Donnerstag, 5. Januar 2017

Gretasophie 006b

006b Was ist Kunst

Was Kunst ist, lässt sich mit noch so vielen Worten nicht umfassen. Es kann alles sein, was Menschen in künstlerischer Absicht produzieren. Manchmal ist es auch ein Produkt des Zufalls, den Künstler für sich nutzen oder wird erst später zu Kunst und war zuvor nur ein Gebrauchsgegenstand ohne künstlerischen Anspruch.

Alles kann leicht an den gewohnten oder bekannten Definitionen der Kunst bestritten werden, vieles können wir mit jedem künstlerischen Akt neu denken. Doch einigen können wir uns darauf, dass Kunst immer ein Kulturprodukt ist, ob es dabei Ergebnis eines menschlichen, tierischen oder automatischen kreativen Aktes ist, möchte ich nicht vorab entscheiden, um die Kunst nicht einzusperren in das Gefängnis der Definitionen

Ist der kreative Akt des Künstlers entscheidend oder kann auch die Betrachtung der Zuschauer erst die flüchtige Kunst für einen Moment zu einer machen?

Was bleibt als Werk vom Kunstfurzer zurück als warme Luft und worin unterscheidet sich diese vom Atem eines Sängers, sehen wir vom Ort der Entstehung ab?

Bildende Künstler und Dichter haben im Gegensatz zu den Musikern, die immer flüchtige Kunst schaffen, das Glück oft etwas bleibendes zu hinterlassen in Form von Bücher oder Kunstwerken aber auch das wandelt sich gerade.

Was ist mit dem Blogger, der online dichtet und seine flüchtigen Worte für Klicks vermarktet und in sozialen Netzwerken bildreich bewirbt?

Es wird gelesen und verschwindet wieder aus der täglichen Timeline, wenn es überhaupt noch angezeigt wird, manches blenden wir ja auch aus guten Gründen aus. Die nur elektronisch im virtuellen Raum irgendwo gespeicherten Buchstaben meines Werkes ruhen auf den Servern von Google, solange diese laufen, wenn das endet, verschwindet alles von mir geschriebene wieder und so bin ich literarisch quasi nur eine virtuelle Existenz.

Macht mir das nun Angst, oder gibt es mir im Gegenteil Leichtigkeit, frage ich mich, hier an einem Buch für meine Tochter schreibend, was doch etwas bleibendes werden soll, damit sie was fürs Leben hat, auch wenn ich mal nicht mehr bin, was ja  jeden Tag passieren kann oder auch erst in 50 Jahren, wer wollte das schon wissen.

Ist die Kunst, diese Flüchtigkeit der eigenen Kunst wie der eigenen Werke, die vielleicht wie die anderen auch, einige tausend noch lesen, bevor sie im Orkus des Vergessens versinken, mit Leichtigkeit zu nehmen, wahre Lebenskunst, weil dann nichts mehr schwer sein muss?

Will ich Erinnerung hinterlassen und das etwas von mir bleibt oder lieber mit Leichtigkeit spurlos verschwinden, weil ohne Spuren zu kommen und zu gehen, wahre Lebenskunst ist?

Was soll überhaupt dieser Begriff wahre Lebenskunst?

Klingt fast esoterisch schon wieder und an eine Wahrheit glaube ich so wenig, wie an die eine Kunst, das Leben zu meistern. Weiß nicht, was ich mir dabei dachte, es kam einfach und ich schrieb es hin, weil es mir würdig und passend erschien, doch sobald ich es kritisch hinterfrage, müsste ich diesen von Aberglauben und Esoterik verseuchten Blödsinn lieber streichen, streng vernünftig betrachtet.

Doch lass ich es stehen, weil es mir künstlerisch wertvoll erscheint. Nicht der wahnsinnig tolle, kreative Akt, der die Welt verändert aber doch treffend und schön. Kann es nicht ganz genau erklären, folge dabei einfach meiner Intuition. Vielleicht ist diese der entscheidende Moment beim künstlerischen Akt, der das bloße Addieren von Buchstaben dann zur Schöpfung macht, vielleicht ist es auch nur eine angemaßte Willkür, die mit Kunst nichts zu tun hat.

Es ging dabei um die Grenze zwischen Leben und Tod, was ich hinterlassen möchte in der Welt, ob ich etwas hinterlassen will oder lieber nicht. Kunst geht gerne an die Grenzen und überschreitet sie oftmals, um den Blick zu öffnen. Dann bekommt sie immer wieder Ärger mit dem Staat in Form von Zensur und ähnlichem, was auch in unserer Zeit noch nicht gänzlich verschwunden ist, sondern dank der sozialen Netzwerke und ihrer peinlichen amerikanischen Zensur aller Nacktheit eine neue Blüte feiert. Auch unser Staat zensiert noch Kunst, die dann als Pornografie diskriminiert und nur unter dem Ladentisch verkauft werden darf.

So ging es etwa mit Henry Millers Opus Pistorum, was auch nur Werk des Müllers heißt, was wegen seiner literarischen Beschreibung aller nur denkbaren sexuellen Akte, die der Erzähler mit seinem Schwanz Johnny Thursday erlebt, verboten wurde und erst Ende der 80er oder Anfang der 90er freigegeben wurde, worauf ich es sogleich im Buchhandel erstand. Es ist weder Millers bestes Werk noch sonderlich lesenswert oder literarisch spannend, es sind halt exzessive Fickgeschichten in jeder denkbaren Variante und doch würde ich dem Werk, nie seinen Kunstcharakter absprechen.

Finde Grenzen ohnehin fragwürdig und frage mich immer eher, wem sie nutzen und aus welcher beschränkten Sicht sie entspringen. Viel ist im weitesten Sinne religiös begründet und wurzelt in der aus dem Aberglauben gezogenen Moral, wie absurd diese auch immer sein mag.

Aus dem amerikanischen Protestantismus resultiert auch die Zensur bei Facebook, die Kinder vor Nacktheit verschonen will, sie aber nicht vor Gewalt verschont und radikalen Meinungen und Lügen.

Was schadet es einem Kind, das dem Schoß der Mutter entsprang, den Ursprung der Welt zu sehen, wie er eben aussieht oder Menschen beim ficken zuzusehen, was manche auch Kindermachen nennen, auch wenn das nur in den seltensten Fällen wirklich treffend ist?

Zensur ist immer Ausdruck von Dummheit und beschränkt den Horizont. Doch würde ich für die Propaganda der Islamisten, die zu Vergewaltigungen aufrufen oder ihre radikalen Sichten verbreiten, eine Ausnahme machen?

Dürfen die Lügen die Anhänger von AfD und Pegida und NPD massenhaft im Netz verbreiten, zensiert werden oder schadet jede Zensur der Demokratie?

Wenn einer die NS-Ideologie nun als Kunstwerk inszeniert, für das sich wieder Massen begeistern aus rein ästhetischen Gründen, gehörte solches Tun bestraft oder als Kunst durch die Kunstfreiheit geschützt?

Ist Zensur gegen das Böse und für das Gute zulässig und nötig in Zeiten des Internet?

Ist es dann eine Kunst, festzulegen, was gut und was böse ist?

Lehne jede Zensur und jede Beschränkung der Kunstfreiheit natürlich ab, doch manche Propaganda im Netz, die künstlerisch noch dazu gut gemacht ist, bereitet mir Sorgen, sollte hier partielle Zensur und strenges Strafrecht zur Verteidigung der Freiheit gelten?

Kann Freiheit je mit Gesetzen und Kunst mit mehr Unfreiheit verteidigt werden?

Ringe um Worte und versuche Abstand von meinen nur Meinungen zu finden und weiß doch, es gelingt mir kaum, ich bin auch Opfer meiner Ideologie, die andere in ihren gewohnten Schemen ablehnt, wie diese mich und bin dadurch auch vielfach blind.

Ist die Erkenntnis, immer irgendwo blind zu sein, das höchste, was wir erreichen können oder gibt es echte Toleranz gegenüber jeder Meinung, auch den Intoleranten?

Es gibt den berühmten Ausspruch, Toleranz den Toleranten und Intoleranz und notfalls Härte gegenüber den Intoleranten, der von einem eher konservativen ehemaligen Verfassungsrichter stammt. Danach war etwa der Umgang der Kölner Polizei mit den Nafris angemessen und richtig, zumindest erreichte er seinen Zweck und schützte dieses Jahr die Frauen, womit der Staat seine Aufgabe erfüllte. Doch wird darum dieser Spruch wahrer und besser, ist es richtig die Idioten idiotisch zu behandeln und sich also ebenfalls falsch zu  verhalten, nur weil das die Sprache ist, die sie am leichtesten verstehen?

In der Kunst bin ich für Toleranz auch gegenüber der Intoleranz mancher Künstler, die dennoch künstlerisch wertvolle Ideen umsetzen. Kunst ist ein Ventil und ein Filter für die Gedanken der Menschen, zugleich ist sie auch die Avantgarde, die vordenkt und damit den Geist lenkt und wer politisch führen will wird sie zu benutzen wissen.

Warum beurteile ich Kunst und Politik so unterschiedlich?

Michel Houellebecq ist einer, der geistig immer wieder unsere Grenzen erforscht und überschreitet. Er ist ein Franzose und Franzosen lesen ihn anders als viele Deutsche, die bei seinem letzten großen Roman, der nahezu zeitgleich mit dem Massaker in Paris erschien, überlegten, wie prophetisch er war und zwischen den Zeilen Beweise suchten, die dann die Fanatiker am rechten Rand noch stärkten.

Franzosen diskutieren diesen Autor anders, der in einer langen Tradition der Provokateure und Stars steht. Sicher gibt es auch die Fanatiker vom Front National, die stärker sind als der AfD hier je wurde, die aber selten Houellebecq diskutieren, weil sein Denken für einfache Populisten zu komplex ist, sie wissen, dass sie auf dem Glatteis, das der Denker und Autor auslegt, ausrutschen würden, einfache Formeln dort nicht greifen, weil es auf komplexe Fragen, keine einfachen Antworten gibt.

Die schlichten Geister des AfD dagegen, pressen alles in ihr Schema und lesen auch einen französischen Autor und Philosophen danach, wie es ihnen passt. Viele Deutsche mögen Menschen, die ihnen die Welt erklären und auf alles eine Antwort haben oder es besser wissen, damit sie dann folgen können und wissen, wo es lang geht, was sie von den Nachbarn im Westen unterscheidet und warum hier nach dem Krieg die Nutzung der NS Symbole verboten wurde, es erst einen Prozess der Demokratisierung und inneren Emanzipation brauchte, bevor damit tolerant und normal umgegangen werden konnte.

Frage mich manchmal, ob es sich dabei mit denen im Westen zu denen im Osten des Landes verhält, wie mit den Franzosen zu den Deutschen, aufgrund jeweils längerer demokratischer Tradition.

So gab es und gibt es hier eine gewisse Zensur, die historische Gründe hat. Dies erklärt auch warum es im politischen Kampf unter den Demokraten immer eine gewisse Zurückhaltung gab, sehen wir von der lächerlichen Stammtisch-Hoheit der CSU einmal ab, die sie immer noch behauptet und aus der mit dem AfD ausgebrochen wurde, der einer ganzen Gruppe gegenüber plötzlich Angst und Vorurteile predigte.

Bezeichnend ist im übrigen, dass der Vorwurf gegen Merkel, sie sei für die Toten vom Breitscheidplatz verantwortlich, von AfD und Wagenknecht aus der Linken kam, womit sich wieder zeigt, wie nah sich die Pole in ihren Extremen doch sind und dass beide Parteien Extremismus fördern und damit der Demokratie schaden, auch wenn die SED-Nachfolgepartei mit Oskar sich gerne links gibt und viele Künstler meinen, sie spräche ihre Sprache, ist sie eine im Kern undemokratische Organisation geblieben, die für Demokraten nicht koalitionsfähig sein sollte, warum sich die naive SPD damit ihr eigenes Grab schaufelte, in dem sie nur verlieren kann.

Kunst und links sehen viele konform, warum Künstler, die sich gegen diesen Kanon stellen, es immer schwer in den alten Netzwerken haben. Das ging Ernst Jünger so und Martin Mosebach und das ging vielen anderen bis heute ähnlich - darüber kritisch nachzudenken, könnte gut für die Demokratie sein und besser noch für die Kunst, die sich lieber häufiger hinterfragen sollte, statt so konservativ sich links aus Prinzip zu orientieren.

Es gibt auch eine rechte Kunstszene, von der Musik bis zur bildenden Kunst und Literatur, die lange einen radikalen Oppositionscharakter hatte und darum anziehend für viele  Jugendliche war und ist, besonders im Osten.

Wer die totalitär geprägte Kunst der DDR kennt, die sich von jener der NS-Zeit nur graduell leicht unterschied, wird sich wenig wundern, auf welch fruchtbaren Boden im Osten totalitäre Sprüche fallen, von ganz rechts oder ganz links, die sich beide inhaltlich so nahe sind und darum, wäre die Kunst ehrlich und frei, ihr fern liegen müsste. Aber die Kunst ist so bestechlich und käuflich wie alle Menschen, mit seltenen Ausnahmen, die sicher zu loben sind, aber doch oft genug am Existenzminimum nur irgendwie überlebend und dann für alle Gaben empfänglich und wes Geld ich hab, des Lied ich sing.

Die Kunst ist frei in der Bundesrepublik und in Europa. Sie war es nicht in der DDR, die noch dazu auch peinliche sozialistische Staatskunst auf unterstem Niveau betrieb. Warum scheinen vielen Künstlern diejenigen, die aus dieser Tradition der Unfreiheit kommen und stolz auf ihre Geschichte sind, Stasi-Mitarbeiter decken, als Garanten ihrer künstlerischen Freiheit?

Warum glauben Schauspieler und Maler dem Verein der alten Bonzen, nur weil er heute in der Opposition ist, mehr als den bewährten Demokraten?

Wie ist es um die Kunst in einem Staat bestellt, in dem die künstlerische Elite sich gern links gibt und dabei deren Totalitarismus übersieht?

Wird sich in der Ära Trump etwas entscheidend ändern und was erfahren wir von der Kunst aus Russland?

Wie sollte mit der populistischen Nutzung von Kunst und Kultur durch Linke eigentlich Radikale umgegangen werden?

Ist die Kunst noch frei, wenn sie einem Lager nahe steht und was könnte dagegen unternommen werden?

Ist Kunst nur frei, wenn sie unpolitisch ist oder ist sie natürlich politisch, wenn sie frei ist?

Denke ich an Deutschland bei der Nacht, schrieb Heine einst, denk ich an den großen Dichter aus jüdischer Familie, frage ich mich, was wäre er heute - ein Linker, der sich von den linken Radikalen bewusst fern hielt, auch ohne von seinem bösen Spott zu lassen?

Wo steht ein Martin Walser, der schlimmste antisemitische Klischees in der Paulskirche in seinem Ringen um Normalität aus Schuldgefühl wieder bediente und heute über seine Inkontinenz nur schreibt, real wie geistig?

War der SS-Mann Günter Grass, der sich erst sehr spät überhaupt erzählend an sein Leben erinnerte, der so gern das linke gute Gewissen als Vertriebener auch beschrieb, in Wirklichkeit in Rechter oder wusste er das selbst nicht mehr so genau?

Kommt es darauf an, wo ein Künstler wirklich steht, um seine Kunst zu beurteilen oder zeigt der Fall Grass, der immer mit moralischem Zeigefinger auch dichtete, die nur relative Gültigkeit aller Moral?

Hitler schätzte die Moderne und das Bauhaus von der Formgebung und vom Design, er mochte es schlicht, die Entwürfe von Speer waren durchaus modern.  Er hasste nur die Juden, die auch im Bauhaus, die Führung inne hatten und die von dort nach Buchenwald kamen vielfach. Doch wer denkt, der Führer genannte Diktator liebte Eiche rustikal und deutsche Gemütlichkeit, könnte völlig daneben liegen, wie auch die erotische Ästhetik einer Leni Riefenstahl zeigte. So wollte er die Frakturschrift ausmerzen lassen für klare moderne Lettern.

Die Kunstgeschichte und ihre Wirren, Moden und Wege, weist oft einen guten Weg auch durch die Geistesgeschichte des Menschen. Ihn sorgfältig zu betrachten, hilft besser, die Welt zu verstehen. Kunst spiegelt sehr viel und immer, wenn sie einseitig nur war, drohte Gefahr für das Gleichgewicht der Welt. Ob wir die großen Epochen nehmen, wie Mittelalter, Renaissance, Barock, Aufklärung, die Industrialisierung mit Biedermaier, Empire bis Jugendstil und als eine der letzten alles umfassenden das Bauhaus, als Aufbruch zur Moderne in der Kunst, die zwischen Funktionalität und Automatismus eine neue Rolle suchte - immer zeigt die Kunst sich als Spiegel und Avantgarde ihrer Zeit.

Darüber nachzudenken, was noch an einer Kunst dran sein kann, die staatlich alimentiert, die Nachlassverwalter eines vorgestrig, toten, totalitären Systems für ihre Vertreter halten, scheint gerade mal wieder sehr lohnend.

Wird die neue Kunst von rechts oder aus der Mitte kommen und ist, was die beamtisch alimentierten Theater noch an erwartbaren Provokationen hier produzieren, längst verwaltete Langeweile?

Wo lebt die Kunst und wann ist sie wirklich frei?

Was ist die Aufgabe der Kunst in einer Demokratie, die an ihren Rändern von Radikalen gefährdet wird?

Ist die Kunst in Deutschland längst zu Tode verwaltet worden und muss sie erst neu geboren werden, um wieder wirklich kreativ zu wirken?

Wirkte Kunst je ohne den Staat?

Was tun wir für die Freiheit der Kunst?

Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort geben will, die zu stellen mir aber wichtig zu sein scheint, beim Kampf um die Freiheit der Kunst und beim Ringen mit dem Begriff. Was weiß ich schon, möchte ich mal wieder mit Montaigne fragen, bin ich Künstler oder nur immer Laie, was machte micht dazu und warum eher nicht?
jens tuengerthal 5.1.2016

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