Freitag, 20. Januar 2017

Gretasophie 009d

009d Liebesunsterblichkeit

Ach, ewig wollen wir lieben und nie voneinander lassen und schon die Trauformel, die kirchlich lautet, bis das der Tod euch scheidet, kündet vom grenzenlosen Ausmaß der Liebe, auch wenn es die Ehe als Liebesbund ganz sachlich bis zum Tod beschränkt.

Stirbt mit dem Partner die Liebe oder nur die Ehe als juristisches Bündnis zweier Menschen?

Wir Menschen sind immer sterblich, weil wir Natur sind. Nach Meinung einiger, die einem Aberglauben anhängen, bleibt so etwas wie eine Seele übrig, davon schrieb ich bereits zu Anfang und möchte nicht mit noch mehr Wiederholungen langweilen, als sie bei meinem schlechtem Gedächtnis, das mühsam seine nächste Umgebung erkennt, schon von alleine passieren. Für das Überbleibsel, gibt es keine Beweise, die Annahme beruht nur auf Phantasie und interessiert mich darum nur als Idee nicht als Tatsache. Als Glaube und als Hoffnung ist dieses Hirngespinst aber für viele Menschen so wichtig, dass sie es in einem Dreiklang mit der Liebe sehen und so für ganz real halten.

Wie real die Liebe ist und sein kann, weiß jeder, der schon an ihr litt. Doch fragt sich trotz des ganz wirklich gefühlten Herzschmerzes, was überhaupt je wirklich an der Liebe ist oder ob sie immer nur eine hormonell beeinflusste Wahnvorstellung ist, die den Horizont so weit beschränkt, dass uns der geliebte Mensch als der einzig wahre dann erscheint. Die Liebe hat immer wieder viel von dem, was wir heute als psychische Krankheit, zumindest auffälliges Verhalten beurteilen würden, ginge es darum. Wer verliebt ist, wird eben immer wieder ganz schön verrückt, was wir aber meist relativ normal finden und was wiederum die Relativität aller Grenzen deutlich zeigt.

Besonders mit der Liebe verbinden wir die Idee der Unsterblichkeit, weil derjenige, der übrig bleibt, seine Liebe nicht mit der Nullinie auf dem EEG des anderen wieder zurück bekommt, sondern sich meist traurig und einsam fühlt, auch wenn die Ehe juristisch damit beendet ist, wieder geheiratet werden könnte. Sozial wird nach dem Tod des Partners immer eine gewisse Karenzzeit erwartet, bevor sich der andere neu bindet. Rechtlich ist das bei uns irrelevant. Emotional kommen manche nie vom anderen los und fühlen die ewige Liebe, die der andere mit ins Grab nahm, wie es in Redensarten heißt.

Als mein Großvater starb, den wir Grotepater nannten, was ich nicht der Löchrigkeit meines Gedächtnisses wegen wiederhole, sondern um diesen Vater meines Vaters von dem meiner zu unterscheiden, lief meine Großmutter durchs ganze Haus und hielt die Uhren an. Ein ergreifender Moment für alle Anwesenden, so wurde es mir geschildert. Nach einer großen Liebe endete plötzlich die Zeit und meine Großmutter hörte erstmal auf zu sein, auch wenn sie alles, was nun zu erledigen war, pflichtgemäß mit ihren Söhnen hinter sich brachte.

Dieser wie ohnmächtige Zustand änderte sich schlagartig, als meine Omie die Briefe meines Großvaters an seine Geliebte fand, die seine langjährige Sekretärin im Amt war. Damit brach eine heile Welt der Liebe für sie zusammen, die über 50 Jahre gehalten hatte und an die sie immer geglaubt hatte, was ihr andererseits half, aus der Welt der Trauer wieder herauszufinden und wäre nicht eine zunehmende Demenz hinzugekommen, vielleicht hätte sie noch bis in ihre neunziger nun fröhlich gelebt, so wurde sie leider es erst etwas depressiv und dann manchmal verwirrt.

Um so stärker ihr Gedächtnis nachließ, desto liebevoller sprach sie wieder von ihrem Mann und ihrer wunderbaren Ehe, der großen Liebe, die für sie offensichtlich unsterblich war, auch wenn die Realität diesen Traum etwas beeinträchtigte. Es hat mich dieser Fund nicht weiter verwundert, im Gegensatz zu meiner Großmutter, noch empört. Erstaunt hat mich die Blödheit meines Großvaters, der die Briefe vergessen haben muss und besser vorher entsorgt hätte, um seiner fraglos großen Liebe, diesen Kummer zu ersparen. So etwas sollte einem erfahrenen Casanova nie passieren, denn wer die Frauen liebt, will auch, dass es ihnen gut geht, egal was er real nun tat.

Seine große Liebe zur Großmutter stellt diese kleine Affäre, und es ist bisher die einzig bekannt gewordene, für mich nicht infrage. Vielleicht offenbart es eher Kontinuitäten, so war mein Großvater, obwohl klein von Wuchs, als großer Casanova bekannt, bis er bei Bülows seine große Liebe kennenlernte und gegen den Rat seiner Familie heiratete, um mit ihr glücklich zu sein. Und die beiden waren immer ein glückliches Paar, auch wenn es schwere Zeiten wohl gab, in denen sie nichts hatten und der Großvater dennoch lieber Antiquitäten kaufte, statt Hosen für seine Jungens. Sie verschwanden auch mit über 80 noch glücklich glucksend im Schlafzimmer, küssten sich zärtlich und waren ganz Kavalier und Dame, so lange sie irgend konnten.

Ein Mann, der wie mein Großvater, die Frauen liebte, im Paris der 20er das wilde Leben kennenlernte und manche Legende dort traf, mag zwar seine große Liebe finden und mit ihr glücklich den Traum von Familie leben, sein Schwanz wird ihn dennoch weiter gejuckt haben, wenn eine Frau ihn neugierig machte. Es mag Männer geben, die ehrlich treu sind, wie es auch Frauen geben soll, die es aus Überzeugung sind, dahingestellt, ob diese jemals erfahren haben, wie schön das Leben sein kann, so wie es in der Natur ja alle seltsamen Dinge und Mutationen gibt und mich kaum noch was wundern kann. Für ganz normal halte ich diese, der herrschenden Moral entsprechende Sicht auf Liebe und Lust aber nicht und ich könnte solches auch nicht, ohne rot zu werden, für mich beanspruchen, im Gegenteil, warum ich es lieber lasse.

Dennoch bleibt der Gedanke an die unsterbliche Liebe in mir wach, auch wenn ich dann schon ziemlich viel Unsterblichkeit mit mir herumschleppte, da ich mich fast immer in eine Frau verliebte, wenn wir uns einander hingaben, die wenigen Ausnahmen glatt vernachlässigt werden können, finde ich die Vorstellung irgendwie schön. So fragte ich Mitte der neunziger in einem Liebesgedicht voller Herzschmerz an die just Verflossene und die neu angeschwärmte, die es noch nicht war und nie wurde, ob noch alle Lieben in mir lebten und erst ihre Summe mir Quelle des Glücks wäre, was ich nun, zwanzig Jahre später, so nicht widerlegen kann. Immer wieder habe ich mich endlos verliebt, gab mein ganzes Leben gern der Liebe hin und starb für sie zumindest in Gedanken, real bin ich ja immer noch da, auch wenn unklar ist, wem das zum Vorteil gereicht und was es offenbart.

Ginge es in der Liebe um Quantität, wäre ich schon näher am Glück, als ich es mit 17 war. Zählte allein Qualität, werde ich nie Caro vergessen, in die ich mit 14 unsterblich verliebt war und mich dann doch für ihre Freundin entschied, weil die Aussicht mit dieser zu schlafen größer schien, wollte ich es ganz nüchtern männlich beschreiben, was mir als Liebenden natürlich völlig fern liegt. Doch als ich sie mit 19 wiedersah - sie war damals wohl 18, verliebte ich mich wieder und betete sie in langen Briefen an, in denen ich auch liebend zu gerne Novalis zitierte, den sie nicht kannte und warum sie es für meine Verse hielt, was mir noch weniger verständlich macht, warum sie mich dann nicht sofort heiratete. Nun, es wurde nichts, sie blieb bei ihrem Freund und ich weiß nicht, was je aus ihr wurde. Angeblich soll sie in Hamburg studiert haben, aber ich habe jede Spur verloren und auch kein Interesse gehabt, weiter nachzuforschen, um nicht enttäuscht zu werden und so bleibt die Frau, die ich am meisten liebte, zumindest theoretisch, auf ewig unberührt von mir, was allem einen sehr romantischen Anklang doch gibt und wie es zu gut zur Liebe passt.

Vermutlich hielte ich heute eine, die nicht mal Novalis kennt, für eine langweilige Schnecke und wer weiß, was aus dieser Jugendliebe überhaupt wurde, ob sie schon die Kinder im Reihenhaus mit Mann hütet oder sonst normale Wege ging, wenn sie nicht heimlich voller Sehnsucht noch von mir träumt, der unerfüllten Liebe, die nur darum uns so schön erscheint, weil wir sie nie haben werden.

Vermute mit der Unsterblichkeit der Liebe ist es ähnlich. Das Gerücht rührt daher, dass wir Probleme mit dem Abschiednehmen immer haben und dann lieber sagen, die Liebe lebt fort, als zu sagen nun ist der andere tot und es ist aus mit Liebe und sonst was. Die Illusion, die überhaupt große Bedeutung in der Liebe hat, spielt bei der unsterblichen Liebe eine noch größere.

Nichts bleibt, wenn wir tot sind, von dem, was uns als Wesen ausmachte. Als solche sind wir tot, kehren nie wieder, empfinden nichts, müssen nur noch als Restsache irgendwie entsorgt werden. Um das möglichst kompliziert zu machen und einzelnen Ständen ihr Auskommen auch künftig zu garantieren, haben wir dafür idiotische Rituale geschaffen, die uns längst zur wertvoll rührenden Gewohnheit wurden und so lieben wir auch die Friedhöfe der Dichter und jene Orte der Stille, in denen manche sich phantasievoll vom Geist vergangener Zeiten angeweht fühlen.

Viele Frauen mögen diesen leicht gruseligen Hokuspokus, wie überhaupt Magie den Schoss der Weiber leichter öffnet als Vernunft und Erfahrung, warum ich mich früher auch viel mit diesem Unsinn immer wieder zielführend abgab, allerdings mich nicht dauerhaft selbst belügen konnte. Ob es nun das Lesen in Sternen, Händen oder Karten war, geheimes Wissen, seherische Träume, Kontakt zu Geistern und sonstiger Unsinn, nichts war mir zu dumm, sich einer Angebeteten zu nähern oder Neugier zu wecken früher. Heute belächle ich diesen mir so wesensfremden Eifer nur noch und denke, wer nicht ganz real Lust hat, lohnt den Aufwand mit Magie nie und Lügen war nie meine Stärke.

Warum sich Frauen so gerne vom Unsinn verführen lassen und was dieser mit Sex zu tun hat, habe ich lange überlegt. Dass es eine Verbindung gibt, ist offensichtlich und zeigt sich an ganz vielen Punkten. Während der kurzen heißen Liebe mit dem einen Modell von Chanel und dem folgenden späteren sehr heißen Sommer mit ihr und zwei ihrer Freundinnen Anfang der neunziger, habe ich auf Wunsch der Damen häufig aus diesem Fundus geschöpft, las in ihren Händen oder legte die Karten und fand diesen Unsinn immer grässlicher. In der Glitzerwelt zumindest, in der diese jungen Frauen lebten, die zwar etwas älter als ich damals waren, war solcher Zauber sehr beliebt und ich hätte in Paris eine wunderbare Karriere als gutbezahlter Wahrsager und Scharlatan machen können, die Damen waren schon dabei das zu organisieren und mein miserables französisch, wäre dabei vermutlich sogar eine Hilfe gewesen und für die Vernunft war ich ja damal noch im GO zur inneren Rechtfertigung.

Dachte an Casanova, der auch mit manchem Hokuspokus und Betrug viel Geld verdiente, große Schulden machte, bis er irgendwann immer wieder fliehen musste, sogar aus den Bleikammern und das hatte ich nicht vor. Mochte diese Scheinwelt nicht wirklich, auch wenn ich Karl Lagerfeld im Gespräch über Montaigne sehr gebildet und angenehm in Erinnerung habe. Wollte kein Wahrsager sein und kein Geisterseher, wie Swedenborg, den Theosophen, der von mir verehrte Imanuel Kant auch als Mystiker verspottete für seine Vorhersage des Brandes von Stockholm aus der Ferne etwa und der viele Jünger um sich scharte zum Spott des klaren Königsbergers. Wollte ich vom Betrug leben, hätte ich auch an der Börse oder bei einer Bank Karriere machen können, dache ich damals.

Es gibt keine ernsthaften Wahrsager, die keine Betrüger sind, ob sie nun aus Sternen, Händen oder Karten zu lesen meinen. Stets ist ihr Metier Betrug und Täuschung, wie in der heute üblichen Magie auf großer Bühne, warum auch viele Magier gern in diesen Modekreisen verkehren und von den Damen verehrt werden. Wo beide Seiten von Schein und Lüge leben, gesellt es sich wohl gern, denkt der Spötter, der dem gerade noch entkam und manchmal noch dem Wunsch der Damen widerstehen muss, doch mal einen Blick in ihre Hand zu werfen. So leicht ist es mit der Magie auch erotisch zu verzaubern, dass es fast auf der Hand zu liegen scheint, sich daran zu beteiligen. Beginnen die Damen bei einem Fest von ihren Sternzeichen zu fabulieren, wollen sie Sex und suchen nur einen Umweg dahin, doch wenn du das nüchtern feststellst, verbaust du dir diesen Weg meist. Allerdings brauchte es einige Reife, um festzustellen, dass die, welche auf Magie auch im Bett vetrauen, es real selten wirklich lohnen und ich darum konsequent vernünftig blieb, was manche mit dem magischen Moment der Liebe in meinen Versen nicht vereinbaren können.

Die Liebe und der Sex, wenn er gut ist, haben Magie - aber genau das ist der entscheidende Punkt, sie haben es, ihrer Natur nach und brauchen keinen billigen Hokuspokus, der den Verstand beleidigt um simple Begattungsrituale zu vollziehen.  So sind, was magisch in Erinnerung bleibt, jene Momente, die Goethe meinte, als er schrieb, oh Augenblick verweile doch, du bist so schön, genau der zeitlose Zauber von Lust und Liebe, der alles vergessen lässt. Wenn es keine Zeit mehr gibt, weil du im Bruchteil von Sekunden zusammen Kommst, dich genau im Höhepunkt selig voller Liebe noch dazu erspürst, zärtlich umarmt irgendwo sitzt oder liegst auch ohne Sex, dann weißt du, was die Magie der Liebe sein kann, die unsterblich ist. Und wer es nicht kennt, dieses stirb und werde, vom kleinen Tod zur ersehnten Unendlichkeit, wird nie verstehen, wie schön Sein sein kann und ewig kann der andere noch versuchen, dies zu erklären.

In diesem Sinne ist die Liebe unsterblich auch in der Erinnerung und so weiß ich zumindest, dass meine Großeltern auch guten Sex hatten - darum ist egal, was sonst war oder ist, es zählt der Augenblick, der sich von der Zeit löst, eine Ewigkeit im realen Nichts wird, um von der unsterblichn Liebe zu reden, auch wenn wir es, wenn es passiert, oft noch ganz normal finden und nicht der vielen Worte wert, weil die zufällige zeitliche Koinzidenz orgiastischer Gefühle ja auch bei jedem Fußballspiel beobachtet werden kann, was den Kult darum oder den Fankult vieler Jugendlicher auch erklärt, es ist eine Variante von dem, um was es eigentlich geht. Ob besonders viele Menschen, denen dieses Glück fehlt, sich gerade eine Ersatzbefriedigung im Sport oder sonst suchen, kann ich durch keine Statistik belegen und vermute es also nur aufgrund einer gewissen inneren Logik für die auch eine geringe praktische Erfahrung spricht, die aber auch nicht mehr wissenschaftlich wohl wert wäre als ein kommt halt vor.

Die Zeit miteinander so verlieren, heißt  beieinander ankommen. Viele scheinen es im Leben nicht kennenzulernen. Die suchen sich eine andere Ersatzbefriedigung, treiben sich auf Single-Portalen mit anderen Frustrierten herum, um sich regelmäßig die Sterblichkeit der Liebe neu zu beweisen. Kenne die unsterblichen Momente schon und weiß inzwischen, da solltest du für immer bleiben, sie sind selten und das höchste Glück, mehr kommt nicht mehr. Alle Quantität verwischt nicht den Traum der Unsterblichkeit, der im gefühlten Nichts des geteilten Todes real wurde und kann also getrost vergessen werden. Es kommt nicht darauf an, wie oft und mit wie vielen du zusammen warst, sondern wie sehr du die Zeit miteinander verloren hast und dich einen Moment unsterblich fühltest, um zufrieden zurückzuschauen und so gesehen, bin ich glücklich, weil ich schon mal Glück hatte, könnte jederzeit zufrieden gehen, weil ich das Gefühl habe, das schönste erlebt zu haben.
jens tuengerthal 20.1.2017

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