ihrem Bett. Es war gut so, wir waren gebührend vorsichtig und ich war erfüllt von dieser traumhaften Kombination von Kunst und Sex, denn was konnte schöner sein, als größte Ästhetik mit ungebändigter Leidenschaft zu kreuzen?

So gesehen ein wunderbarer Anfang, an den ich bei jedem Besuch denken könnte, bis ein noch lustvollerer ihn überdeckt eines Tages. Wollte ich nun berichten, was daraus wurde, würde es weniger leidenschaftlich, verflöge schnell in Missverständnissen, Kleinigkeiten und Peinlichkeiten und so lasse ich es lieber, um diese Sammlung und ihre Leidenschaft, die sie auch in mir gleich weckte, als solche stehen zu lassen. Ein Ort voller Lust, den ich auch noch mit meiner sehr kunstsinnigen Liebsten aus Hamburg später besuchte, die sofort, feinfühlig wie sie war, die Leidenschaft an diesem Ort spürte, die wir umsetzten, sobald sich die Gelegenheit fand, was die vorherige Erinnerung und deren Ende tröstlich überdeckte und so bleibt die Sammlung Scharf-Gerstenberg mir immer ein Ort voll schöner Lust, gespannt, was es mir noch alles bieten wird in Zukunft.
jens tuengerthal 12.3.2017

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