Mittwoch, 8. März 2017

Berlinerleben 013

KaDeWe flanieren

Ein Besuch im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens auf dem Tauentzien ist nicht einfach ein Besuch in einem der vielen Konsumtempel, wie es sie überall auf der Welt immer ähnlicher und austauschbarer gibt, es ist eine Form des Gottesdienstes für das alte Berlin auch ohne Gott.

Lernte es mit A meiner neuen, welterfahrenen Liebe kennen, die den schönen Luxus gut kannte und schätzen konnte, immer eine Feinschmeckerin war. Wir kamen von hinten, was sich mit dem Auto meist empfiehlt und A steuerte ihren luxuriösen Saab durch mir noch völlig fremde Gegenden mit großer Erfahrung und Gelassenheit.

Die Kathedrale des Konsums hat natürlich ein großes Parkhaus über viele Etagen, was je nach Wetter sehr bequem ist aber dem Besucher den prächtigen Eingang etwas verwehrt -  er taucht einfach irgendwo zwischen den Etagen auf, wo Parkhaus und Aufzüge ihn eben ausspucken. Ist damit gleich mitten im Geschehen und verpasst das Eintauchen vorbei an den Pförtnern im Livree und den leichteren dafür um so schwerer duftenden Damen in der ersten Parfümerieabteilung, die sich an den oft östlichen jedenfalls massenkompatiblen Geschmack richtet, bevor sich die schon schwer berauschte Nase in feinere Gefilde durchkämpft, haben chemische Produkte wie Joop und Konsorten bereits ausreichend benebelt.

Darum empfehle ich jedem Besucher lieber mit der U-Bahn zum KaDeWe zu fahren, am prächtigen Wittenbergplatz auszusteigen und aus den Luftgrüften der Schienenschächte durch die geflügelten Türen in die Duftgruft der schlichten Gemüter einzutauchen, um ein volles Bild zu gewinnen, diesen Tempel ganz wirken zu lassen mit seinen gläsern goldenen Aufzügen und dem mondänen Atrium, immer noch eine Erinnerung an das untergegangene Westberlin, jene Trutzburg des Kapitalismus gegen das Leberwurstgrau des Sozialismus, das wenige Kilometer weiter begann.

Diese Defloration der Nasenschleimhäute erlebte ich erst viel später, als wir zuvor schon viele mal wie Kenner gemeinsam von hinten gekommen waren. Aber meine A kannte sich eben aus, hatte einen ausgewählten Geschmack und ersparte ihrer immer sehr sensiblen Nase diesen Rausch und wir tauchten in der Nähe ihres Lieblingsstandes auf, der zwischen den Rolltreppen nach oben, zur Rückwand gewandt, feine englische Düfte aus natürlichen Stoffen anbot. Eine unaufdringliche Wohltat für die Nase, die von einer sehr englisch aussehenden rothaarigen Dame mit dezenterer Höflichkeit angeboten wurden, die ebenfalls eher dezent duftete und deren Kleider eher nach Laura Ashley denn nach dick bedruckter Designermode aussahen.

Es gibt auch diese kleinen feinen Orte im Tempel des Westens, der Trutzburg gegen alle Konsum-Läden, die dem Osten einst zeigte, wie gut es uns geht, wenn wir nicht gerade betrunken oder bettelnd davor saßen. Aber wer das tat, war ja meist selbst schuld oder wollte es nicht anders, so zumindest lange die offizielle westliche Lesart. Wir aber sahen weder die Bettler davor noch die berauschend duftenden und jede falsche Mimik reichlich überschminkenden Parfum Verkäuferinnen im Eingangsbereich, wir kamen ja als Kenner von Hinten, auch wenn es mein erstes mal war, ich keine Ahnung hatte, was mich erwartete, zumindest keine bewusste Erinnerung mehr an einen Besuch in Kindertagen als ich einmal mit meinen Eltern anlässlich eines Kongresses im noch verschlossenen Westberlin ängstlich zu Besuch war.

Bei diesem ersten Besuch nahm sich A auch gerne die Zeit mit ihrem staunenden Liebsten Etage für Etage mit der Rolltreppe hinauf zu fahren, zwischendurch in den einzelnen Abteilungen ein wenig zu schauen, mal Wäsche für die Dame, die ich immer besonders gern betrachte, auch wenn sie noch auf Bügeln hängt, beflügelt sie schon meine erotische Phantasie ausreichend und Damen dabei zu beobachten, wie sie sich solche Dinge aussuchen, ist ein äußerst sinnlicher Vorgang für einen Flaneur, auch wenn ich damals ja noch kaum wusste, dass ich ein solcher werden sollte, sondern als Begleiter einer eleganten Dame von Welt mit entschiedenem Stil und Geschmack sowie viel Erfahrung, zumindest viel im Gegensatz zu mir, auch im Luxuskonsum, dort weilte.

Fast ging ich dann selig betrachtend in der Spielzeugabteilung verloren, der ich immer noch stundenlang vor den aufgebauten Dioramen der Playmobilwelt wie vor meinen noch Kinderträumen stehen kann. Diese immer lächelnden Wesen, die mich so lange auf vielen geistigen Abenteuern begleiteten, was hatten wir nicht alles zusammen erlebt. Hier waren sie in Aktion mit vielen Details zu sehen, von denen ich in meiner Kindheit kaum zu träumen wagte - baute damals lange Zeit nur auf, saß dann stundenlang davor und bewegte alle halbe Stunde mal ein Männchen - der Rest der Geschichten spielte sich immer bei mir im Kopf ab, wie ich meiner Mutter auf Nachfrage einmal erklärte, die sich wunderte, was ich denn mache, wenn ich nur davor sitze, ob mir nicht langweilig sei. Nein, langweilig war mir in meinem Kopf und in der gespielten Welt nie und würde mir auch in dieser Spielzeugabteilung vermutlich nie - auch wenn ich sagen muss, dass die leicht unvollkommene Improvisation zu der mich meine bescheideneren Playmobilbestände noch zwangen, vielleicht meine Phantasie mehr beflügelten als diese perfekten Inszenierungen von gut im Marketing geschulten Dekorateuren der Spielzeugwelten.

Dennoch blieb ich fasziniert stehen und merkte gar nicht, wie A weiterging und wer sich je in diese, Irrgarten von einem Kaufhaus verlor, in dem zur Verführung der Kunden gerade und lineare Durchblicke die Orientierung geben könnten in dekorativster Form immer wieder bewusst verstellt werden, wird wissen, was ich meine und wie groß meine Panik war, als ich A als orientierungsloser Neuling nicht mehr sah.

Plötzlich war ich allein und völlig auf mich gestellt - sollte ich nun loslaufen und sie egal wo suchen, mich vollkommen verirren, bis mich irgendwann ein Nachtwächter und an die rettende ungefilterte Luft brächte oder war es klüger zu bleiben, wo ich war, damit A, die sich ja auskannte, mich wiederfände. Hin- und Hergerissen, zwischen beiden Möglichkeiten entschied ich mich fürs bleiben als weniger riskant, da sie sicher, hoffte ich zumindest, irgendwann bemerken würde, dass ihr Liebster verschwunden war und dann als  Kennerin den geraden Weg zurücklief und mich wiederfände.

Wir waren später noch häufiger dort, meist von hinten kommend, irgendwann kannte ich zumindest den Weg zur eleganten Parfüm Verkäuferin im Erdgeschoss und in die Lebensmittelabteilung und fand mich also an den entscheidenden Orten allein zurecht. Vermute ich würde heute immer noch bei der Damenwäsche oder beim Spielzeug, was ja auch je nach Alter irgendwie zusammenhängt, verloren gehen und mich nur zu leicht den schönen Anblicken dort einfach hingeben, warum ich sie meist bewusst umging, zum Ziel zu kommen.

Sie kam irgendwann tatsächlich lachend wieder, ich erklärte ihr meine Not und dass ich lieber hier geblieben wäre, bevor wir uns restlos verlören. Natürlich hatte sie Recht, als sie meinte, scheinst dich ja wohl hier zu fühlen, gab aber zu, dass es so wohl am besten wäre, nahm mich an die Hand und führte mich nun ohne größere Umwege in das große  Reich der Sinne im Obergeschoss.

Viele Supermärkte bemühen sich ja heute nach französischem Vorbild ihre Waren etwas eleganter zu drapieren, doch was dieser Ort der Nahrungslust bot, überstieg alles, was ich je gesehen hatte. Zugegeben erinnerte ich den Besuch bei Harrods oder Fortnum & Mason nicht mehr so genau, war da aber auch sicher nicht in der Lebensmittelabteilung gewesen vermutlich. Auch in Paris hatte ich mit meinen Liebsten lieber die Wäscheabteilung etwa im Lafayette besucht, als bei den bestimmt zu teuren Lebensmitteln lange zu verweilen.

Es gibt ja nun auch ein Lafayette in Mitte und einmal war ich auch mit einer meiner Liebsten dort, in der Wäscheabteilung und danach im Untergeschoss bei den Lebensmitteln, die eben französisch elegant drapiert waren und doch kein Vergleich des KaDeWe je sind. Diese eben obere Etage, über der nur noch ein Restaurant thront für die Westberliner Schickeria nach dem Einkauf oder zum Abstellen der Gatten, während die Damen dem Einkauf fröhnen. Hoffe mich stellt dort nie eine ab, lieber schlenderte ich durch dieses lustvoll dekorierte Museum der Lebensmittel, setzte mich dezent in die Abteilung mit der Damenwäsche oder könnte vor den Playmobildioramen abgestellt werden und nach einigen Stunden mit immer noch offenem Mund wieder abgeholt werden.

Wir gingen einkaufen an diesem Ort, der wie ein Jahrmarkt der Feinschmecker voller kleiner Buden und Imbissstände den Augen, der Nase und auch allen übrigen Sinnen so viel bietet, dass ich schon träumend ohne Ziel und Führung dort nach einer halben Stunde übersättigt und erschöpft wäre. Stelle ich mir vor, ich hätte eine unbeschränkt gedeckte Kreditkarte, müsste über solche Fragen nicht nachdenken, würde ich vermutlich mit Bergen von Dingen, die ich nie brauche aber unbedingt haben musste und die mein Leben um so vieles schöner machten, aus dieser Kathedrale aus einer anderen Zeit wieder herauskommen. Dies ist vermutlich der Zweck dieser Museen des Konsums, die nicht nur zum Anschauen da sind und glücklich preise ich mich als bedürfnisloser Flaneur, der nur gucken will und sich eher weniger leisten kann und darum selten gefährlich verführt wird.

Dieser Tempel, der im Kalten Krieg seine größte Rolle spielte, öffnete schon 1907 im heute Berliner Stadtteil Schöneberg, der damals noch zur selbständigen Stadt Charlottenburg gehörte die erst 1920 in Großberlin aufging, seine Pforten. Es ist heute mit über 60.000 Quadratmetern Verkaufsfläche das größte Warenhaus Kontinentaleuropas. Die Lebensmittelabteilung, die schon seit den 20er Jahren ein beliebter Anziehungspunkt nicht nur für Berliner ist, kann sich sogar rühmen die zweitgrößte weltweit zu sein und der Westberliner rühmt sich ja auch selbst gern seiner Traditionen, wie überhaupt der Märker allgemein, was ja schon Fontane wusste, ein großes Talent hat, gewöhnliche Dinge groß zu reden.

Insofern das alte Westberlin mit dem Fall der Mauer unterging, der Mittelpunkt des Interesses sich verlagerte, wurde das KaDeWe auch zu einer Gedenkstätte für das alte Westberlin und ist ein Museum in dem der Westen sich gern gut geschminkt zeigt, was ihn vom wilden Osten sichtbar unterscheidet.

Der Kaufmann Adolf Jandorf hatte bis 1905 schon sechs Warenhäuser für den einfachen Bedarf eröffnet. Nun plante er ein repräsentatives Haus für die wilhelminischen Eliten, welche die verwöhnten Ansprüche der oberen 10.000 oder sogar nur der obersten 500 auch befriedigen könnte. Das Kaufhaus begann schon lange vor der Teilung mit dem nach amerikanischen Vorbild abgekürzten Namen KaDeWe, der sich auf den Neuen Westen bezog wie im Kaiserreich ab 1871 die Bezirke Charlottenburg, Tiergarten und Schöneberg zusammengefasst wurden. Ein wichtiger Grund für die Wahl des Standortes war die Lage direkt am Bahnhof Wittenbergplatz und damit an der Stammstrecke der gerade neuen Hoch-und Untergrundbahn, die bereits 1902 ihren Betrieb aufnnahm.

Das noch mit 24.000 Quadratmetern Verkaufsfläche geplante Kaufhaus wurde im Stil der modernisierten italienischen Neorenaissance gebaut, wie damalige Beobachter es nannten. Die Fassade wurde mit fränkichem Muschelkalk aus der Heimat Jandorfs verkleidet. Innerhalb eines Jahres wurde der Bau vollendet. Statt des verglasten Innenhofes über alle Etagen hinweg, wie er in französischen Kaufhäusern schon üblich war, wurde im KaDeWe eine zweigeschossige Eingangshalle in der Mitte des Gebäudes gebaut. Diese bescheidenere Form wurde nach dem Wettbewerb der Überbietung unter Berliner Warenhäusern als wohltuend und bescheiden wahrgenommen.

Vor der Eröffnung wurde noch eine große Werbeaktion gestartet, in der die nun erstmals möglichen ganzseitigen Bildinserate in Tageszeitungen mit zu diesem Zweck angefertigten Grafiken des Jugendstilkünstlers August Hardjuk veröffentlicht, die schon den exklusiven aber auch aktuell  modischen Stil zeigen sollten.

Nach der Eröffnung ließ der Kaiser zwar noch auf sich warten, der Adel und Reiche anlocken sollte, dafür machte der zweitägige Besuch des siamesischen Königs Rama V., den erwünschten Eindruck bei Bürgertum und Adel. Bereits damals war das Warenhaus nach dem Vorbild amerikanischer Konsummeilen konzipiert und es fanden sich in 120 Abteilungen unzählige kleine Fachgeschäfte, zu denen von Beginn an auch eine Leihbibliothek gehörte. Anstatt der zu dieser Zeit sonst üblichen Gasbeleuchtung, gab es bereits Kohlefaserlampen für das neue elektrische Licht.

Über dem Eingang war ein kleiner Balkon platziert über dem wiederum eine riesige, bronzene Uhr mit drei Metern Durchmesser hing. Zu bestimmten Uhrzeiten öffneten sich links und rechts der großen Uhr zwei Pforten und eine goldglänzende Hansekogge aus ebenfalls Messing umrundete die Uhr mit geblähten Segeln, als sei sie in voller Fahrt. Die Kogge war das Wahrzeichen des KaDeWe, zugleich war sie auch eine Erinnerung an die große Zeit der Hanse, die Macht des Handels und seiner Freiheit, gab dem Kaufhaus einen ehrwürdigen Rathauscharakter.

Die in feinstem Holz getäfelte Eingangshalle wurde zu beiden Seiten von zwei riesigen Marmorfiguren flankiert. In den beiden Innenhöfen waren kleine Gärten angelegt, in denen die gehetzten Kunden zwischendurch einen Ort der Ruhe finden konnten. Das bald immer beliebtere Kaufhaus veränderte die Struktur des ganzen Bezirks. Die Tauentzienstraße wurde immer mehr von einer vorher reinen Wohnstraße zur Einkaufs- und Flaniermeile und auch die Gegend um die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche mit dem Kurfürstendamm zog allmählich nach. Was das Einkaufsparadies des alten Westberlin war und ist, entstand quasi als Appendix des KaDeWe, wozu auch die zahlreichen Boardinghouses für Amerikaner in dieser Gegend beitrugen.

Der Gründer Jandorf verkaufte sein KaDeWe im Jahre 1926 dann an den Warenhauskonzern Hermann Tietz & Co, was nur wenige Jahre später schon, dramatische Folgen haben sollte. Dieser ließ eine Dachterrasse einbauen, die mit Holzliegestühlen bestückt, die erschöpften Käufer zum Verweilen gern bei einem Perlwein nach Art des Hauses einlud. Es wurden im Stile der luxuriösen Hochseeschiffahrt auch hölzerne Liegestühle und das übliche Zubehör edler Freiluftunterhaltung aufgestellt und angeboten. Mit dieser Erweiterung des Hauses wurde auch die bis heute vorbildliche Lebensmittelabteilung mit besonderen Lüftungsapparaturen als  Feinkostparadies eingerichtet. Die Leihbibliothek des KaDeWe umfasste damals immerhin schon 60.000 Titel.

Nach der großen Wirtschaftskrise von 1929 kam es auch in der Warenhausgruppe Tietz zu finanziellen Engpässen, die ein großer Kredit der ab 1932 staatlich beherrschten Dresdner Bank überwinden sollte. Nach der Machtübernahme Hitlers Anfang 1933 wurde dem jüdischen Unternehmer Tietz ein Kredit über 14 Millionen Mark, was heute etwa 60 Millionen Euro entspräche, verweigert, wenn er nicht einen arischen Geschäftsführer einsetzen würde.

Bereits im März 1933 begann dann, vom Wirtschaftsministerium aus geführt, ein angeblicher Entschuldungsplan, der zur faktischen Arisierung des Kaufhauses führte, die eine kalte Enteignung war. Beim Treffen zur Verhandlung im Adlon wurden den jüdischen Geschäftsführern die Pässe abgenommen, um den Druck zu erhöhen. Als die NSDAP am 1. April 1933 zum Judenboykott gegen alle jüdisch geführten Warenhäuser und Läden aufrief, blieb auch das KaDeWe geschlossen.

Hitler wollte das Warenhaus zunächst nicht erhalten lassen, wurde jedoch von Beratern überzeugt, da zu viele auch mittelständische Betriebe als Lieferanten davon abhängig waren. Darauf kauften die Gläubigerbanken die Aktien der ehemaligen Hermann Tietz OHG, zu nur noch 10% des ursprünglichen Wertes, nannten die Firma Hertie, aus den Anfangsbuchstaben des vorigen Eigentümers und führten sie weiter. Die Wortmarke Hertie aus Tietz Vor-und Nachnamen war schon vorher eingetragen worden und so eine der wenigen, die zumindest nominell die Arisierung überstand, wohl weil sie sich bewährt hatte.

Im Laufe des Jahres wurde der arische Geschäftsführer eingesetzt und die Söhne von Tietz aus der Geschäftsführung verdrängt.

Während des Zweiten Weltkrieges stürzte am 23. November 1943 ein amerikanisches Kampfflugzeug in das Dachgeschoss des Kaufhauses, das infolge fast völlig ausbrannte. Der spätere Eigentümer Karg entschädigte nach Kriegsende die Tietz-Erben soweit sie die Nazi-Zeit überlebten mit einigen eigenen Warenhäusern zunächst, die er später wieder zurück kaufte. Nach dem Krieg wurde das Warenhaus rasch wieder aufgebaut und eröffnete schon am 3. Juli 1950 wieder. An diesem Tag strömten wohl bereits 180.000 Besucher, wer weiß ob dann tatsächlich Kunden, in die etwas vereinfacht wiederhergestellten Räumen, vor allem um sich mit Fett und Lebensmitteln zu versorgen. Der heutige Bau wurde dann 1956, bereits im Kalten Krieg abgeschlossen. Nach dem Bau der Mauer kam es im Warenhaus eine zeitlang zu Engpässen von zwei Seiten, die zahlreichen Verkäuferinnen aus dem Osten der Stadt, konnten nicht mehr zur Arbeit kommen, es blieben auch zahlreiche Kunden der früher wohlhabenden Gegenden um Dahlem aus, die aus der Insel Berlin weg zogen.

Während in den 70ern noch gelästert wurde, das KaDeWe sei nur noch ein gehobener Lebensmittelladen mit piefigem Kaufhausanhang, wurde in den folgenden Jahr das Niveau wieder gehoben, um sich gut im Luxussegment zu positionieren. Bei der Eröffnungsgala nach dem nun folgenden sehr kostspieligen Umbau, der das Warenhaus an der U-Bahn auch um ein Parkhaus bereicherte, war sogar der damalige Bundespräsident Walter Scheel anwesend und gab dem Haus die gewünschte Ehre, holte nach, was der Kaiser noch 1907 verweigert hatte.

Nach der Wende kam es zu einem riesigen Ansturm von Ossis, über 200.000 von ihnen sollen in den folgenden Wochen in dem Konsumtempel Gott Mammon teilweise sicher auch mit ihrem Begrüßungsgeld gehuldigt haben. Ob viele Bananen kauften, ist nicht überliefert. Von 1991-96 stockte das KaDeWe sich noch um eine Etage auf, in welche mit Glaskuppel als Wintergarten das Dachrestaurant integriert wurde. Nach der Übernahme von Hertie durch die Karstadt Gruppe, die sich irgendwann modisch Arcandor AG nannte, begleitete sie deren tragisches Schicksal um die Familie Schickedanz und den betrügerisch großmäuligen Manager Thomas Middelhoff, dem nur die Lebensgefahr nun Haftverschonung noch brachte.

Danach übernahm übrigens die Berggruen Holding des Investors Nicolas Berggruen, der inzwischen auch weiter veräußerte, aber so war das alte Warenhaus zumindest zweitweise wieder im Eigentum einer der alten jüdischen Familien Berlins. Ist doch Nicolas der Sohn von Heinz Berggruen, dem früher Berliner und Pariser Galeristen, der mit seiner wunderbaren Sammlung der klassischen Moderne Berlin so reich beschenkte und die heute im Stülerbau, gegenüber dem Schloss Charlottenburg im Museum Berggruen zu bewundern ist, in dem der Mäzen und Kunstkenner auch noch die letzten Jahre bei seinen Schätzen lebte und wo ich das Glück hatte, ihn einst zu treffen und einen Moment mit ihm über seine Schätze an den Wänden und die Geschichten der Künstler dahinter zu plaudern. Aber davon erzähle ich ein anderes mal.

Heute gehört das KaDeWe zu einer österreichischen Holding und alle wollen hoffen, dass die Zeiten in denen das Engagement von Österreichern in Berlin nichts gutes brachte, endgültig vorbei sind, es nur um Geld und Luxus geht, von dem der Besucher unverändert genug sehen kann, so er will.

Bei meinem ersten Besuch waren wir neben den kleinen Ausflügen und Verwirrungen auf dem Weg nach oben, hauptsächlich in der Lebensmittelabteilung und dort erinnere ich besonders die damals direkt nebeneinander gelegenen Bereiche für Tee und Fleisch. Der Tee zart duftend, wurde teilweise in Urnen angeboten, vor denen kleine Porzelanschälchen standen an denen der kundige Besucher schnüffeln durfte, was wer wirklich suchte. A wusste, was sie wollte und ich war vermutlich angesichts einer solch vielfältigen Entscheidung leicht überfordert, hatte die grüne Version des so britischen Earl Grey mit der halb sauren, halb bitteren Bergamotte noch nicht für mich entdeckt, dessen zarter Duft sich übrigens auch in Chanel No 5 wiederfindet.

Eindrucksvoller war noch die Präsentation des Fleischs. Wir ließen uns wunderbare  Steaks zuschneiden, A wählte noch eine Lammkeule und ließ sie sich vom ausnehmend höflichen Metzger klein hacken, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, während ich den Profi  fragte, ob es da bei dem Rindfleisch einen Druckfehler gäbe, das Komma verrutscht wäre, so teuer könne doch nicht mal hier sein. Doch erfuhr ich von dem lachenden Metzgersmann, es sei das Fleisch der Kobe-Rinder aus Japan, die besonders gefüttert und gepflegt würden - so bekämen sie tägliche Massagen, die dieses Fleisch besonders zart machten und tatsächlich kaufte dann eine Frau nach uns eine nicht unbeträchtliche Menge davon und wird dafür wohl mehr gezahlt haben als heute modernste Mobiltelefone kosten.

Aber Geld spielt in diesem Tempel keine Rolle, es ist ein Ort des Genusses und der Hingebung an die Sinne - an dem Brotberge im Stil alter holländischer Meister gestapelt werden. Wurst aus Deutschlands unterschiedlichen Regionen unter ihrem jeweiligen Namen an separaten Ständen oder Theken angeboten wird. Die nordische Katenrauchwurst oder die Cervelatwurst und die vielen Richtungen echten Schinkens - ich hatte  einfach keine Ahnung von den wirklich wichtigen Dingen, dachte ich immer wieder und hatte meinen Wurstkonsum im Studium und die erste Zeit danach auf die abgepackten Angebote der dortigen Theken reduziert. Doch was gab es hier nicht alles zu entdecken - eine so unendliche Vielzahl von Pasteten, dass sogar die schönsten Straßburger Märkte wohl blass würden, frische Austern, neben schwimmenden Fischen und noch zuckendem Hummer, die ich alle lieber übersah, um mich auf das englische Teegebäck in der ach so britischen Verpackung zu konzentrieren.

Dazwischen immer wieder kleine Rondells und Stände an denen die typischen Westberliner, wie mir später viele versicherten, sich ihrem kleinen Luxus laut plaudernd hingaben, ein Champagner oder Pro Secco Glas in der Hand. Die Damen meist etwas zu  stark geschminkt, erinnerten stärker an Düsseldorf als an Berlin, wie ich es kannte, waren aber typisch für den westlichen Vorort in dem sich die Damen eben ausgiebig anmalten, was im schlichteren Osten auch unter den dort gern flanierenden Models und Schauspielerinnen völlig verpönt ist. Die Herren häufig mit relativ weit offenen Hemden und meist zu braun gebrannt, mit ein wenig zu auffälligen Armbanduhren und Goldknöpfen an ihren Sakkos, während die unter dem Ansatz von Bierbauch zu eng sitzenden Designerjeans mit zu sichtbarem Label den krönenden Abschluss bildeten.

Es gab auch die dezenteren Herren, in Tweedsaccos, mit Cordhosen und feinden Schuhen, die Damen entsprechend, nur waren diese eher auf den Einkauf, denn den Konsum hier konzentriert, wie wir ja auch eigentlich, auch wenn ich nicht weiß, was ich trug als ich mit zumindest innerlich meist offen stehendem Mund durch die Reihen und Regale hinter A her flanierte. Wir tranken auch ein kleines Glas Cremant, aßen ein wenig Baguette an irgendeinem elsässischen Winzerstand, an dem weniger das laute Westberliner Publikum der Austern und Hummerstände und der großen Champagnerfirmen standen.

So gestärkt wirbelte A noch ein wenig mit mir durch die verschiedenen Abteilungen und ich frage mich bis heute, der ich schon mehrfach auch das KaDeWe alleine besuchte, welcher innere Kompass sie dabei wohl leitete, wo ich nur überall verwirrt staunte und aufpassen musste, damit nicht meine ewig tropfende Nase an den immer frisch polierten Scheiben platt drückte.

Natürlich wusste ich, bevor ich ins KaDeWe kam schon, dass es sehr teure Bordeauxs gab - hatte einzelne auch schon mal probiert - aber diese Preise in solcher Fülle und dann eine voll verschleierte Frau, die einem entgegen kommt und ihren Begleiter auffordert welche Flaschen er nun alle mitnehmen solle - das überstieg alles, was ich bisher kannte und dies vielleicht noch mehr auch als im Lafayette, weil diese Lebensmittelabteilung ganz oben, die natürlich Feinschmeckerabteilung heißt, einfach alles übertraf, was ich kannte, oben und nicht unten ist, am Ende eines langen Aufstiegs steht. Über 34.000 verschiedene Artikel bieten die mehr  als zuvorkommenden über 500 Mitarbeiter den interessierten Kunden an, die auch noch von dem kosten können, was 110 Köche oder 40 Konditoren zubereiteten.

Fragte mich häufiger dort, ob ich es nun eher neureich und ein wenig peinlich finde, wie einige der alten Westberliner dort, die aber wohl zum Stammpublikum gehören oder doch gediegen und edel und habe mich entschieden, mich nicht zu entscheiden, da es von beidem immer viel hat, je nachdem wo ich gerade hinschaue. Peinlich sind die Damen, an den Parfüm Ständen von Joop und ähnlichen chemischen Kampfstoffen der Damenwelt meist, edel die feine rothaarige bei den englischen natürlichen Düften, die vermutlich auch französisch sind, aber es passt besser zu meinen Vorurteilen sie englisch zu nennen. Edel ist die Teeabteilung und manches in diesem Laden, in dem es einfach alles gibt. Peinlich zum fremdschämen sind dennoch viele dort immer wieder und der Flaneur, der doch die Beobachtung lieber genießt, schaut dann immer schnell weg, um sich den schönen Eindruck nicht zerstören zu lassen.

Viel später einmal war ich auch mit einer Geliebten dort, die aus dem alten Westberlin kam, aus guter Familie, irgendwann wohl mal reich war, bevor sie von Hartz IV lebte und ihre riesige Wohnung teilweise untervermietete. Sie liebte diesen Ort, kannte jeden Gang, schien mir, wusste um Angebote und was sich lohnte, zeigte mir noch ganz neue Ecke, die mich allerdings relativ wenig interessierten, war dafür zärtlich gerührt als ich ihr in der Spielzeugabteilung einen eigentlich viel zu kitschigen Bären für ihren Schlüsselbund schenkte, den sie tatsächlich daran trug, solange ich sie sah. Für sie war dieser Ort das fortbestehende Reich einer untergegangenen Welt, in der sie aufwuchs - allerdings war sie keine so große Feinschmeckerin wie A, genoss nicht mit mir den sinnlich betörenden Gang durch das Feinkostparadies und verschenkte damit den schönsten Teil dieses Hauses für mich - entsprechend verloren wir uns bald aus den Augen, auch weil ich ihre unpreußische Unpünktlichkeit nicht ertrug.

Das KaDeWe blieb, wem es auch immer gehört und wenn es Österreicher sind heute,  es treffen sich die Hugenotten der feinen Familien Berlins dort gerüchteweise regelmäßig, wie es noch manche Geschichte zu diesem doch nur Warenhaus wohl zu erzählen gäbe, wie der Schweizer-Botschafter, der sich mit einer Parfüm Verkäuferin aus dem vorderen Bereich einließ und bald seinen Hut nehmen musste irgendwie, was auch fraglos eine unverzeihliche Dummheit war. Berühmt sind auch die Überfälle und Raubversuche in diesem Luxuskaufhaus, die den Dieben teilweise Millionen zumindest zeitweise einbrachten. Betrachte es heute eher als eines der vielen Berliner Museen, allerdings ohne Eintritt, sofern wir resistent gegen die dortigen Verführungen sind, in dem sich das alte Westberlin besser beobachten lässt als irgendwo sonst. Der in manchem kurzsichtige und kulturell sicher nicht besonders kompetente zufällig gerade regierende Berliner Bürgermeister mit dem ausgefallenen Namen Müller, der in typisch sozialdemokratischer Beschränkung meinte, statt des wunderbaren Museums für Sprache im Geiste des Wilhelm von Humboldt, ein weiteres Berlin Museum im bald Humboldt Forum schaffen zu müssen, wäre besser ins KaDeWe gegangen, wenn er ein solches gesucht hätte, bin aber nicht sicher, ob dies seinen Verhältnissen je entsprach. Vor allem die Selbstironie, die es erforderte, ein Kaufhaus zum Museum der Stadt zu ernennen, traue ich Müller nicht unbedingt zu, so wenig wie dem Pfarrerssohn der seine Staatskanzlei leitet und da fehlt eben heute ein großer Geist wie André Schmitz zu sehr.

Aber, bevor ich mich in den piefigen Untiefen der kleingeistigen Berliner Lokalpolitik verliere, die in vielem höchstens Kleinstadtniveau hat, schweige ich lieber auch zum Flughafen, fordere alle Berlinbesucher auf, die wissen wollen, was diese Stadt ausmacht, was sich seit der Vereinigung geändert hat und was sich nie ändert, dieses Museum des Konsums zu besuchen - nirgendwo ist Berlin mehr Berlin, ein piefiges Dorf, was gern mehr wäre.
jens tuengerthal 8.3.2017

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