Sonntag, 26. Juni 2016

Kulturgeschichten 0270

Berliner Sein

Wer ist eigentlich ein Berliner
Alle die es meinen oder doch
Nur jene die echt von hier sind
Irgendwann gekommen um zu bleiben

Am 26. Juni 1963 hielt John F. Kennedy
Vor dem Rathaus des Vorortes Schöneberg
In Berlin eine Rede die mit den Worten endet
“Ich bin ein Berliner” und der 400.000 lauschten

Der Besuch Kennedys am 15. Jahrestag der
Berliner Luftbrücke sollte klarstellen die USA
Würden Berlin nie dem sowjetischen Kommunismus
Überlassen nur die Mauer duldeten sie einfach

Im Kontext hieß der Satz dass vor 2000 Jahren
Der größte Stolz war ein Bürger Roms zu sein
Während heute für die Welt der Freiheit
‘Ich bin ein Berliner’ der wichtigste Satz wäre

Am Ende wiederholte er diesen Satz noch
Einmal mit den Worten, dass alle freien Menschen,
Wo immer sie lebten, Bürger Berlins seien, warum er
Als freier Mensch stolz sei zu sagen “Ich bin ein Berliner”

Viermal kam in Kennedy Rede auch der Satz
‘Lasst sie nach Berlin kommen’ vor beim vierten mal
Sprach er ihn sogar auf deutsch wie noch heute
In der Tonaufnahme nachzuhören ist

Die Originalaufnahme machte damals Peter Lustig
Der später durch die Sendung Löwenzahn noch
Einem großen Publikum längst erwachsener
Kinder bekannt wurde wie Zeiten kommen und gehen

Berlin ist heute Europas größter Party-Standort
Aus dem ganzen Kontinent fliegen Menschen
In diese Stadt um frei zu feiern und Sex zu haben
Was zumindest ein Stück Freiheit noch ist

Davon abgesehen ist Berlin ein chaotischer Moloch
Einer zentralen Verwaltung über zu viele Dörfer
Was und Berlin eigentlich ist weiß kaum einer
Das Rathaus Schöneberg ist irgendwo im Westen

Das eigentliche Berlin ist die alte Mitte noch mit
Der ursprünglichen Friedrichstadt um die Linden
Unter Friedrich II. errichtet endete die Stadt aber
Spätestens am Brandenburger Tor vor den Gärten

Heute sind die Vororte eingemeindet die früher
Märkische Provinz waren als Berlin noch die
Hauptstadt des Kurfürstentums Brandenburg war
Halten sich für gänzlich berlinische Berliner

Weder Kreuzberg noch Charlottenburg oder
Prenzlauer Berg sind Berlin es sind einfach
Vororte einer Sammlung von Dörfern die
Weil es schick ist alle unter Berlin firmieren

Vor einigen Jahren wurden die Bezirke in Berlin
Neu zusammengelegt was zu viel Ärger führte
Prenzlauer Berg etwa hieß plötzlich Pankow
Großtadt wurde mit östlicher Provinz vereint

So ist Berlin bis heute viele Dörfer die selten
Mehr miteinander zu tun haben als nur eher
Gelegentliche Besuche beim Nachbarn wobei
Berliner gern betonen ohne Vorurteil zu sein

Was also ‘Ich bin ein Berliner’ heute hieße
Weiß ich bis jetzt nicht zu sagen der ich nun
Länger hier lebe als irgendwo anders zuvor
Und doch für Berliner ein Fremder bleibe

Wollte ich ein Berliner sein frage ich mich
Wenn ich mit lieben Berliner Freunden rede
An meine Berliner Geliebten denke die eher
Immer noch einen drauf gaben aus Trotz

Geborener Hanseat aufgewachsener Hesse
Studierter Kurpfälzer halt hierher verschlagen
Da geblieben und irgendwie angepasst doch
Was ist je ein Berliner frage ich mich dabei

Kennedy spielte Kalter Krieg und instrumentalisierte
Die Berliner sehr geschickt und die West-Berliner
Jubelten ihm zu und fühlten sich völlig verstanden
Ohne zu fragen was mit der Mauer noch war

Zur Mauer schwiegen die Amerikaner und Kennedy
Der im Vorort Schöneberg der früher märkischen nur
Provinz seine berühmte Rede hielt und kaum einer
Fragte warum eigentlich und wer was dabei wollte

Es war ein Stück Identität im Kalten Krieg bin noch
Damit aufgewachsen mit der Angst vor dem Osten
Warum ich dort immer auch Fremder wohl bleibe
Der nur da ist wo halt was los ist gerade zufällig

Die Rede Kennedy ist ein Teil dieser Identität die
Für das alte West-Berlin steht das heute nur noch
So aktuell ist wie der Bahnhof Zoo der vielfach
Im ganzen Land berühmt und verrufen war

Eine Provinzhaltestelle an der nur noch S-Bahnen
Wie einige Regionalzüge im Vorort halt stoppen
Berlin hat seinen Bahnhof heute inmmiten was
Bis zur Wende noch Niemandsland war

Eigentlich gibt es Berlin gar nicht sondern viele Dörfer
Die sich alle Berlin nennen und jedes auf eine völlig
Andere Art sich gern provinziell großstädtisch gibt
Dabei über die anderen am liebsten spottet

Der Satz ‘Ich bin ein Berliner’ ist nur noch eine
Anekdote aus dem Kalten Krieg der heute ohne
Bedeutung für das Lebensgefühl derer hier ist
Die sich im absolutistischen Stadtstaat quälen

Berlin ist in seiner Verwaltung aus reiner Größe
Noch immer ein sozialistischer Moloch dem nun
Unternehmensberater Konkurrenz beibrachten
Was zu nichts als Unsinn meist führte real

Berlin verwaltet sich tot und würde also besser
Wohl in autonome Gebilde zerschlagen in denen
Verantwortung übernommen würde statt diese
Immer wieder bestmöglich zu delegieren

Berlin bekommt wenig hin und jammert gern
Feiern kann es ganz nett und locker ist es
So relativ solange es nicht um die einzelnen
Konkurrenten Bezirke miteinander geht

Wer nicht so genau hin schaut kann hier
Seinen Spaß haben während alle anderen
Die lieber preußisch exakt sind nur noch
An bloßer Form und Geschichte sich freuen

Berlin überlebt irgendwie und kommt dabei
Noch mit einem irgendwie immer Sonderstatus
Gerade so über die Runden und ist wenn London
Die EU verlässt neben Paris die wichtigste Kapitale

Dabei hat das Dorf im märkischen Sand der bald
Die schönsten U-Bahn-Pläne wie Schlossbauten
Wieder versinken lässt eigentlich keine Geschichte
Verglichen mit europäischen Städten ein Nichts

Geld regiert also doch die Welt und selten Geschmack
Was sich am Stolz mancher Berliner auf ihren Dom
Zeigt dem hässlichsten Bau der ganzen Stadt der
In peinlichem Wilhelminismus Schönheit erdrückt

Vielleicht ist der grausame Dom auf der sonst
Zauberhaften Museumsinsel aber typisch für
Berlin und die Berliner die ihn lieben weil seine
Kupppel größer ist als die des Petersdoms

Berlin hatte mit Schinkel einen feinsinnig genialen
Baumeister der aber auch nur zugereister war aus
Neuruppin wie der andere geniale Erzähler Fontane
Der noch dazu hugenottischer Migrant war

Der deutschen derzeit liebster Nachbar Boateng
Auch so ein echter Berliner aus dem Wedding
Groß geworden im Kiez Gesundbrunnen vor dem
So gerne als abschreckend noch gewarnt wird

Berlin hat gräßliche Hochhausburgen wie schönsten
Altbau neben der Tristesse von geistlosen Neubauten
Vieles geht nicht weil verboten oder zu kompliziert
Manche Initiative bleibt im Sumpf stecken immer

Zutiefst sozialdemokratisch ist diese Insel immer
Egal wer gerade regiert weil eine Großstadt die
Nicht zur Provinz gehört nie etwas wird als ein
Ewiger Zuschußbetrieb mit hohen Ansprüchen

Dabei eigentlich sympathisch und ambitioniert
Mal kunstsinnig dann bodenständig fröhlich
Findet jeder hier alles für jeden Geschmack
Zu jeder Uhrzeit geht immer irgendwo was

‘Ich bin ein Berliner’ ist allen ökonomisch noch
Denkenden Menschen fast peinlich und ob diese
Teils real sozialistische Beamtenkomödie noch
Für Freiheit steht wäre der Frage wohl wert

Es ist also ein großer Mist und kein Zustand hier
Geht so weiter wie immer statt mal richtig was
Wie nötig wäre zu ändern aber besser als
Überall anders ist es in Berlin immer noch

Weiß nicht ob ich ein Berliner bin oder je werde
Nur weil ich ein Kind mit einer Zugereisten zeugte
Mit mancher Eingeborenen schlief und doch immer
Lieber nur ein Beobachter wohl bleibe in Berlin
jens tuengerthal 26.6.2016

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