Montag, 9. Januar 2017

Gretasophie 007b

007b Gefahr der Unordnung

Ist Unordnung wirklich gefährlich?

Denke ich an die Zustände auf einem Schiff oder bei einer Expedition am Berg, kann Unordnung schnell tödlich sein, wenn etwa Rettungswesten nicht da sind, wo sie hingehören, die ihrer bedürften infolge elendig ersaufen, sich im Biwak die Sicherungshaken nicht finden, einige darum abstürzen.

Kenne es noch von der Feuerwehr und meiner Zeit auf den Rettungswagen, wo jeder Griff sitzen musste und alle Sache genau an ihrem Platz sein mussten, damit im Notfall alles funktioniert, keiner suchen muss und Leben so gerettet werden können. Auch später als Springer im OP war die exakte Ordnung überlebenswichtig, wenn am offenen Herzen oder der Lunge des Patienten operiert wurde, musste jeder Griff blind sitzen und der Arzt darauf vertrauen können, dass ihm die richtigen Sachen gereicht wurden.

Wo wir uns in gefährliche Situationen begeben, ist Ordnung also manchmal mehr als wichtig sondern kann Bedingung des Überlebens sein. So probten wir bei der Feuerwehr etwa auf der Atemschutzstrecke die Meldungen, ob alles in Ordnung sei, um ständig die Sicherheit gegenseitig auch zu kontrollieren, damit in der Gefahrensituation in einem brennenden Haus auch alles reibungslos funktionierte.

Hier wäre jede Unordnung gefährlich, könnte tödlich enden im schlimmsten Fall. Die Erfahrung durfte ich im Krankenhaus auch noch selbst machen und überlebte nur mit Glück ohne größere Schäden. Während ich im Koma lag und noch beatmet wurde, war wohl die Beatmung falsch eingestellt und ich erlitt einige Zeit eine Sauerstoffunterversorgung, weil sie geschlampt hatten. Zum Glück, kam mein Vater wie jeden Tag vorbei und bemerkte es als Arzt mit viel Erfahrung sofort und rettete mich so. Einmal als er umfiel, konnte ich ihn durch einen Schlag auf seine Brust wieder zurück ins Leben holen, weil ich wusste wie und wohin und es automatisch machte, ohne weiter nachzudenken, ob da mein Vater vor mir auf der Erde lag oder ein unbekannter Patient, die Ordnung hatte ich verinnerlicht und das war gut so, wir wären also quitt, ginge es im Leben wie bei einem Wettkampf zu, was ich bezweifle.

Ordnung kann Leben retten, lebenswichtig sein und erfüllt ganz wichtige Aufgaben, um Abläufe zur Rettung anderer reibungslos zu machen. Andererseits trug mein Vater, der ein großer Radiologe war, in seiner Klinik den Spitznamen Tütental, weil auf dem Wust seines Schreibtisches scheinbar manche Röntgentüte verschwand, auch wenn er immer behauptete, er beherrsche wie jedes Genie das Chaos und wisse genau, was wo läge, noch nach Jahren, Befunde und ihren Verlauf sofort wieder erkannte.

Ob er eine innere Systematik hatte, die ihn das äußere Chaos beherrschen ließ, damit er dennoch immer präzise funktionierte oder er einer anderen unsichtbare Ordnung zwischen den Dingen erkannte, weiß ich nicht, er fand sich immer erstaunlich gut zurecht und Chaos stifteten nur alle, die irgendeine der Röntgentüten bei ihm suchten. Wie genial würde er erst heute im Zeitalter totaler Digitalisierung sein können, dachte ich, in  dem keiner mehr Bilder suchen muss, weil alle Patientendaten auf dem Server bei seiner Akte liegen.

Das gerade geniale Wissenschaftler oder Künstler auch dazu neigen, im kreativen Chaos am besten schöpfen zu können, ist ein bekanntes Gerücht und dass ich meinen Vater für einen Künstler zuerst halte, schrieb ich ja schon mehrfach, doch stimmt dies Gerücht überhaupt?

Bin mir da nicht sicher. Halte mich weder für genial noch sonderlich begabt, auch wenn manche Tests zu anderen Ergebnissen kamen, beruhige ich mich immer damit, dass andere Methoden der Erkundung mich auch schon für schwachsinnig hielten, was ich nur selten so teilen würde. Wer ein bestimmtes Ergebnis möchte, wird eben die Parameter so setzen, dass es erreicht werden kann, wenn die Zahl hoch genug gesetzt wird.

Habe mit der Ordnung in meinem Leben verschiedene Phasen durchlebt und unterscheide heute die Anscheinsordnung von der tatsächlichen, die primär eine Innere für mich ist. Die meisten Menschen achten auf die Anscheinsordnung, die ja auch ist, was wir zuerst sehen und was ist, wie es den Anschein hat. Ob es dort ordentlich ist oder nicht, verrät nichts über das Chaos in dem Menschen darunter. Würde nicht gleich sagen, dass es sogar eher ein Beweis für das Gegenteil wäre, aber wer sich nur an seiner äußeren Ordnung festhält, findet sich nicht selten sonst weniger zurecht.

Schöner wohnen ist schön und auch Grund genug, ab und an mal aufzuräumen und es schön zu machen. Dennoch steht die Priorität des Saubermachens bei mir sehr weit hinten auf der Liste, der Dinge, die ich für wichtig halte.  Lesen und Schreiben, was 70% des Tages bei mir einnimmt, da ich ab und an auch noch schlafen und essen muss leider, hat eine viel größere Bedeutung und so habe ich seit einer Ewigkeit meine Fenster nicht geputzt, auch wenn ich jedesmal, wenn die Sonne scheint, denke, es wäre nötig, bis ich es doch irgendwann tue, weil ich keinen Durchblick mehr habe. Doch zuvor rede ich ein Jahr darüber, überlege, wann es passen würde, verschiebe es wieder, bis jede Ausrede verbraucht ist.

Im griechischen heißt die totale Unordnung das Chaos und der Begriff wurde in unsere Sprachen übernommen. Der Gegenbegriff dazu ist der Kosmos oder die Ordnung im Universum. Manches im Universum würden wir chaotisch nennen, aber vieles von dem, was wir früher chaotisch nannten, erkennen wir heute als Teil einer komplexen Ordnung.

Ist die Chaostheorie eine Beschreibung der totalen Unordnung oder sucht sie die Ordnung hinter dem scheinbaren Chaos in dem alles mit allem zusammnehängt?

Das Wort Chaos stammt etymologisch von dem Wort Klaffen und meint klaffende oder gähnende Leere. Wie das deutsche Wort Gähnen, wird auch die gähnende Leere auf ihre indogermanischen Wurzeln zurückgeführt. Chaos heißt nebenbei noch eine tiefe Schlucht auf dem Peleponnes, die der Urschlucht Ginnungagap in der nordischen Mythologie gleicht.

Nach der Edda befand sich dort der leere Raum vor Beginn des Weltgeschehens. In dieser urigen Schlucht schmolzen das Eis von Norden und die Glut von Süden zum Urriesen und der Urkuh zusammen. Der Riese Ymir mit Namen wurde dann von den Söhne des Bör, einem Wesen, das schon vor der Schöpfung der Welt bestand, Odin, Vili und Vé, die er mit seiner Frau der Riesin bekommen hatte, umgebracht und wieder in die Kluft Ginnungagap gelegt. Aus seinen Resten formten dann die drei Göttersöhne die bestehende Welt. Vergleichbar dem Zustand dieser Schlucht ist das griechische Chaos oder das jüdische Tohuwabohu als totale Unordnung.

Nach Hesiod, der etwa 700 vor Christus dichtete, war das Chaos der Urzustand der Welt. Dabei ähnelt es auch sprachlich immer wieder dem Nichts und der Leere. Hier ist ein erstaunlicher Unterschied zu den asiatischen Religionen, die das Nichts als Ziel erstreben, auch wenn beide es vielleicht als gemeinsamen Ursprung sehen, strebt die westliche Welt nach Ordnung oder einem aufgeräumten Himmelreich und nicht nach dem Nichts und der Leere als Erlösung.

Darum war auch ein Philosoph wie Epikur für viele untragbar, der nicht nur Frauen gleichberechtigt in seiner Runde zuließ, sondern auch sagte, wir kommen aus dem Nichts und werden zu Nichts und darum ginge ihn der Tod nichts an, weil er nicht mehr ist, wenn der Tod da ist. Es gelte nur das Leben bis dahin so sehr wie möglich zu genießen.

Kinder des Chaos sind bei Hesiod, Gaia, die Göttin der Erde, Nyx, die Göttin der Finsternis oder Nacht, Erebos, der ebenfalls Gott der Finsternis in der Unterwelt, Tartaros, der als Ort und Person zugleich für die Unterwelt steht und schließlich Eros der Gott der Liebe und der Lust. All diese Götter sind also direkte Ausgeburten des Chaos.

In der Schöpfungsgeschichte der Bibel in Genesis 1, 1-5 steht dazu wüst und leer war die Welt, was auch als Chaos gelesen werden kann und in der hebräischen Variante steht tohu vaohu, was zum Tohuwabohu im Deutschen später wurde.

Erst seit dem 17. Jahrhundert wird der Begriff auch für allgemeine Unordnung verwendet - etwa das Chaos in meinem Zimmer. Die Chaosforschung selbst ist ein Teilgebiet der angewandten Mathematik und steht in keinem Zusammenhang mit den Chaostagen, die Punkgruppen seit den 80ern mehrfach veranstalteten. Es geht dabei um die Ordnung in dynamischen Systemen, deren zeitliche Entwicklung nicht vorhersagbar scheint. Solch chaotisch dynamische Systeme sind nicht linear und zeigen sich etwa bei Pendeln oder beim Schmetterlingseffekt beim Wetter, demgemäß ein Schmetterlingsflügelschlag in Australien unser Wetter verändern kann. Wichtig ist die Chaosforschung zum Verständnis von Wirtschaftskreisläufen, der Erosion, Verkehrsstaus, neuronaler Netze, wie sie unserem ganzen Gehirn zugrunde liegen, also allem, was die Leser zu meinen wirren Worten hier denken mögen, und auch bei Lasern.

Die Berechnung des Chaos, also des unmessbaren, das wild aus dem Nichts kam, scheint wie die Quadratur des Kreises und arbeitet mit Näherungswerten zunehmender Präzision. Anders als im alltäglichen Sprachgebrauch befasst sich die Mathematik jedoch in der Chaostheorie nicht mit Systemen, die dem Zufall unterliegen, sondern mit dynamischen Systemen, die grundsätzlich schon mathematisch beschrieben werden können und sich prinzipiell deterministisch, also vorhersagbar, verhalten. Dann ist das Chaos nach der Mathematik berechenbar und hat eine eigene Formel, die hier aber nicht weiter aufgeführt werden sollte, da ich auch als Autor nicht über Dinge reden sollte, von denen ich nichts verstehe und sie nur voller Respekt erwähne, weil ich nicht alles verstehen können muss mit meinen natürlich beschränkten Fähigkeiten.

Wichtig werden diese Fragen heute auch etwa bei der Quantentheorie und dem Welle-Teilchen-Dualismus, der uns allen auf subatomarer Ebene zugrunde liegt und den Shakespeare in seinem Hamlet mit der Formulierung “Sein oder nicht sein?” so wunderbar auf den Punkt brachte, auch wenn es da nur um den Geist seines jüngst verstorbenen Vaters ging.

Wir wissen manches aber vieles doch nie, so viel wir auch wissen und so ist die Frage Montaignes, was weiß ich schon, auch gerade gegenüber dem unergründlichen Chaos wohl angemessen und treffend.

Die Unordnung, die der Welt nach allen Sagen und dem, was die Physik heute weiß, zugrunde lag, könnte aber auch nur Ausdruck unseres bescheidenen Horizonts sein, der die Ordnung dahinter nicht oder noch nicht erkennen kann.

Ganz in diesem Sinne erfanden die Religionen immer wieder Systeme, die hinter allem eine Erklärung, des geglaubten höheren Wesens fanden. Diese Idee der Schöpfung hat die Kirche nach vielen peinlichen Blamagen durch die Jahrhunderte, die einzugestehen manchen immer noch schwer fällt, zu einer dynamischen gemacht, die sich den je Umständen anpasst - es lässt sich gegen diese moderne jesuitisch geprägte Theorie der Schöpfung wenig sagen, wer einen Schöpfer als Urgrund glauben will, soll das tun, denen ist nicht zu helfen mit Vernunft. Alle übrigen erkennen die Kausalität der Evolution und fragen weniger nach einem Urgrund als den wechselnden Zuständen der Energie, die den evolutionären Prozess in Gang brachte.

Warum es dazu einen definierbaren Anfang braucht, unser Denken sich also linear beschränken soll, verstehe ich bis heute nicht, was daran liegen kann, dass ich auch gedanklich ein anarchischer Chaot bin und auch im Kreis denken kann. Wer den Welle-Teilchen-Dualismus, der sich wunderbar in dem alten chinesischen Zeichen des I-Ging oder Tao wiederspiegelt, warum Niels Bohr genau dieses auch in sein Wappen aufnahm, als Urgrund sieht, der den Dingen zugrunde liegt, erkennt, wie die alten Sagen es beschrieben, ein chaotisches System, das sich nicht vorhersagbar abwechselt und entwickelt aber immer ist. Es wechselte nur seine energetische Zustandsform.

Aus der Theorie, dass Energie nicht verloren geht, dem berühmten Energieerhaltungssatz, leiten manche Esoteriker ab, auch die menschliche Seele und ihre Energie seien unsterblich und wirkten immer weiter. Allerdings ist die Begründung höchst absurd und zeugt mehr von Ahnungslosigkeit als Verständnis des Chaos. Lebende Wesen sind als solche immer nur begrenzt haltbar und damit sterblich. Warum das höchst komplexe System des menschlichen Gehirns dessen vielfältige neuronale Verbindungen wir nicht mal chaostheoretisch bis heute vollständig beschreiben können, weil eben kein deteministisches, wenn auch dynamisches System und daher immer nur teilweise berechenbar ist, nach dem Ende aller biologischen Prozesse, eben dem Tod, in einem Teilbereich seiner Funktionen als erdachte Seele jenseits des Chaos fortbestehen soll, ist mir schon immer noch rätselhafter gewesen als die Erkenntnisse der Chaosforschung.

Wo keine Energie mehr messbar ist, weil das System tot ist und die vorhandene Energie nur zur Umwandlung der verbliebenen Zellen verwandelt wird, wir also verfaulen oder gären, ist nichts mehr, was an Komplexität den vorherigen neuronalen Vorgängen gleicht, es geht nur noch um den geordneten Zerfall und diese Chance des Nichts als große Freiheit zu begreifen, könnte ein Weg sein, der den Menschen die Angst vor dem Tod nimmt und sie das Leben mehr genießen lässt.

Ob es darüber Götter gibt und diese sich um uns kümmern würden in ihrer Allmacht und Allwissenheit, weiß ich nicht, wie sollte ich es auch wissen. Einen Gott kannst du glauben oder nicht, wie es eben deiner Natur entspricht oder dir vernünftig erscheint. Wissen kann es im Glauben nie geben. Kann aber nicht glauben, dass wenn es etwas Allwissendes gäbe, sich dies mit solch engstirnigen Kleinigkeiten abgäbe, wie es die Kirchen als immer Diener der Macht tun, würde also mit den Brüdern Goncourt sagen, wenn es einen Allmächtigen vielleicht Baumeister geben sollte, wären die Veranstaltungen des Aberglaubens sicher die schlimmere Verspottung für dieses also auch vernünftige Wesen, als es der Atheismus je war. Im übrigen ist von dem, von dem ich nichts wissen kann, besser zu schweigen.

Es gehen mich irgendwelche höheren Wesen für mein Handeln und meine Moral, die wie auch von Kant bewiesen, nur meinem Gewissen verantwortlich ist, nichts an und was mich nichts angeht und von dem ich nichts wissen kann, wie wohl alle Menschen, auch wenn viele anderes beteuern, dazu schweige ich lieber, nicht etwa, weil ich mich für weiser halte als der Papst, der gern formelhaft darüber redet, sondern weil ich glücklich in meiner geistigen Beschränkung bin und sie mir einzig logisch erscheint.

Sollte ich um des Chaos wegen den Tod nun fürchten oder gerade nicht?

Halte es auch da mit Epikur, der gut begründet, warum der Tod uns nichts angeht und uns nie tangieren kann, weil uns nur angeht, was wir wahrnehmen, mit dem Tod aber all unsere Wahrnehmung endet und all unsere Wahrnehmungsorgane aufhören zu funktionieren. Lukrez sein Schüler, der knapp 300 Jahre nach ihm seine Philosophie in schönste Verse dichtete dazu in seinem de rerum, wie ich hier nur laienhaft ungefähr wiedergebe:

Der Tod geht mich nichts an
Weil der Tod und ich nie irgendwo
Zusammen sind wo er ist bin ich
Nicht mehr und wo ich bin kann
Er noch nie sein und ist also egal

Die Wahrnehmung als Grenze des Seins könnte für Fälle der Bewusstlosigkeit das Ganze vielleicht kompliziert machen, doch auch die reagieren ja irgendwie - meist eher mit Reflexen auf körperliche Berührung aber wohl auch auf Ansprache und sonstige verbale Zuwendungen oder Musik, soweit Reaktionen darauf bereits messbar sind.

Spannend aber ist es, wie schlicht Epikur daraus schließt, warum uns nichts angehen kann, was wir nicht mehr wahrnehmen, dass der Tod für unser Leben völlig irrelevant ist und es nur eine Frage der Wahrnehmung ist, wie wir mit ihm umgehen, der nur nichts mehr ist.

Es gibt ein wunderbares Essais von Montaigne dazu im ersten Band seiner Essais, die mir in der wunderbaren Übersetzung von Hans Stilett vorliegen, wo er unter dem Titel, ob wir etwas als Übel oder Wohltat empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung dazu ab, über den Tod und die Haltung verschiedener Menschen dazu schreibt, über die einen berichtet, die lachend und scherzend dem Tod entgegen gehen, sogar wenn sie gerade gehängt werden und die anderen, die sich ewig grämen aus Angst, bis der Tod sie endlich davon erlöst. Montaigne selbst hatte lange furchtbare Angst vor dem Tod nachdem dieser seinen Bruder in jungen Jahren überraschend beim Ballspiel ereilt hatte. Auch unter dem Tod seines besten Freundes, der noch relativ jung während der Pestepidemie in Bordeaux starb,  den er innig liebte, litt er lange. Er selbst erkrankte an Nierenkoliken, die so furchtbare Schmerzen verursachten, bis sie endlich abgingen, dass er sich manches mal den Tod gewünscht haben wird, um Frieden zu finden.

Es ist nicht ganz klar, wann Montaigne erstmals den Lukrez las und von Epikurs Denken Kenntnis bekam, doch irgendwann hatte er keine Angst mehr vor dem Tod und begründet es mit diesen beiden. Dieser war rund hundert Jahre vor seiner Geburt erst wiederentdeckt und vom ehemaligen Sekretär des gerade auf dem Konzil zu Konstanz abgesetzten römischen Papstes nach Florenz aus vermutlich Fulda geschickt worden. Von dort hatte er sich unter allen Denkern und Künstlern der Renaissance wie ein Lauffeuer verbreitet und das Denken und die Haltung zum Menschen komplett verwandelt. Klar aber ist, wie dies sein Denken verwandelte und wie sehr sich dies in seinen Essais widerspiegelt, wie überhaupt seiner Haltung zum Leben.

Da war einer erfolgreicher Jurist, Bürgermeister von Bordeaux, ein bewährter Krisenmanager, geschätzt bis an die königlichen Höfe, von Navarra bis Paris, die ihn immer wieder um Rat baten, ein erfolgreicher und beliebter Berater an den Zügeln der Macht also und er nutzte es nicht sondern zog sich auf sein ländlich gelegenes Schloss zurück, lebte dort hauptsächlich in seinem Turm mit seiner Bibliothek, wenn nicht gerade Freunde zum Essen kamen. Er überließ, wenn seinen Berichten zu trauen ist, aber wenig spricht dagegen, er ist sehr ehrlich in allem, seiner Frau die Führung des Guts mit Wein- und Ackerbau und las und schrieb in Ruhe vor sich hin, korrespondierte mit der intellektuellen Welt des damaligen Europa, unabhängig vom jeweiligen Glauben.

Dieser Michel de Montaigne nun, sah die Wahrnehmung, wie es schon Epikur wortwörtlich tat, als diejenige, die uns alle Angst im Leben nehmen kann, weil es immer und überall nur auf die Haltung ankommt und nichts der Beunruhigung eigentlich lohnte.

Als ich von einer Sekunde auf die andere quasi tödlich verunglückte und monatelang im Koma lag, unklar, ob ich je wiederkäme und wieviel schwachsinniger noch als vorher, konnte ich mir keine Gedanken oder Sorgen machen. An den Moment erinnere ich mich nicht, als mein Herz nicht mehr schlug und ich auf der Straße reanimiert wurde. Da ist nichts geblieben und die Wochen danach sind wie die kurz davor gelöscht, ich war eben bewusstlos. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt dazu der Volksmund und trifft es genau mal wieder.

Diese Ereignisse ändern nichts an meiner Haltung zum Tod, der mich nichts angeht und lassen mich ihn so wenig fürchten wie vorher, da er uns einfach jederzeit und überall ereilen kann und doch jede Wahrnehmung logisch beendet, da die Organe der Wahrnehmung nicht mehr funktionieren, wenn wir tot sind und alles andere ins Reich des Märchens und der Phantasie nur gehört.

Ob der Tod das Chaos und die Unordnung ins Leben bringt oder das chaotische System Mensch einfach beendet und zur guten Ruhe kommen lässt, ist lediglich eine Frage der Haltung und also auch der Wahrnehmung der Dinge. Was mir gut tut und womit ich wohl fühle, ist gut für mich und nach diesem einfachen Prinzip ordne ich mir die Welt, wie sie mir gefällt, da alles komplexere vermutlich meinen Horizont überstiege, zumal ich noch gelegentlich sogar auch mit Frauen zu tun habe, von denen ich noch weniger verstehe, die ich einfach nur genieße, wie sie eben sind und kommen. Mache es mir also so einfach wie möglich und versuche, wie Lukrez es lehrte, mein Leben voller Lust zu genießen, wie es ist.

Der Tod ist für mich in Ordnung, er beendet das Leben und gibt keinen Grund zur Trauer, die meist nur Ausdruck von Eitelkeit ist, wie der andere es wagen konnte, uns vorher zu verlassen oder uns allein zu lassen und dazu fehlt mir mit meinen bescheidenen Mitteln der Anspruch. Habe auch festgestellt, dass Neid und Missgunst weniger froh machen als Liebe und Zuwendung und so gönne ich dem anderen die Freiheit zu sterben und nicht mehr zu sein und was nicht mehr ist, spielt keine Rolle, womit alle gut und glücklich leben könnten.

Einzig die gesellschaftlichen Zwänge begründet auf den alten Aberglauben, zwingen mich dazu noch gewisse Formen manchmal einzuhalten und Betroffenheit zu mimen, wo ich nicht tangiert bin. Da ich kein Prediger bin, kann ich den Leuten nicht erzählen, trauert nicht, sondern freut euch, lasst frei, sondern kann nur jeden in den Grenzen seines Horizontes auffordern selbst zu denken. Wer sich knechten will und trauern möchte, dies für natürlich und normal hält, wie die Psychologie es uns gerne einredet, in dem sie gewohnte Muster der Massen für gesund erklärt, der soll das tun. Halte es anders, weil ich mir die Welt so mache, wie sie mir gefällt und versuche diese Idee konsequent zu denken.

Finde es völlig in Ordnung, dass unser Leben endlich ist, wir die Freiheit haben, es endgültig zu beenden, ohne uns vor einer Seele und ihrem Heil fürchten zu müssen. Ob das Ende im Nichts zugleich eines im Chaos ist oder immer noch Ausdruck der Ordnung der Natur ist nur für den relevant, der noch ist und es sich fragt. Wer nicht mehr ist und also jenseits aller Wahrnehmung bleibt, für den ist alles egal. So ist das Ende in der völligen Unordnung, oder im Chaos, also im Nichts die natürliche und also beste Ordnung mir.

Gefährlich ist die Unordnung nur, wo wir eine Ordnung brauchen, um zu funktionieren, auf Schiffen, im Straßenverkehr, in Flugzeugen, in der Schule und bei der Feuerwehr wie im Krankenhaus. Ansonsten sollten wir sie wie alles gelassen betrachten und genießen wie wir können, solange wir können, wenn wir nichts mehr können, ist ohnehin alles egal und ohne jede Relevanz noch. Es gibt keinen Grund zur Furcht vor der Unordnung mehr.
jens tuengerthal 9.1.2017

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